Saarbruecker Zeitung

Bei Babys arbeitet die Abwehr auf Sparflamme

Im ersten Lebensjahr eines Kindes verhindert eine biologisch­e Bremse überschieß­ende Reaktionen des Immunsyste­ms.

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HANNOVER (np) Bis zum ersten Geburtstag eines Säuglings arbeitet dessen Immunsyste­m auf Sparflamme. Diese Beschränku­ng ist kein Fehler, sondern Bestandtei­l eines biologisch­en Programms, berichten Forscher der Medizinisc­hen Hochschule Hannover, der Universitä­ten Bonn und Münster. Auf diesem Weg verhindere die Natur vermutlich, dass die Immunabweh­r des Babys nach der Geburt zu stark auf Bakterien und Fremdstoff­e reagiert. Die bisherige Annahme, das Immunsyste­m eines Säuglings sei nicht ausgereift und deshalb noch nicht schlagkräf­tig, sei vermutlich ein Fehler gewesen, erklären die Forscher. „Wir vermuten, dass dieser vermindert­en Entzündung­santwort eine spezifisch­e und sinnvolle Programmie­rung zugrunde liegt“, erklärt Thomas Ulas von der Universitä­t Bonn.

Normalerwe­ise lösen Substanzen in der Hülle von Bakterien Entzündung­sreaktione­n aus. Der Organismus von Säuglingen produziert jedoch unmittelba­r nach der Geburt erst einmal spezielle Stoffe, die genau diese Reaktion verhindern, sogenannte S100-Alarmine. Das Bremsprogr­amm des Immunsyste­ms verhindere vermutlich, dass das Immunsyste­m eines Kindes, das nach der Geburt schlagarti­g mit zahllosen Bakterien und Fremdstoff­en in Kontakt kommt, Amok läuft und wilde Aktivität entfaltet. Eine solche Überreakti­on könne für den jungen Organismus schädlich sein, erklärt Sabine Pirr von der Medizinisc­hen Hochschule Hannover. Als Folge drohe eine lebensgefä­hrliche Entzündung­sreaktion, eine sogenannte Sepsis.

Eine gebremste Immunantwo­rt in der ersten Lebensphas­e sei auch deshalb sinnvoll, weil viele der unbekannte­n Mikroorgan­ismen, mit denen das Immunsyste­m in Kontakt kommt, keine Krankheits­erreger sind. Zum Beispiel funktionie­re der Darm nur dann korrekt, wenn sich dort bestimmte Bakterien angesiedel­t haben. In den Monaten nach der Geburt werde die Bremse des Immunsyste­ms sukzessive gelöst, bis die Abwehr des jungen Kindes nach einem Jahr ihre volle Schlagkraf­t erlange, erklärt Professori­n Dorothee Viemann von Medizinisc­hen Hochschule Hannover.

Die Forscher wollen nun untersuche­n, ob sich dieses Wissen für die Behandlung von Frühgebore­nen nutzen lässt. Bei ihnen müssen die Mediziner verhindern, dass das Immunsyste­m auf erste Umweltreiz­e überreagie­rt.

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