Das boomende Milliardengeschäft mit dem Elend
Die Schlepper-Industrie erlebt weltweit eine Hochphase. Fahnder und Politiker wollen gegensteuern. Aber wie vorgehen gegen die Elendsprofiteure?
2500 Euro hat der Syrer Firas für die Reise aus der Türkei nach Berlin bezahlt. Überlebt hat der 22-Jährige sie nur knapp. Denn die Menschenschlepper, die sein Geld kassierten, schickten ihn in einem überfüllten Boot mit kaputtem Motor aufs Mittelmeer. „Für diese Leute ist es ein Geschäft, keine Hilfsaktion“, sagt Firas.
Genau solche Schlepperdienste bietet der 31-jährige Omar an: Er bringt Menschen illegal über die syrisch-türkische Grenze: „Also, theoretisch ist es falsch, so einen Beruf zu haben und illegal“, sagt Omar. „Aber praktisch gesehen tue ich Gutes. Ich helfe den Menschen, die seit sechs Jahren leiden, aus Syrien herauszukommen.“
Beide Männer tragen in Wirklichkeit andere Namen. Sie sprechen nur im Geheimen über das, was sie verbindet: Die zwei sind Teil des illegalen Milliardengeschäfts der Schlepper. Ihr Risiko ist klein, ihre Profite sind hoch. Es ist ein Geschäft, in dem sich die Netzwerke professionalisieren. Zugleich agieren Schmuggler skrupelloser. Darüber klagen Experten in Afrika ebenso wie die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Die Schlepper nehmen in Kauf, dass ihre „Transportware“Mensch verdurstet oder ertrinkt, dass Frauen vergewaltigt werden.
Die UN-Migrationsbehörde IOM hat errechnet, dass seit 2000 mindestens 60 000 Migranten auf der Flucht starben oder vermisst werden. Allein seit Januar 2014 wurden 20 000 Opfer gezählt. Doch nicht immer sind die Schlepper Schuld. Die Migranten nehmen wissend in Kauf, dass sie auf Elendsprofiteure angewiesen sind. Doch sie wollen ihre Chance auf ein besseres Leben nutzen.
Die 30-jährige Schelok aus Nigeria hat zwei Kinder bei der Mutter gelassen, um in Europa ihr Glück zu suchen. In ihrem Heimatdorf hatte sie eine ältere Frau um Hilfe für ihre Reise gebeten. Wenig später landete Schelok als Prostituierte in einer Stadt in Nigeria, wo sie ihre Reisekosten abarbeiten sollte. Nach einiger Zeit entkam sie. Andere Schmuggler brachten Schelok in einem Monat durch die Sahara. Ziel: Mittelmeerküste. Kurz nachdem sie von dort abgelegt hatte, stoppte die Küstenwache ihr Boot. Jetzt sitzt Schelok in einem Lager am Rand der libyschen Hauptstadt Tripolis fest. Sollte sie es noch mal auf ein Boot schaffen, ist sie längst nicht in Sicherheit: Das Mittelmeer gilt als die tödlichste Fluchtroute weltweit. In den ersten fünf Monaten zählten die IOM-Experten dort über 1500 Opfer. Zwar ist die Zahl der Überfahrten im Vergleich zu 2016 stark gesunken. Doch das Risiko kletterte: Im Vorjahr wurde ein Toter pro 88 Menschen gezählt, die die Küste erreichten. 2017 kommt ein Toter auf 44 Ankömmlinge (bis 28. Mai).
Die Schleuser-Industrie jedenfalls hat für Schelok und andere auch kassiert, wenn sie nie ans Ziel gelangen. Der UN-Migrationsexperte Frank Laczko schätzt, dass Schmuggler-Netzwerke weltweit aktuell pro Jahr etwa rund 8,9 Milliarden Euro umsetzen. „Es könnte auch noch mehr sein. Wir haben keine gesicherten Zahlen.“
Den Ermittlern fehlt konkretes Wissen über Geldströme, Strukturen und Hintermänner. Sogar die Gesamtzahl der illegalen Migranten ist unklar. Die Ankömmlinge schweigen häufig eisern. Selbst wenn sie auf ihrer Reise misshandelt wurden. Robert Crepinko, Chef des Anti-Schleuser-Büros von Europol urteilt: „Es gab nie einen größeren Markt für die Schlepperei als in den vergangenen zwei Jahren.“Doch der Wind könnte sich drehen. In Europa wächst das Bewusstsein, dass die Flüchtlingskrise von 2015 keine Ausnahme bleiben dürfte. Die EU diskutiert darüber, dass es nicht ausreicht, an Libyens Küste zu patrouillieren. Stattdessen müsste die Südgrenze abgedichtet werden.
Einige Staaten Afrikas ändern ebenfalls ihre Haltung. Polizei- und Justizbehörden gehen härter gegen Schlepper vor. In der UN-Generalversammlung im September 2016 verständigten sich die Mitgliedsstaaten, zusammenzuarbeiten, um einen Pakt für eine geordnete Migration zu schaffen. Die Standards sollen bis 2018 fertig sein.