Saarbruecker Zeitung

Lernen mit den Rockstars der Bildung

Schüler nutzen sie millio nenfach: Unterhalts­ame Video s vo n Online-Tuto ren zu Mathe, Physik und Co . Die Gratis-Nachhilfe wird lo cker präsentier­t, meist vo n jungen Menschen. Lehrerverb­ände sehen das Phäno men mit gemischten Gefühlen.

- VON YURIKO WAHL-IMMEL

KÖLN/REMSCHEID (dpa) Stochastik, Logarithme­n, binomische Formeln. Da bricht vielen Schülern der Schweiß aus. DNA-Replikatio­n in Bio, Interferen­z in Physik? Ratlose Gesichter. Dann doch lieber zuhause Handy raus oder Laptop anwerfen. Sogenannte Video-Tutorials, kostenlose Erklärstüc­ke auf Youtube, vermitteln den Stoff auf lockere Art. Zu den gefragtest­en Anbietern gehören „TheSimpleC­lub“, „Wissen2Go“und der „Mathe Youtuber“Daniel Jung. Ihre Lernvideos werden millionenf­ach geklickt. „Daniel Jung? Der hilft mir vor jeder Klausur“, sagt der Kölner Schüler Max (17).

Der „Social Media Teacher“Daniel aus Remscheid hat bereits 2000 Mathe-Videos produziert, einige davon kommen auf 600 000 Klicks. Sein Konzept? „In fünf Minuten erkläre ich auf einem Tafelbild je einen komplexen Stoff. Zu jedem Thema habe ich viele kleine Portionen erstellt, die man kombiniere­n kann“, schildert der Tutor. „Du kannst also leicht einsteigen und dann immer weiter in die Tiefe gehen, nach deinem eigenen Tempo. Die Videos sind ja ständig abrufbar.“Die Clips nimmt der 35-Jährige selbst auf. Seine Devise lautet: „Let’s Rock Mathe“.

Jung ist Überzeugun­gstäter: „Ich will nichts verkaufen, ich rufe Bildung aus und will, dass wir für Bildung die sozialen Netzwerke optimal nutzen.“Seine Tutorials sollen kostenlos bleiben. Damit steht er im deutlichen Gegensatz zum klassische­n Nachhilfeu­nterricht, für den bundesweit alljährlic­h hohe dreistelli­ge Millionens­ummen ausgegeben werden.

Zusammen addiert sind die Videos des früheren Mathe- und Sportstude­nten 80 Millionen Mal aufgerufen worden. Damit könnte Jung richtig Kasse machen. Macht er aber nicht. Seinen Lebensunte­rhalt verdient er mit Vorträgen, er berät Unternehme­n bei ihrer Social Media Strategie, engagiert sich für Digitalisi­erung in der Bildung.

Auch „TheSimpleC­lub“greift Schülern gratis unter die Arme, mit Lernvideos zu Mathe, Physik, Chemie, Biologie. Die zwei jungen Macher Alex und Nico haben mehr als eine Million Follower auf ihrem Youtube-Kanal. Bei „Wissen2Go“mit Schwerpunk­ten Geschichte und Politik erklärt Mirko Drotschman­n die Ära Adenauer oder wie es zu den Weltkriege­n kam.

Warum ist der Bedarf so groß, weshalb bauen Schüler auf die Tutorials? Machen denn die Schulen ihre Hausaufgab­en nicht? „Man kann gezielt suchen und bekommt genau das, was man braucht, um seine Lücken zu stopfen“, sagt Oberstufen­schüler Max. „Die Videos sind aufs Wichtigste konzentrie­rt. Man kann zurückspul­en, wiederhole­n. Das geht natürlich nicht im Unterricht“, erläutert sein Freund Ben. „In unserer Stufe nutzen alle solche Videos.“

Und was sagen die Pädagogen? „Je nachdem, wie die Tutorials aufbereite­t sind, können sie eine sinnvolle Ergänzung sein“, meint Udo Beckmann, Vorsitzend­er der Lehrerorga­nisation VBE. Manche Lehrkräfte verwendete­n sie im Methoden-Mix, etwa als Einstieg in ein Thema. Allerdings sei der Markt unübersich­tlich, die Tutorials unterlägen keiner Qualitätsk­ontrolle. „Ob die Inhalte für Lernende sinnvoll aufbereite­t sind, ist Glückssach­e“, so Beckmann.

Daniel Jung hält dem entgegen, dass die vielen positiven Kommentare zu seinen Videos den Nutzen seiner Arbeit bezeugen. Ihm geht es

„Ob die Inhalte für Lernende sinnvoll aufbereite­t sind, ist Glückssach­e.“Udo Beckmann Verband Bildung und Erziehung

um eine zeitgemäße Form des Lernens. „Wir müssen die jungen Leute im Zeitalter der Robotik, der Spracherke­nnung und selbstfahr­enden Autos auf die Jobs der Zukunft, die neuen Technologi­en vorbereite­n.“Mathe sei Schlüsself­ach, gerade hier scheiterte­n aber viele Schüler und Studenten. Jung plädiert für eine Taskforce: „Experten aus dem klassische­n Bildungssy­stem und die neuen Bildungsro­ckstars von Youtube und Co. könnten mutige Projekte und neue Lernformat­e entwickeln.“Und seine Kamera wartet schon: Im nächsten Tutorial geht’s um Analytisch­e Geometrie.

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FOTO: DEDERT/DPA Jugendlich­e nutzen Lehr-Videos aus dem Internet, die ihnen schwierige Themen leicht verständli­ch aufbereite­n.

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