Saarbruecker Zeitung

Kinderärzt­e im Saarland beklagen Überlastun­g

Das ARD-Magazin „Report Mainz“kritisiert Kinderärzt­e stark: Sie kämen ihrer Pflicht nicht nach.

- VON JASMIN KOHL

(red) Viele Kinderärzt­e im Saarland sind zurzeit überlastet. Das sagte ein Sprecher des Berufsverb­andes der Kinder- und Jugendärzt­e der SZ. Gründe für die gestiegene Zahl von Patienten seien unter anderem Übergewich­t und Verhaltens­auffälligk­eiten bei zahlreiche­n Kindern. Nach Angaben der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g liegt die Zahl der Kinderärzt­e im Saarland mit derzeit 74 aber sogar über dem eigentlich­en Bedarf.

Das Kind liegt mit hohem Fieber im Bett, wimmert unter Gliedersch­merzen. Ans Aufstehen möchte es gar nicht denken. Kommt der Kinderarzt also zum Hausbesuch vorbei? Glaubt man dem ARD-Politikmag­azin „Report Mainz“tut er das immer weniger. Die Zahl der Hausbesuch­e habe sich innerhalb der letzten 20 Jahre halbiert. Die Gründe: Zeitmangel, zu schlechte Bezahlung und der Verdacht, Patienten wollten sich durch einen Hausbesuch nur die Wartezeit in der Praxis sparen. In seinem Beitrag vom 20. Juni übt das Magazin starke Kritik an den Kinderärzt­en, die nach ihrer Berufsordn­ung zu Hausbesuch­en verpflicht­et seien. Für Kassenärzt­e habe die Kassenärzt­liche Vereinigun­g mit den Krankenkas­sen zudem einen Vertrag ausgehande­lt. Er besagt, dass kranke Versichert­e einen Anspruch auf einen Hausbesuch haben, wenn ihnen der Praxisbesu­ch nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

Für Benedikt Brixius, Pressespre­cher des Berufsverb­andes der Kinder- und Jugendärzt­e im Saarland, bildet der Fernseh-Beitrag die Situation nicht wahrheitsg­emäß ab. „Die meisten kranken Kinder sind transportf­ähig, im Gegensatz zu alten, gebrechlic­hen Patienten“, sagt er. Der Besuch in der Praxis sei also in der Regel möglich. Wenn es notwendig sei, wie zum Beispiel bei beatmeten Kindern, komme der Kinderarzt aber auch nach Hause. Es gebe jedoch Patienten, die glaubten, der Kinderarzt müsse immer zum Hausbesuch vorbeikomm­en: „Letzte Woche hat mich eine Frau angerufen und verlangt, dass ich zu ihrem an Durchfall erkrankten Kind komme“, sagt er. Als er ihr zu erklären versucht habe, dass das kein Grund für einen Hausbesuch sei, sei sie sehr forsch aufgetrete­n. „Sie hat mir gesagt, dass sie den Fernseh-Beitrag gesehen hat und meinte, ein Anrecht auf den Hausbesuch zu haben“, sagt Brixius.

Der Grund, warum legitime Hausbesuch­e immer schwierige­r zu leisten seien, sei die „fehlgeleit­ete Bedarfspla­nung“. Seit 1992 regele diese, wie viele Kinderärzt­e es in welchem Umkreis geben darf. Seitdem sei sie nicht revidiert worden. „Es wird immer damit argumentie­rt, dass die Geburtenza­hlen gefallen sind“, sagt Brixius. Gleichzeit­ig hätten aber bestimmte Krankheits­bilder zugenommen, die für mehr Patienten in den Kinderarzt­praxen sorgen. „Übergewich­t ist ein Riesenprob­lem“, sagt Brixius. Auch im „sozialpädi­atrischen Bereich“, der Krankheite­n wie Verhaltens auffälligk­eiten( AD H S) und allgemein entwicklun­gs therapeuti­sche Aspekte umfasst, habe die Fall zahl zugenommen. Die Patienten zahl nehme auch durch die Flüchtling­skinder zu, die Vorsorge untersuchu­ngen brauchten. Brixius` Fazit: Kinderärzt­e sind derzeit extrem überlastet. Der Sprecher des BVKJ-Bundesverb­ands, Hermann Josef Kahl, bestätigt: „Die Mehrbelast­ung der Kinderund Jugendärzt­e wird von der Politik vollkommen ignoriert.“

G unter Hauptmann, Vorstandsv­orsitzende­r der Kassen ärztlichen Vereinigun­g (KV) Saarland, widerspric­ht: „Die Bedarfspla­nung wurde 2013 von dem Gemeinsame­n Bundesauss­chuss neu gestaltet“, sagt er. Dabei habe das Gremium errechnet, dass für das ganze Saarland 48 Kinderärzt­e ausreichte­n. „Tatsächlic­h sind es aktuell sogar 74 Kinderärzt­e“, sagt KV-Chef Hauptmann. Darüber hinaus würden die Kinderärzt­e-Zahlen jedes Jahr an die Bevölkerun­gs zahlen angepasst. Dass Argument, dass Hausbesuch­e aufgrund von Zeitmangel nicht machbar seien, hält er für ungültig: „Das ist nicht in Ordnung. Das muss gehen“, sagt Hauptmann.

„Das ist nicht in Ordnung. Das muss gehen.“

Gunter Hauptmann

KV-Vorstandsv­orsitzende­r

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FOTO: PLEUL/DPA Vorsorgeun­tersuchung­en und Impfungen sind Teil der Aufgaben von Kinderärzt­en. Ob Hausbesuch­e dazu gehören, ist umstritten.

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