OECD beklagt wachsende Kluft der Einkommen
In Deutschland gibt es immer mehr Arbeit. Aber die Einkommensschere geht auf, weil Jobs mit mittlerer Qualifikation schwinden, so die OECD.
Den westlichen Industriegesellschaften droht durch eine wachsende Einkommenskluft eine Spaltung in bisher nicht bekanntem Ausmaß. Davor warnt die OECD, die Organisation für wirtschaflliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in einem Report über die Arbeitsmärkte ihrer 35 Mitgliedsländer. „Die Einkommensungleichheit ist beispiellos im Moment und gefährdet den sozialen Zusammenhalt“, sagte OECD-Generalsekretär Ángel Gurría gestern in Berlin. Laut OECD ist das Einkommensgefälle auf dem höchsten Stand seit 50 Jahren.
Das durchschnittlich verfügbare Einkommen der reichsten zehn Prozent der Bevölkerung stieg in den westlichen Gesellschaften demnach auf über das Neunfache des Einkommens der ärmsten zehn Prozent. Vor einem Vierteljahrhundert war es nur siebenmal so hoch.
Nach der Analyse der Organisation haben sich die Jobmärkte in den Industriestaaten zwar erholt – die Beschäftigung ist nicht nur in Deutschland auf Rekordniveau. Sie hat im OECD-Raum insgesamt wieder das Niveau vor der Weltwirtschaftskrise 2009 erreicht. Erwartet wird, dass bis Ende 2018 die Erwerbsquote 61,5 Prozent erreicht – also mehr als Ende 2007 mit dem damaligen Höchstwert von 60,9 Prozent. Dann würden 47 Millionen Menschen mehr in Lohn und Brot stehen als 2007. Aber nicht alle Arbeitnehmer profitieren davon. Es gibt laut OECD eine wachsende Polarisierung. Jobs für Menschen mit mittlerer Qualifikation werden weniger. Ihr Anteil sank bis 2015 binnen 20 Jahren um 9,5 Prozentpunkte im Durchschnitt der 35 OECD-Staaten. In Deutschland sank dieser Anteil um rund 8,2 Prozent – der der hochqualifizierten Jobs stieg um 4,7, der der niedrig qualifizierten um 3,4 Prozent. Ursache dafür sei vor allem der technologische Wandel. Jobs verlagern sich vom verarbeitenden Gewerbe hin zur Dienstleistungsbranche – dort wird oft schlecht bezahlt. Vielfach fehlen Aufstiegschancen. In Deutschland sind die Löhne im Schnitt deutlich höher als im OECD-Schnitt, der Anteil der Menschen mit vergleichsweise niedrigen Löhnen liegt mit 9,1 Prozent etwas unter dem Schnitt von 10,6 Prozent. Dafür liegt der Anteil der Arbeitskräfte, die unter Stress leiden, bei knapp 46 Prozent – im OECD-Schnitt sind es nur 41 Prozent.
Neun Prozent der Arbeitsplätze in den OECD-Ländern könnten in den kommenden Jahren automatisiert werden, weitere 25 Prozent sich massiv ändern. Die OECD empfiehlt aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, Kurzarbeitsprogramme für Krisenzeiten und eine forcierte Weiterbildung.
Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) schlug daher gestern als Antwort ein persönliches Erwerbstätigenkonto mit 20 000 Euro Startguthaben für jeden über 18-Jährigen vor, der eine Arbeit aufnimmt. Einkommensausfälle bei Qualifizierung oder Existenzgründung sollten daraus kompensiert werden.