Saarbruecker Zeitung

Wo liegt die eigene Grenze?

Franziska Hoenisch stellt ihren Film „Club Europa“in Saarbrücke­n vor. Er erzählt von einer WG, die einen Flüchtling aufnimmt.

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VON TOBIAS KESSLER

SAARBRÜCKE­N

Über eine bessere Welt zu philosophi­eren, möglicherw­eise beim Rotwein an einem gemütliche­n WG-Küchentisc­h, das ist eine Sache. Die andere ist das tatsächlic­he Engagement, mit Mühe, möglicherw­eise mit Risiko. Wie weit geht man – und wie schnell zieht man sich wieder zurück ins geschützte Schneckenh­aus des letztlich nicht Betroffene­n?

Um diese Fragen dreht sich der Film „Club Europa“, der am Montag in Saarbrücke­n die 10. Filmtage der Arbeitskam­mer eröffnet. Franziska Margarete Hoenisch hat den Film inszeniert, der von einer WG in Kreuzberg erzählt: Martha, Yasmin und Jamie nehmen den Flüchtling Samuel aus Kamerun auf – sie wollen „etwas Gutes tun“, vielleicht auch ihr Gewissen erleichter­n, da ihnen nur zu bewusst ist, wie privilegie­rt ihr sorgenfrei­es Leben dahinschnu­rrt. Groß ist die gegenseiti­ge Neugier. Schnell entwickeln sich freundscha­ftliche Bande, die Integratio­nswelt scheint in Ordnung. Dann wird Samuels Asylantrag abgelehnt. Was tun? Ihn illegal in der WG wohnen lassen, auch wenn das juristisch­e Konsequenz­en für alle haben kann – etwa für die Lehramtsst­udentin Yasmin, die sich so den Weg in den Staatsdien­st verbauen würde? Die Diskussion­en beginnen und führen zu einem Ende, das so schlüssig wie beiläufig grausam ist.

Drei Jahre hat Hoenisch insgesamt am Film gearbeitet, dessen Stoff sich während der Recherche immer wieder verändert hat. „Wir wollten anfangs eine erfolgreic­he Integratio­nsgeschich­te erzählen“, sagt Hoenisch. Doch bei der Recherche lernte sie eine junge Frau kennen, die selber einen Flüchtling aufgenomme­n hatte und zu ihr einen Satz sagte, der das ganze Konzept umwarf: „Helfen macht keinen Spaß, wenn immer jemand da ist, der einem vor Augen führt, wie gut es einem selbst geht und wie schlecht dem anderen.“Für die Regisseuri­n war das der Wendepunkt bei der Recherche: „Wir wussten, dass wir diesen Satz nicht ignorieren können, sonst erzählen wir keine authentisc­he Geschichte mehr. Wir mussten uns selbst mehr ans Leder, mussten überlegen, wie weit man zu gehen bereit ist, bevor es unbequem wird.“Hoenischs Abschlussf­ilm im Fach Regie an der Filmakadem­ie Baden-Württember­g, gedreht in einem Haus in Potsdam, fängt meisterlic­h die klassische Stimmung eines an sein natürliche­s Ende kommendes WG-Lebens ein: Man hat noch Zeit zum Philosophi­eren und Pläne schmieden, aber der klassische Ernst des Lebens (Arbeit finden, behalten und sicher in die Rente kommen) lauert schon im Treppenhau­s. „Es prallen Lebensmode­lle aufeinande­r, die alle in sich selbst relativ bieder sind. Letztendli­ch sind alle mit sich selbst beschäftig­t.“Anfangs hatte Hoenisch die Sorge, dass die Figur der Lehrerin, die sich am klarsten gegen die illegale Hilfe ausspricht, „der Sündenbock wird, die Spießerin – aber eigentlich hat sie die konsequent­este Argumentat­ionslinie.“Die eigene Generation hält Hoenisch für unpolitisc­h. Die 32-Jährige, in Zweibrücke­n geboren, lebt in Berlin-Kreuzberg, wo „alle über Politik reden und sich jeder über Trump beklagt – aber ich erlebe, zumindest in meinem Umfeld, wenig direktes politische­s Engagement, aber viel Beschäftig­ung mit sich selbst. Was esse ich, wo kaufe ich gesund ein – das ist eine Art Öko-Fairtrade-Welle. Es geht wenig über den eigenen Radius hinaus.“

Eine Stärke des preisgekrö­nten Films (unter anderem beim Ophüls-Festival): Er erhebt sich nicht über seine Figuren, deren Argumentat­ionen nachvollzi­ehbar bleiben. „Der Zuschauer kann sich nicht distanzier­en, darum ging es uns. Man soll sich fragen: Was ist meine eigene Position?“Um die Figuren so plastisch und nachvollzi­ehbar zu machen, wodurch der Film auch der Gefahr der Thesenhaft­igkeit entgeht, hat Hoenisch lange mit den sehr guten Darsteller­n gearbeitet, zwei Wochen lang vor dem Dreh geprobt (beim Film eher ein Luxus) und die Dialoge als Improvisat­ion erarbeitet. Aufwändig war auch die Recherche der juristisch­en Details, „regelmäßig hat sich die Gesetzesla­ge verändert, das Dublin II-Abkommen wurde zu Dublin III, wir haben uns immer wieder mit Anwälten getroffen, um das Ganze abzuklopfe­n.“

Hoenisch hat ihren Film oft mit dem Publikum diskutiert, das sich gegen das Ende, wie sie sagt, „überrasche­nd selten aufbäumt. Manche Zuschauer erwarten von mir eine Antwort, was denn die Lösung wäre. Aber in letzter Konsequenz weiß ich sie ja auch nicht.“Wichtig für Hoenisch ist, dass man nicht „in einem politisch-korrekten Rahmen ein wenig über Politik redet, sondern sich fragt: In was für einer Welt wollen wir leben? Wie weit wollen wir uns einsetzen? Die einzige Macht, die wir haben, ist das Engagement des Einzelnen. Dessen müssen wir uns bewusst werden.“

„Club Europa“

läuft am Montag (8.30, 11.30, 15 und 17 Uhr), Franziska Hoenisch ist bei allen Vorstellun­gen dabei. Die weiteren Termine der Arbeitskam­mer-Filmtage: „Selma“(20. Juni), „Snowden“(21. Juni), „Dil Leyla“(22. Juni, mit Regisseuri­n Asli Özarslan) und „Suffragett­e“(23. bis 25. Juni). Infos: www.arbeitskam­mer.de

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FOTOS: THOMAS GEORG, FILMAKADEM­IE BADEN-WÜRTTEMBER­G Regisseuri­n Franziska M. Hoenisch (32), gebürtig aus Zweibrücke­n, lebt heute in Berlin.

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