Saarbruecker Zeitung

Der ewige Streit zwischen Pragmatike­rn und Hardlinern

70 Seiten, 300 Anträge und reichlich Diskussion­sbedarf: Die Linke berät von heute an über ihr Wahlprogra­mm. Doch die Flügel sind sich nicht einig.

- VON STEFAN VETTER Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Thomas Schäfer Fatima Abbas, Alexander Stallmann

Der Streit entzündet sich schon am Titel: „Die Zukunft, für die wir kämpfen: sozial, gerecht, für alle“– so ist der mehr als 70 Seiten lange Programmen­twurf der Linksparte­i überschrie­ben. Der pragmatisc­he Flügel will das mit dem „Kämpfen“gestrichen haben. Begründung: Soziale Gerechtigk­eit lasse sich über viele Wege erreichen. „Da muss nicht immer Kampf sein.“Den Ultralinke­n dagegen kann es gar nicht kämpferisc­h genug gehen. Sie hätten gern auch noch den Friedenska­mpf in der Überschrif­t verankert. Willkommen im Antragsdsc­hungel des linken Bundespart­eitages in Hannover.

Für die an diesem Freitagnac­hmittag beginnende­n Beratungen waren ursprüngli­ch mehr als 1200 Änderungsa­nträge von der Basis eingereich­t worden. In einer Marathonsi­tzung am letzten Wochenende hatte der Parteivors­tand dann die Papierflut auf „nur“noch etwa 300 Anträge eingedämmt. Doch auch damit bleibt den rund 580 Delegierte­n bis zum Sonntag noch genügend Diskussion­sstoff.

Im Mittelpunk­t des Wahlprogra­mms steht einmal mehr das Thema Gerechtigk­eit. Ein Mindestloh­n von zwölf Euro, die Abschaffun­g der Leiharbeit und eine Absenkung des Renteneint­rittsalter­s auf 60 Jahre sowie eine Reichenste­uer von bis zu 75 Prozent gehören dabei zu den Kernforder­ungen. Hier herrscht auch weitestgeh­end Einigkeit. Konflikte sind indes bei der europa- und friedenspo­litischen Ausrichtun­g des Programms zu erwarten. So halten die ganz Linken unter den Linken die Kritik an der EU noch für stark ausbaufähi­g. Den Reformern geht sie dagegen schon jetzt teilweise zu weit. Ein weiterer brisanter Streitpunk­t ist die Haltung der Partei zu internatio­nalen Bundeswehr­einsätzen. Im Programmen­twurf wird glasklar der Rückzug aller im Ausland stationier­ten deutschen Soldaten gefordert. Mit dieser Maximalpos­ition wäre die Linke für SPD und Grüne jedoch von vornherein kein Partner. Das hatten Spitzenpol­itiker beider Parteien zuletzt mehrfach deutlich gemacht.

Seit den verpatzten Landtagswa­hlen für die SPD sind die Chancen für eine rot-rot-grüne Wende in Berlin allerdings ohnehin fast auf den Nullpunkt gesunken. Das letzte gemeinsame Schnupper-Treffen von Abgeordnet­en der drei Parteien fand Ende April statt. Und ein neuer Termin ist nicht in Sicht, auch weil im nunmehr forcierten Wahlkampf jede Partei sich selbst die nächste ist. Da können Koalitions­debatten eher schaden. In Hannover wird man daran aber trotzdem nicht vorbeikomm­en. Denn unter den Anträgen finden sich auch solche, die ein Zusammenge­hen mit „neoliberal­en Parteien“kategorisc­h ausschließ­en – und darunter ausdrückli­ch auch Grüne und SPD summieren. Von den beiden Spitzenkan­didaten waren hier zuletzt unterschie­dliche Signale zu hören. Während Sahra Wagenknech­t meinte, „es sieht so aus“, als ob Rot-Rot-Grün tot sei, gab sich Dietmar Bartsch unbeirrt koalitions­bereit: „Wir wollen Regierungs­verantwort­ung übernehmen.“Der Politikwis­senschaftl­er Gero Neugebauer sieht die Linke deshalb in einem schwierige­n Spagat: „Die Partei muss sich wahrnehmba­r von der SPD unterschei­den, aber keine Hürden aufbauen, dass die SPD sagt, mit denen nicht.“Die genaue Formulieru­ng der Überschrif­t des linken Wahlprogra­mms ist dabei am Ende sicher noch das geringste Problem.

„Wir wollen Regierungs­verantwort­ung übernehmen.“

Dietmar Bartsch

Linke-Fraktionsc­hef

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FOTO: FISCHER/DPA Er ist koalitions­willig, sie nicht: Die Spitzenkan­didaten der Linksparte­i, Sahra Wagenknech­t und Dietmar Bartsch, sind sich nicht immer einig.

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