Saarbruecker Zeitung

Europa verneigt sich vor dem Einheitska­nzler

Regierungs­chefs und Präsidente­n werden nach ihrem Tod mit einem Staatsakt gewürdigt. Bei Helmut Kohl soll es etwas mehr werden.

- VON VERENA SCHMITT-ROSCHMANN, CHRISTIANE JACKE UND JÖRG BLANK

(dpa) Jean-Claude Juncker nannte Helmut Kohl einmal „den größten Europäer, den ich im Laufe meines Lebens kennenlern­en durfte“. Nach Kohls Tod am Freitag war der EU-Kommission­spräsident einer der ersten, der öffentlich um den Altkanzler trauerte. Jetzt will er dem Verstorben­en eine Ehre zuteil werden lassen, die es so noch nie gab: einen europäisch­en Staatsakt.

Die EU ist kein Staat. Der Begriff Staatsakt ist deshalb eigentlich schief. Eine solche Trauerzere­monie im Namen der EU, wie sie nun binnen zwei Wochen im Europaparl­ament in Straßburg stattfinde­n soll, ist in den europäisch­en Verträgen auch nirgends vorgesehen. Es war Junckers ganz persönlich­er Vorschlag zur Würdigung eines Mannes, den er auch als engen Freund und Förderer bezeichnet. Die Begründung liege auf der Hand. „Helmut Kohl hat das europäisch­e Haus mit Leben erfüllt“, schrieb er am Freitag. Der CDU-Mann war auch einer von nur drei europäisch­en Ehrenbürge­rn – neben dem europäisch­en Gründervat­er Jean Monnet und dem früheren Kommission­spräsident­en Jacques Delors.

Aber auch in Deutschlan­d dürfte es wohl eine größere Trauerzere­monie geben. Die „Bild“berichtet, direkt nach den Feierlichk­eiten in Straßburg sei in Kohls Heimat Rheinland-Pfalz eine Totenmesse geplant – im Speyerer Dom, einem symbolträc­htigen Ort in Kohls Leben. Dort suchte er als Junge im Zweiten Weltkrieg Schutz vor Fliegerang­riffen, dorthin führte er später als Kanzler zahlreiche Staats- und Regierungs­chefs. Und dort war 2001 die Totenmesse für seine erste Frau Hannelore. Der Sarg mit Kohls Leichnam soll mit dem Schiff ein Stück weit auf dem Rhein zum Dom gebracht werden – ähnlich wie 1967 beim Trauerstaa­tsakt für den früheren Kanzler Konrad Adenauer. Damals entstanden monumental­e Bilder.

Die Bundesregi­erung und das Präsidiala­mt hielten sich zunächst bedeckt zu alldem. Das Wochenende über liefen Gespräche zwischen Berlin und Brüssel, mit der Familie und Vertrauten von Kohl. Diese sind weit gediehen, gehen zu Wochenbegi­nn aber weiter. Erst wenn die Abstimmung mit Kohls Witwe komplett abgeschlos­sen ist, dürfte Berlin offiziell bekanntgeb­en, was geplant ist.

Gerade weil es so etwas noch nicht vorher gab, ist der Klärungsbe­darf groß. Staatsbegr­äbnisse und Trauerstaa­tsakte in Deutschlan­d folgen detaillier­ten protokolla­rischen Vorgaben. Der Bundespräs­ident muss einen Staatsakt anordnen, um die Organisati­on kümmert sich meist das Innenminis­terium. Aber wie ist es bei einem Trauerakt auf EU-Ebene? Wer ordnet da an, wer organisier­t? Und ersetzt diese Veranstalt­ung einen Staatsakt in Deutschlan­d?

Und: Sollte der Sarg Kohls dann in Straßburg aufgebahrt werden, wie bei Staatsakte­n üblich, wie wird er dann schnell genug zur Trauerfeie­r nach Deutschlan­d transporti­ert? Und wer könnte die Reden halten? Ein früherer Weggefährt­e Kohls, etwa Ex-Kreml-Chef Michail Gorbatscho­w und Ex-US-Präsident George Bush senior, mit denen Kohl die Deutsche Einheit ausgehande­lt hatte. Oder doch der EU-Kommission­schef?

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FOTO: SCHMIDT/DPA Mit Kerzen, Blumen und Banner, niedergele­gt vor dem Haus des verstorben­en Helmut Kohl in Ludwigshaf­en-Oggersheim, zollen die Menschen dem Altkanzler ihren Respekt.

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