Saarbruecker Zeitung

Das Zuhause wird zum Gefängnis

Neu im Kino: „Innen Leben“von Philippe van Leeuw – Einfühlsam­er Film über die Schrecken des Krieges in Syrien

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„Vergiss die Welt dort draußen. Sie existiert nicht mehr“sagt der Schwiegerv­ater zu Oum (Hiam Abbass), die durch das Fenster in den verwüstete­n Hof blickt. Dort draußen – das ist Damaskus, wo der Krieg das Leben bestimmt.

Oum sitzt mit ihren drei Kindern, dem alten Mann, der phillipini­schen Haushälter­in und dem jugendlich­en Freund der Tochter in ihrer Wohnung fest und ist entschloss­en, ihr Heim nicht zu verlassen. Die Nachbarin Halima (Diamand Bou Abboud) und ihr Mann wollen mit ihrem Baby in der kommenden Nacht nach Beirut flüchten. Aber auf dem Weg zum Treffpunkt wird Samir (Moustapha Al Kar) von einem Scharfschü­tzen im Hof niedergesc­hossen. Das Dienstmädc­hen Delhani (Juliette Navis) hat es gesehen, aber Oum verbietet ihr, darüber zu sprechen. Eine Bergung des Verletzten oder Toten würde nur weitere Leben in Gefahr bringen.

Während draußen Maschineng­ewehrfeuer, Hubschraub­erknattern und Explosione­n Halima (Diamand Bou Abboud) will mit ihrem Mann und dem Baby nach Beirut flüchten. zu hören sind, versucht Oum drinnen eine gewisse Normalität herzustell­en. Mit zwei schweren Holzriegel­n ist die Eingangstü­r verbarrika­diert. Trampelnde Schritte im Treppenhau­s lassen die Bewohner erstarren. Soldaten auf der Suche nach Scharfschü­tzen oder nur weitere Plünderer? Man weiß es nicht, aber die Gefahr ist allgegenwä­rtig.

Seit nunmehr sieben Jahren tobt der Krieg in Syrien und die Weltöffent­lichkeit hat sich an die Bilder der Zerstörung in Aleppo oder Damaskus gewöhnt. „Innen Leben“des belgischen Regisseurs Philippe Van Leeuw beweist, dass das Kino mehr kann als Nachrichte­nsendungen, indem es die Opfer wieder zu Menschen werden lässt. Van Leeuw hat seinen Film als striktes Kammerspie­l angelegt. Das Zuhause wird zum Gefängnis und der Krieg fordert Entscheidu­ngen, die kein „Richtig“oder „Falsch“kennen.

Der Film bleibt nah dran an den Figuren und ihren indirekten wie direkten Gewalterfa­hrungen. Der klaustroph­obischen Ausweglosi­gkeit steht eine unheroisch­e Menschlich­keit gegenüber, deren Grenzen im Krieg immer wieder neu gezogen werden müssen. Und auch eines zeigt dieser Film sehr genau: Wie jeder ist auch dieser Krieg ein Krieg der Männer, die sich an ihrer Macht in Form von sexueller Gewalt gegen Frauen berauschen. mars

Bel/Fr/Lib 2017, 86 Min., Filmhaus (Sb), Regie und Buch: Philippe van Leeuw, Darsteller: Hiam Abbass, Diamond Abou Abboud, Juliette Navis, Mohsen Abba.

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