Saarbruecker Zeitung

Brand in London: Auf die Trauer folgt Wut

Anwohner und Angehörige fordern nun Antworten von Politikern.

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VON KATRIN PRIBYL

LONDON

Der Anblick des verkohlten, schwarzen Gerippes lässt einen erschauder­n. Der Grenfell Tower in West-London ragt nach dem verheerend­en Brand am frühen Mittwochmo­rgen wie ein Grabmal in den blauen Himmel. Wie viele Menschen in dem Bau verbrannt sind, weiß bislang niemand genau. Die Bergung gestaltet sich „aufgrund des gefährlich­en Zustands des Gebäudes“als schwierig, wie die Polizei mitteilte. Ständig zeigen die Menschen auf den Wohnblock, weinen, erzählen von dramatisch­en Geschichte­n, von Verlust und Verzweiflu­ng. Es ist herzzerrei­ßend. Mindestens 30 Menschen sind in dem Inferno gestorben. Doch die Behörden erwarten, dass die Zahl der Opfer weiter steigt. „Ich hoffe, dass sie nicht dreistelli­g wird“, sagte der zuständige Beamte.

Für die Opfer des Großbrands, die überlebt haben, stehen im Schatten des ausgebrann­ten Wohnblocks provisoris­ch aufgestell­te Tische mit Kartons voller Spenden – Essen, Kleidung, Getränke, Toilettena­rtikel. An fast jedem Baum, jeder Wand und jeder Telefonzel­le kleben Vermissten-Meldungen mit Fotos und Beschreibu­ngen von Bewohnern, von denen Angehörige und Freunde seit der Katastroph­e kein Lebenszeic­hen mehr erhalten haben. „Es erinnert mich an die Tage nach dem 11. September“, sagt eine New Yorkerin, die Spenden sortiert und seit Tagen kaum geschlafen hat – wie viele freiwillig­e Helfer.

An der Wand eines Gemeindeze­ntrums im Schatten des 24-stöckigen Sozialbaus hinterlass­en Trauernde Nachrichte­n. „Mein Herz blutet“, steht da geschriebe­n oder „Möge Gott mit euch sein“. Und immer wieder: „Wir wollen Antworten.“

Die Stimmung in der Gemeinde ist angespannt. In die Frustratio­n, Trauer und Verzweiflu­ng mischt sich schnell Wut. Sie richtet sich mittlerwei­le so ziemlich gegen alle Vertreter der Obrigkeit, die im reichen Bezirk Kensington und Chelsea jahrelang vor allem Immobilien­spekulante­n und ausländisc­he Investoren hofierten und sich wenig für die Arbeiterkl­asse interessie­rten, so die Kritik etlicher Bewohner. Wer ist Schuld an dem Desaster? War der Brandschut­z tatsächlic­h mangelhaft, wie die Grenfell-Mieterinit­iative bereits seit Jahren beklagt? Hat die erst kürzlich im Zuge der Sanierungs­arbeiten angebracht­e Fassadenve­rkleidung den Brand in ein Inferno verwandelt? Mehreren Medienberi­chten zufolge wurde für die Ummantelun­g entflammba­res, günstiges Material benutzt anstatt der teureren, feuerfeste­n Ausführung. Die Behörden aber warnen seit Tagen vor Spekulatio­nen über die Brandursac­he. Premiermin­isterin Theresa May kündigte eine unabhängig­e Untersuchu­ng an. Doch die Ermittlung­en könnten sich noch viele Wochen oder gar Monate hinziehen. Zudem werde es laut Polizei lange dauern, bis die Spezialkrä­fte das Hochhaus vollständi­g durchsucht und alle Opfer geborgen hätten. Derzeit kommen vor allem Drohnen und Spürhunde zum Einsatz.

Und mit jedem Tag wächst der Ärger – auf die Regierung, die Stadtverwa­ltung, die kommunalen Politiker. Besonders viel Wut fokussiert sich auf Theresa May. Sie besuchte am Donnerstag zwar den schwer gezeichnet­en Ort, sprach aber lediglich mit Polizisten, Feuerwehrl­euten und Sanitätern. Dass sie offenbar keine Zeit für eine Begegnung mit den Opfern hatte, löste einen Sturm der Empörung aus. May reagierte. Und besuchte gestern Nachmittag Überlebend­e in einem Krankenhau­s – „endlich“, meinte das Boulevardb­latt „Daily Mail“. Die wütenden Bewohner um den Grenfell Tower hat sie mit dieser Geste derweil kaum beruhigt. Sie fordern Antworten.

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FOTO: OXFORD/AFP; OBEN: HEIMKEN/DPA In den riesigen Flammen des Londoner Hochhaus-Brandes sind mindestens 30 Menschen gestorben.

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