Ein schläfriger Käfer als Glücksbringer
GESCHICHTE Wie sich ein Gänseblümchen und ein Marienkäfer anfreundeten.
Überall auf der Waldwiese lachten bunte Blütenköpfe zur Sonne hinauf. Wie sehr freuten sie sich über die herrlichen Frühsommertage! Nur rechts neben dem großen Stein wartete eine Gänseblümchen-Knospe noch darauf, sich entfalten zu dürfen. Ein Marienkäfer hatte sich in einer kalten Nacht zu ihr unter das Blatt, das die Knospe bedeckte, gekuschelt. Nun war der Käfer so müde, dass er mit nichts wegzulocken war.
„Hey!“, rief die Blütenknospe. „Du versperrst mir den Weg. Such dir einen anderen Platz zum Schlafen.“„Warum?“Der Käfer gähnte. „Bei dir bin ich glücklich. Weißt du eigentlich, dass ich ein Glückskäfer bin?“„Pah!“, machte das Gänseblümchen. „Mir bringst du gar kein Glück. Steh endlich auf! Ich möchte der Sonne zulächeln.“„Lächle mir zu!“, meinte der Marienkäfer nur. Er drehte sich um und schlief weiter.
Bittere Tränen weinte das Gänseblümchen da. Der faule Käfer aber war nicht mehr aufzuwecken. Und so sah das Blümchen sehr betrübt seinen Kollegen zu, wie sie der Sonne zulachten und sich im Wind bewegten. „Ich habe eben kein Glück“, murmelte es. „Stimmt!“, lachten seine Kollegen. „Hm!“, murmelte die Sonne. „Falsch!“, brummte der Käfer im Halbschlaf. „Wer einen Glückskäfer zum Freund hat, wird das Glück auch finden.“Das Blümchen schwieg. Freundschaft hatte es sich anders vorgestellt. Es schloss die Augen und träumte von einem erfüllten Leben als wunderschöne Blüte.
Lautes Stampfen und Mähen riss es viele Tage später aus seinem Schlaf. Was war hier denn auf einmal los? Verwundert und ein bisschen aufgeregt lugte das Gänseblümchen unter dem Blatt hervor. Der Käfer war verschwunden. „Hurra!“, wollte es rufen und das Blatt über seiner Knospe wegschieben. Dann aber sah es die großen Tiere mit ihren Zottelwollpelzen. Überall auf der Wiese standen sie und gruben ihre Zähne in das Gras. Und sie fraßen gierig alle Blüten auf. Schnell duckte sich das Gänseblümchen wieder unter dem Blatt, das ein feines Versteck gegen die tierischen Feinde war.
„Hoffentlich finden sie mich nicht“, murmelte es. „Oh bitte, ihr dürft mich nicht entdecken!“Es hatte Glück. Als die Schafherde am nächsten Tag weiterzog, war die Wiese fast kahl. Die meisten Wiesenblüten waren verschwunden. Keine Blume und kein Grashalm hatte Zeit gefunden, Samen in der Erde zu verteilen. „Was habe ich doch für ein Glück!“, rief das Blümchen. Es schob das Blatt beiseite und entfaltete seine Knospe. Und dann blühte und lachte es und freute sich viele Frühsommertage lang bis es Zeit war, die reifen Samen auf ihren Weg zu schicken.
Abends saß oft ein Gast auf seiner Blütensonne. Der Marienkäfer! Manchmal schlief er dort auch ein, denn er war noch immer oft müde. „Und ich habe dir doch wirklich Glück gebracht, oder?“, fragte er zuweilen und summte fröhlich ein Liedchen, wenn ihm das Blümchen zur Antwort zulächelte.