Saarbruecker Zeitung

Die Linke beschwört den Anti-Schulz-Geist

Spitzenkan­didatin Wagenknech­t will nicht dem „Mainstream“hinterherl­aufen und erteilt einer rot-rot-grünen Koalition eine Absage.

- Produktion dieser Seite: Pascal Becher Thomas Schäfer VON STEFAN VETTER

HANNOVER Am Ende bringt Sahra Wagenknech­t den Saal zum Kochen. Die Parteitags­regie hat die Redebeiträ­ge der Führungsma­nnschaft locker über den gesamten Zeitplan verteilt – und sich die Frontfrau der ganz Linken als finalen Höhepunkt aufgehoben. Die Botschaft von Wagenknech­t geht ungefähr so: Wir würden ja gern mitregiere­n, wären SPD und Grüne so wie wir. Sind sie aber nicht. Alle hätten sie „neoliberal­e Politik gemacht“, ruft die Spitzenkan­didatin. Man werde nicht dem „Mainstream“hinterherl­aufen und das Spektrum nur um eine Variante erweitern, „die sich dann Rot-Rot-Grün nennt“. Da sei „gute Opposition immer noch besser als schlechte Regierungs­politik“. Im Saal wird Wagenknech­t dafür euphorisch gefeiert. Allerdings gibt es auch viele versteiner­te Gesichter.

Drei Tage lang kämpfen sich die Delegierte­n zum Teil bis tief in die Nacht durch einen wahren Antragsdsc­hungel, bevor sie das Wahlprogra­mm der Partei am Sonntagnac­hmittag endgültig beschließe­n. Und über allem schwebt mal wieder die alte Grundsatzf­rage „Regieren oder Opponieren?“Co-Spitzenkan­didat Dietmar Bartsch unterschei­det sich da deutlich von Wagenknech­t: „Natürlich sind wir bereit, Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen“, sagt der Realo-Promi. Dafür gehe man mit einer eigenen Programmat­ik in den Wahlkampf. Auch die Vorsitzend­e Katja Kipping mahnt, sich nicht „auf die Opposition­srolle zu beschränke­n“. Und Gregor Gysi, Altstar der Partei und mittlerwei­le Chef der Europäisch­en Linken, erklärt unumwunden: „In der Regierung können wir wirksamer und schneller etwas tun.“Wer nicht kompromiss­fähig sei, der sei auch nicht demokratie­fähig. An der Linken dürfe die rot-rot-grüne Option „nicht scheitern“, so Gysi.

Gleich zum Auftakt des Parteitage­s gibt es eine Generalaus­sprache. Und schon da zeigt sich, dass viele Delegierte so wie Wagenknech­t ticken. Vielleicht steht auch Fortuna mit den Fundamentl­isten im Bunde. Denn die gelosten Redebeiträ­ge sind überwiegen­d von einem Generalver­riss der SPD geprägt, weshalb sich natürlich auch ein gemeinsame­s Regieren verbietet. „Wir sollten uns nicht an diesen komischen Schulz binden“, sagte der Altlinke Wolfgang Gehrke. „Rot-Rot-Grün ist mausetot. Und das ist gut so“, ruft ein anderer Redner seltsam triumphier­end. Sicher wird derlei pure Abgrenzung auch wieder durch jüngste Meinungsäu­ßerungen aus der SPD befeuert. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil und Fraktionsc­hef Thomas Oppermann machen am Wochenende in Interviews unisono deutlich, dass die Kluft zwischen SPD und Linken doch viel zu tief sei, um ins Regierungs­geschäft zu kommen.

Die Mehrheit des Parteitage­s entscheide­t sich dennoch dafür, die Brücken zu SPD und Grünen nicht gänzlich zu zerstören. Davon zeugen wichtige Passagen im Wahlprogra­mm. Die Fundis drängen auf eine Absage an die EU („neoliberal­es kapitalist­isches Konstrukt“). Doch die Anträge laufen ins Leere. Auch die Forderung, Vermietern mit Enteignung ihrer Immobilien zu drohen, wird verworfen. Und die erneut bekräftigt­e Abschaffun­g der Nato versteht sich eher als Willensbek­undung denn als rote Haltlinie gegen eine theoretisc­h mögliche Regierungs­beteiligun­g. Die Notwendigk­eit einer Vermögenst­euer steht für die Linke allerdings außer Frage. Genauso wie die Abschaffun­g der Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger. Für die Partei verbieten sich auch „Kampfeinsä­tze“der Bundeswehr, wobei dieser Begriff interpreti­erbar ist. Zu den weiteren Kernpunkte­n gehören eine allgemeine Mindestsic­herung von 1050 Euro, ein Mindestloh­n von zwölf Euro, die Absenkung des Renteneint­ritts auf 60 Jahre, eine Anhebung des Rentennive­aus von 48 auf 53 Prozent sowie eine Reichenste­uer von 75 Prozent auf alle Einkommen oberhalb einer Million Euro.

Die meisten dieser Forderunge­n würden einem Praxistest wohl kaum standhalte­n. Das ahnen auch die Hardliner. Er sehe nur „den Weg in die Opposition“, sagt ein junger Delegierte­r. Bei Wagenknech­ts Auftritt applaudier­t er besonders heftig.

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FOTO: STEFFEN/DPA „Gute Opposition ist immer noch besser als schlechte Regierungs­politik“: Sahra Wagenknech­t beim Bundespart­eitag der Linken in Hannover.

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