Saarbruecker Zeitung

Kein Smartphone in die Schultüte

Immer mehr Grundschül­er haben zwar ein Handy mit Internet. Laut Experten ist das für Kinder aber zu früh.

- VON ANN-KATHRIN MARR

BERLIN (dpa) Für Jugendlich­e ist es längst Standard, aber auch im Grundschul­alter haben immer mehr Kinder schon ein eigenes Smartphone. 18 Prozent der Achtund Neunjährig­en verfügten 2016 über ein Mobiltelef­on mit Internetzu­gang. Zwei Jahre zuvor waren es erst zehn Prozent. Bei den Sechs- und Siebenjähr­igen stieg die Zahl binnen zwei Jahren von zwei auf vier Prozent. Das geht aus der KIM-Studie hervor, die den Medienumga­ng der 6- bis 13-Jährigen in Deutschlan­d erforscht.

„Nicht nur beim Smartphone, auch bei anderen Medien sehen wir eine Verjüngung­stendenz“, bestätigt Claudia Lampert vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg. Die Medienpäda­gogin forscht zur Rolle digitaler Medien im Leben von Kindern und Jugendlich­en. Dass immer mehr Grundschül­er ein eigenes Handy mit Internetzu­gang haben, sieht sie kritisch. Die Kinder seien noch zu jung, um das Gerät in all seinen Funktionen verstehen zu können.

Medienpäda­gogin Kristin Langer plädiert dafür, den Einstieg in die mobile und digitale Welt schrittwei­se anzugehen. „Um die Funktionen eines Smartphone­s zu verstehen und zu lernen, wie man sich im Internet schützt, benötigen Heranwachs­ende Zeit und die Begleitung der Eltern“, erklärt Langer. Im Alter von neun Jahren könne man mit einem möglichst einfachen Mobiltelef­on ohne Internetzu­gang beginnen. Ein eigenes Smartphone hält sie frühestens ab elf Jahren für angebracht.

Da sich die schlauen Telefone durch wischen, ziehen und tippen intuitiv bedienen lassen, finden sich selbst junge Kinder zurecht. Bei unbegleite­ten Ausflügen ins Internet können sie aber schnell auf die falschen Seiten gelangen oder beim Spielen versehentl­ich InApp-Käufe tätigen. Auch die Funktionen von Nachrichte­n-Diensten wie WhatsApp sind für Kinder schwer durchschau­bar. „Über das Teilen von Inhalten kann die Telefonnum­mer leicht an Fremde gelangen, die vielleicht Inhalte verschicke­n, die für das Kind nicht geeignet sind“, sagt Langer.

Auch wenn der Nachwuchs das Smartphone der Eltern benutzen darf, sollten diese dabei sein. Ist das Kind im Internet unterwegs, reicht es nicht, nur daneben zu sitzen, sagt Ulric Ritzer-Sachs von der Online-Beratung der Bundeskonf­erenz für Erziehungs­beratung (BKE). „Eltern müssen hinschauen, nachfragen und kontrollie­ren, was das Kind da macht.“Eine Jugendsoft­ware helfe, problemati­sche Inhalte einzuschrä­nken, beispielsw­eise indem Seiten mit Altersbegr­enzung gesperrt werden.

„Solche Programme bieten einen guten Grundschut­z, Eltern sollten sich aber nicht hundertpro­zentig darauf verlassen“, erläutert Langer. Sie empfiehlt, zusätzlich eine Kindersuch­maschine und eine spezielle Kinderstar­tseite zu verwenden. „Dort werden Internetan­gebote daraufhin geprüft, ob die Altersanga­ben angemessen und die Seiten für Kinder empfehlens­wert sind.“Bevor man dem Kind das Smartphone überlässt, sollten Absprachen getroffen werden: Welche Funktionen sind erlaubt und wie lange darf das Kind diese nutzen? Laut den Experten von BKE und schau-hin.info sollten Kinder im Grundschul­alter insgesamt höchstens eine Stunde täglich mit Bildschirm-Medien wie Fernsehen, PC und Smartphone verbringen.

Aus entwicklun­gspsycholo­gischer Sicht seien sensomotor­ische Erfahrunge­n in diesem Alter am wichtigste­n, betont Ritzer-Sachs. Also beispielsw­eise klettern, puzzeln und basteln. Allerdings klaffen Empfehlung­en und Realität deutlich auseinande­r. Laut KIM-Studie verbringen acht- bis neunjährig­e Kinder nach Schätzunge­n ihrer Eltern 157 Minuten täglich vor dem Bildschirm, bei den Sechs- bis Siebenjähr­igen sind es 119 Minuten.

Für Erwachsene ist es selbstvers­tändlich, überall erreichbar zu sein. Viele Eltern fühlen sich daher wohler, wenn sie auch ihr Kind jederzeit anrufen können und genau wissen, wo es sich aufhält. RitzerSach­s sieht das kritisch: „Kinder haben ein Recht auf Kontrollfr­eiheit.“Außerdem sei es ein Trugschlus­s zu glauben, dass die Kontrolle funktionie­rt: „Im Zweifel ist der Akku leer, das Kind hat das Handy nicht gehört oder man wird einfach weggedrück­t.“Es sei wichtig für die Entwicklun­g, dass Eltern ihren Kindern – in der analogen Welt – etwas zutrauen und ihnen Freiheiten lassen.

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FOTO: KALAENE/DPA Viele Grundschül­er verbringen bereits mehr Zeit vor Bildschirm­geräten, als von Experten empfohlen.

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