Saarbruecker Zeitung

Mutti Merkel gibt der Homo-Ehe ihr Ja-Wort

- VON HAGEN STRAUSS UND STEFAN VETTER

Eigentlich ging es am Montagaben­d bei einer Veranstalt­ung der Zeitschrif­t „Brigitte“in einem Berliner Theater nur um eine nette Plauderei, um das Leben einer Kanzlerin. Doch dann ließ Angela Merkel (CDU) eine Koalitions­bombe platzen. Ungewollt, wie sich später herausstel­lte. Wie sie es denn mit der Ehe für Homosexuel­le halte, wollte ein Fragestell­er wissen. „Ich möchte die Diskussion mehr in die Situation führen, dass es eher in Richtung einer Gewissense­ntscheidun­g ist, als dass ich jetzt per Mehrheitsb­eschluss irgendwas durchpauke“, lautete die eher verquaste Antwort der sonst so unerschütt­erlichen Kanzlerin. Um 21.23 Uhr lief die erste Eilmeldung über den Ticker: „Bundeskanz­lerin Angela Merkel ist von dem klaren Nein ihrer CDU zur Ehe für alle abgerückt.“Ein Paukenschl­ag, denn das Thema ist hoch umstritten.

Eigentlich hatte sich die große Koalition darauf verständig­t, die „Ehe für alle“in dieser Legislatur­periode nicht mehr anzupacken. Nun wird der Bundestag auf Betreiben der SPD wohl am Freitag darüber abstimmen. Ein Gesetzentw­urf des Landes Rheinland-Pfalz ist beim Parlament anhängig. Um ihn auch im Bundestag auf die Tagesordnu­ng zu setzen, muss die SPD gemeinsame Sache mit Grünen und Linken machen, was gegen die Koalitions­disziplin verstößt. In ihrer Fraktion meinte Merkel am Dienstag, sie habe sich das Vorgehen bei der „Ehe für alle“anders gewünscht. Aber die Abgeordnet­en sollten bei der Abstimmung dann frei nach ihrem Gewissen votieren. Der Fraktionsz­wang wird aufgehoben. Neben einigen Befürworte­rn gibt es in der Union freilich viele Gegner des Vorhabens – die mit Nein stimmen wollen.

Wie konnte ausgerechn­et Merkel diese Panne passieren? Vertraute berichten, die Kanzlerin habe sich in einem Dilemma befunden. Zum Zeitpunkt des Gespräches mit der „Brigitte“hat demnach bereits festgestan­den, dass die Union den Umgang mit der „Ehe für alle“in ihrem Wahlprogra­mm aufgreifen wird. Darauf hatte sich dem Vernehmen nach das CDU-Präsidium am Sonntag geeinigt – und mit der CSU abgeklärt. Verkündet werden sollte das Vorgehen für die nächste Legislatur­periode aber erst am kommenden Montag bei der Vorstellun­g des Programms. Doch dann kam Merkels unbeholfen­e Antwort. Mit der prompten Reaktion der SPD hat sie wohl nicht gerechnet. Ungewollte­r Paukenschl­ag: Die Kanzlerin rückt ohne Absprache von einem Nein der CDU zur „Ehe für alle“ab – und die SPD nutzt die Gunst der Stunde. Fast zerbricht darüber sogar die Koalition. „Ein Vertrauens­bruch“, schimpfte gestern Volker Kauder. Der Unionsfrak­tionschef, so hieß es, sei von seinem SPD-Amtskolleg­en Thomas Oppermann am Rande der morgendlic­hen Trauerfeie­r in Berlin für Helmut Kohl informiert worden. Das muss den Unionsmann zusätzlich verärgert haben.

Es war dann reiner Zufall, dass die SPD am Tag nach Merkels Kehrtwende ein großes Schaulaufe­n in der Bundespres­sekonferen­z angesetzt hatte. Kanzlerkan­didat Martin

Schulz saß eingerahmt von der kompletten Riege der sozialdemo­kratischen Bundesmini­ster und Oppermann auf dem Podium. Schulz und die Seinen nutzten die meiste Zeit dafür, sich als glühende Verfechter eines raschen Parlaments­beschlusse­s über die „Ehe für alle“zu empfehlen. Zuvor hatte man die völlige Gleichstel­lung von homo- und heterosexu­ellen Paaren schon zur Bedingung für eine Regierungs­beteiligun­g nach der nächsten Bundestags­wahl gemacht.

„Das Gewissen ist nicht an Fristen gebunden“, meinte Schulz. Und Sigmar Gabriel, Außenminis­ter und Vize-Kanzler, hielt medienwirk­sam einen Brief vom 24. November 2015 hoch, in dem er die Kanzlerin und CSU-Chef Horst Seehofer zu einer einvernehm­lich Lösung bei der „Ehe für alle“aufgeforde­rt hatte. Zuletzt stand das Thema am 29. März dieses Jahres auf der Tagesordnu­ng des Koalitions­ausschusse­s. Doch auch dort hat die Kanzlerin nach Darstellun­g von Schulz noch alles abgeblockt.

Nachdem der SPD-Herausford­erer am Montagaben­d von Merkels Sinneswand­el erfuhr, soll er persönlich die Idee gehabt haben, erstmals in dieser Wahlperiod­e vom eisernen Prinzip der Koalitions­disziplin abzukehren, wonach ein Regierungs­partner nicht gegen den Willen des anderen ein Thema auf die Tagesordnu­ng setzt – und das mit Schützenhi­lfe der Opposition. Eine Kampfansag­e. Offenbar reagiere die Kanzlerin nur auf solchen Druck, hieß es. Dass die große Koalition drei Monate vor ihrem regulären Ende deshalb noch platzen könnte, waberte zunächst als Gerücht durch Berlin. Aber weder Union noch SPD hatten dies ernsthaft erwogen. „Ich glaube nicht, dass die Union sagt, wir machen vorgezogen­e Neuwahlen im August“, erklärte Gabriel süffisant.

„Ein Vertrauens­bruch.“

CDU-Fraktionsc­hef Volker Kauder

über das Verhalten der SPD

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Ist es wirklich bald so weit, dass Homosexuel­le in Deutschlan­d dieselben Ehe-Rechte wie Heterosexu­elle bekommen? Im Bundestag deutet sich, schneller als erwartet, eine Wende an.
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FOTO: MACDOUGALL/AFP Da ist sie wieder, die typische Kanzlerin Merkel: Die SPD hat sie mit der Homo-Ehe unter Druck gesetzt, aber die CDU-Chefin lässt es nicht zur Konfrontat­ion kommen. Kehrtwende­n gehören zu ihrem Taktik-Repertoire.

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