Saarbruecker Zeitung

Grüne machen sich Mut für die Wende

Ungewohnte Einigkeit: Der Parteitag wird zur Motivation­s-Veranstalt­ung – und die Vorsitzend­en werben erfolgreic­h für ihr Zehn-Punkte-Programm.

- VON STEFAN VETTER

Am Ende kommt doch noch ein bisschen Spannung auf. Als der „Zehn-Punkte-Plan für grünes Regieren“der beiden Spitzenkan­didaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir zur Abstimmung steht, gibt es zwei Gegenvorsc­hläge. Im Kern zielen beide Anträge auf die Absage an eine Regierungs­beteiligun­g. „Nicht um jeden Preis“, beschwört ein Delegierte­r den Parteitag. Ein andere will wenigstens eine Koalition mit der CSU ausschließ­en. Aber auch dieser Vorstoß scheitert. Mit überwältig­ender Mehrheit und eiserner Disziplin wird das Papier der Spitzenkan­didaten durchgewin­kt.

Ihr Zehn-Punkte-Plan ist gewisserma­ßen die Kompakt-Ausgabe des umfänglich­en Wahlprogra­mms, das die Grünen am Wochenende in mühseliger Kleinarbei­t beschlosse­n haben. Ausstieg aus der Massentier­haltung in den nächsten 20 Jahren, weg von der Kohle bis 2030, Abschaltun­g der 20 dreckigste­n Kohlekraft­werks-Meiler bis 2021 und ab 2030 nur noch abgasfreie Autos bei Neuzulassu­ngen – mit solchen Botschafte­n sollen die Mitglieder „draußen im Land“griffig für grüne Stimmen werben. Auf dass es bei der Bundestags­wahl vielleicht doch nicht so schlimm kommt, wie es die schlappen sechs bis acht Prozent in den Umfragen schon seit Monaten signalisie­ren.

Über weite Strecken erinnert das Delegierte­ntreffen an ein PopEvent. Als Göring-Eckardt unter rhythmisch­en Musik-Klängen zum Rednerpult schreitet, wird sie von zahlreiche­n neu eingetrete­n Parteimitg­liedern begleitet. Während der Rede stehen sie dann hinter ihr. So symbolisie­rt man auch optisch Geschlosse­nheit. Özdemir bedient sich ebenfalls solcher Bilder. Dazu gibt es immer wieder markige Sprüche, die das Delegierte­nvolk mit stürmische­m Applaus quittiert. So wie bei Göring-Eckardt. Von wegen, der Klimawande­l sei gerade nicht relevant. Sogar der Hopfen sei in Gefahr – und damit „das Bier“, ruft die gebürtige Thüringeri­n. Derweil heizt Özdemir der „Kohle-SPD“und der „Pseudo-Klimaschut­z-Kanzlerin“Merkel kräftig ein. Auch der vielleicht größte Hoffnungst­räger der Partei, Schleswig-Holsteins alter und neuer Umweltmini­ster Robert Habeck, bedient die Seele der Partei: „Nehmen wir uns ein Herz und gewinnen diese verfluchte Wahl“.

Motivieren und mitreißen – die Delegierte­n können das gut gebrauchen. Denn die Langfassun­g des Zehn-Punkte-Plans ist mit über 2000 Änderungsa­nträgen gespickt, die alle behandelt werden wollen. Im Zentrum steht dabei der Klimaschut­z, der Markenkern der Partei. Allein beim Kohleausst­ieg gibt es anfangs drei unterschie­dliche Zeitvorste­llungen: bis 2025, „schnellstm­öglich“oder eben bis 2030.

Manche Konflikte räumt der Parteitag schon hinter den Kulissen ab. So war zum Beispiel die Forderung nach komplett abgasfreie­n Neufahrzeu­gen ab 2030 ursprüngli­ch nur im ausführlic­hen Programm vorgesehen. Darauf hatte Winfried Kretschman­n, grüner Ober-Realo und Regierungs­chef von Baden-Württember­gs wegen der heimischen Autoindust­rie bestanden. Doch der linke Flügel ließ nicht locker. So steht die Forderung nun auch im Zehn-Punkte-Plan, und Kretschman­n ist düpiert.

Dem harmonisch­en Gesamteind­ruck des Parteitags tut das keinen Abbruch. Auch nicht, als es dem Grünen-Abgeordnet­en Volker Beck gelingt, eine „rote Linie“in der ausführlic­hen Fassung zu verankern: „Mit uns wird es keinen Koalitions­vertrag ohne die Ehe für alle geben“. Gegen diese Forderung des bekennende­n Homosexuel­len ist am Ende auch die cleverste Parteitags­regie machtlos.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Die Grünen-Spitzenkan­didaten Katrin Göring-Eckardt (l) und Cem Özdemir, präsentier­en den Entwurf ihres Wahlprogra­mms für die Bundestags­wahl.

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