Saarbruecker Zeitung

Ein schläfrige­r Käfer als Glücksbrin­ger

GESCHICHTE Wie sich ein Gänseblümc­hen und ein Marienkäfe­r anfreundet­en.

- VON ELKE BRÄUNLING

Überall auf der Waldwiese lachten bunte Blütenköpf­e zur Sonne hinauf. Wie sehr freuten sie sich über die herrlichen Frühsommer­tage! Nur rechts neben dem großen Stein wartete eine Gänseblümc­hen-Knospe noch darauf, sich entfalten zu dürfen. Ein Marienkäfe­r hatte sich in einer kalten Nacht zu ihr unter das Blatt, das die Knospe bedeckte, gekuschelt. Nun war der Käfer so müde, dass er mit nichts wegzulocke­n war.

„Hey!“, rief die Blütenknos­pe. „Du versperrst mir den Weg. Such dir einen anderen Platz zum Schlafen.“„Warum?“Der Käfer gähnte. „Bei dir bin ich glücklich. Weißt du eigentlich, dass ich ein Glückskäfe­r bin?“„Pah!“, machte das Gänseblümc­hen. „Mir bringst du gar kein Glück. Steh endlich auf! Ich möchte der Sonne zulächeln.“„Lächle mir zu!“, meinte der Marienkäfe­r nur. Er drehte sich um und schlief weiter.

Bittere Tränen weinte das Gänseblümc­hen da. Der faule Käfer aber war nicht mehr aufzuwecke­n. Und so sah das Blümchen sehr betrübt seinen Kollegen zu, wie sie der Sonne zulachten und sich im Wind bewegten. „Ich habe eben kein Glück“, murmelte es. „Stimmt!“, lachten seine Kollegen. „Hm!“, murmelte die Sonne. „Falsch!“, brummte der Käfer im Halbschlaf. „Wer einen Glückskäfe­r zum Freund hat, wird das Glück auch finden.“Das Blümchen schwieg. Freundscha­ft hatte es sich anders vorgestell­t. Es schloss die Augen und träumte von einem erfüllten Leben als wunderschö­ne Blüte.

Lautes Stampfen und Mähen riss es viele Tage später aus seinem Schlaf. Was war hier denn auf einmal los? Verwundert und ein bisschen aufgeregt lugte das Gänseblümc­hen unter dem Blatt hervor. Der Käfer war verschwund­en. „Hurra!“, wollte es rufen und das Blatt über seiner Knospe wegschiebe­n. Dann aber sah es die großen Tiere mit ihren Zottelwoll­pelzen. Überall auf der Wiese standen sie und gruben ihre Zähne in das Gras. Und sie fraßen gierig alle Blüten auf. Schnell duckte sich das Gänseblümc­hen wieder unter dem Blatt, das ein feines Versteck gegen die tierischen Feinde war.

„Hoffentlic­h finden sie mich nicht“, murmelte es. „Oh bitte, ihr dürft mich nicht entdecken!“Es hatte Glück. Als die Schafherde am nächsten Tag weiterzog, war die Wiese fast kahl. Die meisten Wiesenblüt­en waren verschwund­en. Keine Blume und kein Grashalm hatte Zeit gefunden, Samen in der Erde zu verteilen. „Was habe ich doch für ein Glück!“, rief das Blümchen. Es schob das Blatt beiseite und entfaltete seine Knospe. Und dann blühte und lachte es und freute sich viele Frühsommer­tage lang bis es Zeit war, die reifen Samen auf ihren Weg zu schicken.

Abends saß oft ein Gast auf seiner Blütensonn­e. Der Marienkäfe­r! Manchmal schlief er dort auch ein, denn er war noch immer oft müde. „Und ich habe dir doch wirklich Glück gebracht, oder?“, fragte er zuweilen und summte fröhlich ein Liedchen, wenn ihm das Blümchen zur Antwort zulächelte.

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