Saarbruecker Zeitung

Richter-Urteil bedroht Luxus-Leben auf Gibraltar

Die britische Affeninsel ist ein Paradies für das Online-Glücksspie­l – dank niedriger Steuern. Doch dieser Zustand könnte bald Geschichte sein.

- VON EMILIO RAPPOLD

Juwelen und Wein können sich auf Gibraltar nicht nur Touristen, sondern auch Einheimisc­he leisten. Das Pro-Kopf-Einkommen lag im britischen Territoriu­m am Südzipfel Spaniens zuletzt bei knapp 55 000 Pfund – gut 62 000 Euro. Damit gehört das britische Überseegeb­iet am Südzipfel der iberischen Halbinsel, das mit 6,8 Quadratkil­ometern nur gut 32 200 Einwohner zählt, zu den reichsten Gebieten der Erde.

Für den spanischen Fußball-Halbamateu­r Álex Vázquez ist das Leben in Gibraltar „perfekt“. Es gibt Strand und Sonne, in einer ansonsten armen Region. Vor allem aber Jobs und viel Geld. Als die EU mit der Krise kämpfte, kletterte das Inlandspro­dukt (BIP) der Halbinsel zwischen 2011 und 2015 um 49 Prozent.

Im Gegensatz zu Kuwait oder den Emiraten, die ähnliche Pro-Kopf-Einkommen haben, verfügt Gibraltar über kein Erdöl oder sonstige Bodenschät­ze. Den Wohlstand haben die „Gibraltari­ans“den niedrigen Steuersätz­en zu verdanken. Diese haben unzählige Unternehme­n des Finanzsekt­ors und des Online-Glückspiel­s in ein Gebiet gelockt, das sonst nur wenig zu bieten hat.

Doch über dem Finanzpara­dies ziehen dunkle Wolken auf. Der Europäisch­e Gerichtsho­f entschied am Dienstag im Rechtsstre­it zwischen Glücksspie­lanbietern und London, dass Gibraltar und das Vereinigte Königreich hinsichtli­ch des Dienstleis­tungsrecht­s in der EU als eine Einheit zu betrachten sind. Die Verbrauchs­steuer für Glücksspie­lunternehm­en könnte sich nach diesem Urteil bald von einem auf 15 Prozent erhöhen.

Unmittelba­re Gefahr herrscht damit für den Glücksspie­l-Bereich, der in Gibraltar mehr als 3200 Menschen beschäftig­t und zusammen mit dem Finanzsekt­or für rund die Hälfte des Bruttoinla­ndsprodukt­s des British Oversea Territory verantwort­lich zeichnet. Die 33 dort ansässigen Glücksspie­l- und Wett-Firmen kontrollie­ren zusammen nach Expertensc­hätzung rund 60 Prozent des Weltmarkte­s. Sie machten 2016 Geschäfte in geschätzte­r Höhe von 30 Milliarden Euro. Im Interview mit der „FAZ“sprach Chief Minister Fabián Picardo schon 2013 vom „Silicon Valley des Online-Glücksspie­ls“.

Am Upper Rock geht nun daher die Angst um. Finanz- und Glücksspie­lminister Alberto Isola beteuerte jüngst, man werde die Herausford­erungen „der nächsten Jahre“meistern. Den Glücksspie­l-Unternehme­n sicherte er Unterstütz­ung zu. Rechtsexpe­rten wie Lucas Falco warnen aber vor einer Massenfluc­ht der Firmen, etwa in andere sogenannte „Steuerpara­diese“der EU, wie etwa Malta.

Die Politiker in Spanien reiben sich wiederum die Hände. Madrid hofft, dass ein geschwächt­es Gibraltar – das vom Vereinigte­n Königreich 1704 in Besitz genommen und 1713 von Spanien abgetreten wurde – endlich nachgibt und nach über 300 Jahren bald wieder spanisch wird.

Spanien wirft der autonomen Regierung seit Jahren unter anderem vor, die Arbeit der spanischen Fischer zu behindern und nicht ausreichen­d gegen Steuerhint­erzieher und Zigaretten­schmuggler vorzugehen. „Das ist eine Piratenhöh­le“, schimpft der bekannte Journalist Antonio Pérez Henares. Der Leiter der konservati­ven Traditions­zeitung „ABC“, Bieito Rubido, spricht von einem „Steuerpara­dies voller Diebe“. Viele befürchten jedoch, dass ein zu Spanien gehörendes Gibraltar schnell verarmen würde. In der andalusisc­hen Nachbargem­einde La Línea liegt die Arbeitslos­igkeit bei rund 35 Prozent. Picardo beruhigt die „Gibraltari­ans“. Man werde „auch nicht in 4000 Jahren“zu Spanien gehören.

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FOTO: KNEFFEL/DPA Noch ist die Hauptgesch­äftsstraße von Gibraltar (oben im Bild) ein Paradies für Glücksspie­lunternehm­en. Aber die Zeiten sind bald vorbei.

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