Berlin rügt Festnahme von Demonstranten
Nach den Massenfestnahmen gehen Bundespolitiker klar auf Distanz zum Vorgehen der russischen Behörden.
Die Bundesregierung hat die Festnahme hunderter Demonstranten in Russland scharf kritisiert. Man erwarte, dass sie „rasch wieder freikommen“, sagte der Russland-Beauftragte der Regierung, Gernot Erler.
Politiker aller Bundestagsparteien haben sich vom Vorgehen der russischen Behörden gegen Regimekritiker im Land distanziert. Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sieht in der jüngsten Protestwelle eine neue Qualität der politischen Auseinandersetzung in Russland. „Es gibt eine aktive Bürgergesellschaft in Russland, die man nicht unterschätzen darf“, sagte Erler unserer Redaktion. „Nachdem seit den letzten Wahlen kein einziger Oppositionspolitiker mehr in der Duma sitzt, bildet sich nun offenbar eine andere Form des bürgerlichen Protests heraus.“
Nach landesweiten Kundgebungen gegen die russische Regierung, zu denen der bekannte Kreml-Kritiker Alexander Nawalny aufgerufen hatte, waren allein in St. Petersburg nach offiziellen Angaben mehr als 500 Menschen festgenommen worden. Bereits Ende März war es zu großen Demonstrationen gegen die russische Administration gekommen. Als Auslöser galt damals ein von Nawalny verbreitetes Video über Bereicherungen des heutigen Regierungschefs Dmitri Medwedjew. Inzwischen ist dieser Film im Internet 26 Millionen Mal abgerufen worden. „Tatsächlich ist Korruption in Russland ein großes Problem“, erklärte Erler. Dass der Kreml den Unmut in der Bevölkerung sehr ernst nehme, zeige neben der Verhaftung Nawalnys auch die Strategie der Behörden, Demonstrationsorte zu verlagern, um ihnen die öffentliche Wirksamkeit zu nehmen. Erler stellte allerdings auch klar, dass von Nawalny politisch „nicht viel“zu erwarten sei. „Er ist ein Populist und hat auch Kontakte zur rechtsnationalistischen Szene.“
Der Vorsitzende der deutsch-russischen Parlamentariergruppe des Bundestages, Bernhard Kaster (CDU), appellierte an die Regierung in Moskau, den Dialog mit den Demonstranten zu suchen. „Russland sollte mehr Mut zu einer starken Bürgergesellschaft haben, zu einer freieren Gesellschaft. Nur dadurch kann das Land sein Potenzial ausschöpfen“, sagte er unserer Zeitung. Es gebe eine Unzufriedenheit vor allem in der jüngeren Generation über die Korruption, aber auch Einschränkungen demokratischer Rechte und der Medienfreiheit. „Deshalb sind diese Demonstrationen auch nicht nur als Pro-Nawalny-Kundgebungen zu verstehen.“Ihr Anliegen sei viel breiter.
Auch Politiker der Opposition gingen auf Distanz zur Regierung in Moskau. Nawalny lege mit seinem Kampf gegen Korruption auf „beeindruckend störrische und erfolgreiche Weise den Finger in eine der schlimmsten Wunden Russlands“, meinte der Außenexperte der Grünen, Jürgen Tritin. „Wer mit Verboten und Massenverhaftungen auf Kritik reagiert, scheint Angst zu haben“, so Trittin.
Aus der eher russland-freundlichen Linkspartei kam ebenfalls Kritik. Der außenpolitische Sprecher Jan van Aken erklärte: „Die Demoverbote, die willkürlichen Verhaftungen und die Beschneidung der Meinungsfreiheit müssen aufhören, in Moskau wie in jedem anderen Land der Erde.“Während sich die Elite die Taschen fülle, werde die soziale Lage in Russland für immer mehr Menschen immer prekärer. „Und daran sind zwar auch, aber keinesfalls ausschließlich die westlichen Sanktionen schuld, wie der Kreml glauben machen will.“