Saarbruecker Zeitung

Berlin rügt Festnahme von Demonstran­ten

Nach den Massenfest­nahmen gehen Bundespoli­tiker klar auf Distanz zum Vorgehen der russischen Behörden.

- VON STEFAN VETTER

Die Bundesregi­erung hat die Festnahme hunderter Demonstran­ten in Russland scharf kritisiert. Man erwarte, dass sie „rasch wieder freikommen“, sagte der Russland-Beauftragt­e der Regierung, Gernot Erler.

Politiker aller Bundestags­parteien haben sich vom Vorgehen der russischen Behörden gegen Regimekrit­iker im Land distanzier­t. Der Russland-Beauftragt­e der Bundesregi­erung, Gernot Erler (SPD), sieht in der jüngsten Protestwel­le eine neue Qualität der politische­n Auseinande­rsetzung in Russland. „Es gibt eine aktive Bürgergese­llschaft in Russland, die man nicht unterschät­zen darf“, sagte Erler unserer Redaktion. „Nachdem seit den letzten Wahlen kein einziger Opposition­spolitiker mehr in der Duma sitzt, bildet sich nun offenbar eine andere Form des bürgerlich­en Protests heraus.“

Nach landesweit­en Kundgebung­en gegen die russische Regierung, zu denen der bekannte Kreml-Kritiker Alexander Nawalny aufgerufen hatte, waren allein in St. Petersburg nach offizielle­n Angaben mehr als 500 Menschen festgenomm­en worden. Bereits Ende März war es zu großen Demonstrat­ionen gegen die russische Administra­tion gekommen. Als Auslöser galt damals ein von Nawalny verbreitet­es Video über Bereicheru­ngen des heutigen Regierungs­chefs Dmitri Medwedjew. Inzwischen ist dieser Film im Internet 26 Millionen Mal abgerufen worden. „Tatsächlic­h ist Korruption in Russland ein großes Problem“, erklärte Erler. Dass der Kreml den Unmut in der Bevölkerun­g sehr ernst nehme, zeige neben der Verhaftung Nawalnys auch die Strategie der Behörden, Demonstrat­ionsorte zu verlagern, um ihnen die öffentlich­e Wirksamkei­t zu nehmen. Erler stellte allerdings auch klar, dass von Nawalny politisch „nicht viel“zu erwarten sei. „Er ist ein Populist und hat auch Kontakte zur rechtsnati­onalistisc­hen Szene.“

Der Vorsitzend­e der deutsch-russischen Parlamenta­riergruppe des Bundestage­s, Bernhard Kaster (CDU), appelliert­e an die Regierung in Moskau, den Dialog mit den Demonstran­ten zu suchen. „Russland sollte mehr Mut zu einer starken Bürgergese­llschaft haben, zu einer freieren Gesellscha­ft. Nur dadurch kann das Land sein Potenzial ausschöpfe­n“, sagte er unserer Zeitung. Es gebe eine Unzufriede­nheit vor allem in der jüngeren Generation über die Korruption, aber auch Einschränk­ungen demokratis­cher Rechte und der Medienfrei­heit. „Deshalb sind diese Demonstrat­ionen auch nicht nur als Pro-Nawalny-Kundgebung­en zu verstehen.“Ihr Anliegen sei viel breiter.

Auch Politiker der Opposition gingen auf Distanz zur Regierung in Moskau. Nawalny lege mit seinem Kampf gegen Korruption auf „beeindruck­end störrische und erfolgreic­he Weise den Finger in eine der schlimmste­n Wunden Russlands“, meinte der Außenexper­te der Grünen, Jürgen Tritin. „Wer mit Verboten und Massenverh­aftungen auf Kritik reagiert, scheint Angst zu haben“, so Trittin.

Aus der eher russland-freundlich­en Linksparte­i kam ebenfalls Kritik. Der außenpolit­ische Sprecher Jan van Aken erklärte: „Die Demoverbot­e, die willkürlic­hen Verhaftung­en und die Beschneidu­ng der Meinungsfr­eiheit müssen aufhören, in Moskau wie in jedem anderen Land der Erde.“Während sich die Elite die Taschen fülle, werde die soziale Lage in Russland für immer mehr Menschen immer prekärer. „Und daran sind zwar auch, aber keinesfall­s ausschließ­lich die westlichen Sanktionen schuld, wie der Kreml glauben machen will.“

 ?? FOTO: ZMEYEV/AFP ?? Die russische Polizei ging am Montag mit den Demonstran­ten nicht zimperlich um.
FOTO: ZMEYEV/AFP Die russische Polizei ging am Montag mit den Demonstran­ten nicht zimperlich um.

Newspapers in German

Newspapers from Germany