Gedenken an Helmut Kohl
Im Berliner Kanzleramt hat sich gestern Angela Merkel in das Kondolenzbuch für Altkanzler Helmut Kohl eingetragen. „Mit Helmut Kohl verlieren wir einen großen Deutschen und großen Europäer“, schrieb sie. Kohl, der am Freitag im 87 Jahren verstarb, soll als erste Person in der EU-Geschichte mit einem europäischen Staatsakt in Straßburg geehrt werden. Im Speyrer Dom ist eine öffentliche Totenmesse geplant.
(dpa/ SZ) Walter Kohl erfuhr aus dem Radio vom Tod seines Vaters. Jahrelang hatte er keinen Kontakt zu dem Mann, der international als „großer Staatsmann“und „großer Europäer“gewürdigt wird. Für Walter Kohl war der Vater Helmut nicht der Held der Wiedervereinigung, sondern eine Enttäuschung – einer, der nicht da war, der sich nicht kümmerte, der den Kontakt abbrach. Im Sommer 2011 habe er das letzte Mal mit seinem Vater telefoniert, danach habe er ihn nicht mehr besuchen dürfen, erzählt Walter Kohl. Erst jetzt betritt er sein Elternhaus wieder. Erst jetzt, wo es den Vater nicht mehr gibt.
Der 53-Jährige wirkt aufgewühlt, als er aus dem Haus in Oggersheim kommt, das er erst nach anfänglichem Widerstand der Polizei betreten darf. Er lässt die Öffentlichkeit teilhaben an beklemmenden Details aus dem Innersten der Familie Kohl, einmal mehr. „Sie sehen einen Menschen, der eben sehr traurig ist“, sagt er da. „Mein Vater hat ja allen Kontakt abgebrochen zu vielen Menschen in seinem Umfeld.“Das gelte für ihn und seinen jüngeren Bruder Peter. Aber auch seine Enkel habe Helmut Kohl nicht sehen wollen. Die Kinder hätten sehr darunter gelitten, „dass ihr Großvater für sie nicht erreichbar war“.
Wie sehr er selbst als Kind gelitten hat, darüber hat Walter Kohl schon viel Auskunft geben, unter anderem im Buch „Leben oder gelebt werden“. Darin seziert er schonungslos das Leben im Hause Kohl, erzählt von Kälte und Distanz. Er beschreibt den Vater als einen, der alles für die Politik gab und für den die Familie nur Teil des politischen Bühnenbildes war. Und: Walter Kohl schildert, wie er vom Tod seiner Mutter Hannelore erfuhr. Ein Anruf: „Walter, deine Mutter ist tot.“Die Stimme am Telefon gehörte nicht seinem Vater, sondern dessen Büroleiterin.
2001 war das. Hannelore Kohl nahm sich damals das Leben. Mit einer Überdosis Schlaftabletten, daheim in Oggersheim, während Helmut Kohl in Berlin war. Jahrelang war sie krank, litt unter einer Lichtallergie, musste im Dunkeln leben. 41 Jahre lang war sie mit Helmut Kohl verheiratet. Und auch von ihr gibt es ein Buch, das einiges Düstere aus ihrem Leben als Kanzlergattin offenbart.
Ihr Tod nahm Helmut Kohl, so heißt es, stark mit. Genau wie der Verlust der großen Schwester Hildegard Getrey. Fotos vom Sterbeamt der Wahl-St-Ingberterin, die einen Architekten aus dem Saarland geheiratet hatte, zeigen einen sichtbar mitgenommenen Altkanzler.
Sieben Jahre nach dem Tod von Hannelore heiratete Kohl wieder: Maike Richter. Eine Volkswirtin, die später als Redenschreiberin im Kanzleramt arbeitete und Kohl dort in den 90er Jahren kennenlernte. Die beiden gaben sich 2008 das Ja-Wort – in der Kapelle eines Reha-Zentrums. Helmut Kohl war vorher schwer gestürzt und hatte ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Seitdem saß er im Rollstuhl und konnte nur noch schwer sprechen.
Der neuen Frau an seiner Seite wurde von vielen Seiten vorgeworfen, sie habe immer schon an den 34 Jahre älteren Kohl herankommen wollen, habe ihn systematisch abgeschottet, alle Fäden selbst in die Hand genommen und dafür gesorgt, dass er alte Bande kappt – zu seinen Söhnen, zu alten Vertrauten wie seinem Fahrer „Ecki“Seeber.
Bezeichnend ist ein Satz, den Sohn Walter draußen vor dem Haus in Oggersheim am Todestag des Vaters sagt. „Ich finde es schade, wenn man nicht in der Lage ist, die Dinge in diesem Leben zu regeln. Ich habe das versucht, über verschiedene Kanäle, ohne großes Glück“, so Walter Kohl. „Und jetzt ist es so, wie es ist.“
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