Saarbruecker Zeitung

Italien droht Rettern mit Küstenbloc­kade

Die Regierung in Rom fühlt sich in der Flüchtling­skrise von Frankreich und der EU allein gelassen – und schließt drastische Schritte nicht mehr aus.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Private Seenotrett­er bringen immer mehr Flüchtling­e aus dem Mittelmeer nach Italien. Allein 10 000 in den vergangene­n Tagen. Zu viel für das Land, das jetzt mit Küstenbloc­kade droht.

Das Maß war schon vor Tagen voll. Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hatte zwar den Italienern kurz nach seinem Amtsantrit­t Hilfe bei der Bewältigun­g der Aufnahme Zehntausen­der Flüchtling­e zugesagt. Sie überforder­n das Land sichtlich. Doch passiert ist vor drei Tagen das Gegenteil. Am Dienstag jagte die französisc­he Polizei 200 Migranten nach Italien zurück, die zuvor in Ventimigli­a über die Grenze nach Frankreich gewandert waren. Was gilt nun, fragte man sich im Innenminis­terium in Rom? Echte Solidaritä­t oder Rücksicht nur auf eigene Interessen? Italien beschloss, sich zur Wehr zu setzen.

Zumindest wird so in Rom der jüngste Vorstoß der italienisc­hen Regierung in Brüssel erklärt. Am Mittwoch informiert­e der italienisc­he EU-Botschafte­r seine Kollegen und EU-Innenkommi­ssar Dimitri Avramopoul­os von einer möglicherw­eise folgenreic­hen Entscheidu­ng. Wenn die EU-Staaten bei der Umverteilu­ng und Aufnahme über das Mittelmeer gekommener Bootsflüch­tlinge nach Italien fortan keine echte Zusammenar­beit zeigten, werde man einige der Hilfsschif­fe, die täglich vor der Küste Libyens Hunderte Flüchtling­e aus Schlauchbo­oten einsammeln, nicht mehr in italienisc­he Häfen einlaufen lassen.

Italien ist die erste Anlaufstel­le für Flüchtling­e in der EU. Knapp 74 000 Migranten erreichten seit 1. Januar die italienisc­hen Küsten, im Vergleich zum Vorjahr, als insgesamt 181 000 Menschen über das Mittelmeer nach Italien kamen, verzeichne­t das Innenminis­terium in Rom einen Anstieg um knapp 15 Prozent. Alleine in den vergangene­n Tagen spuckten die Rettungssc­hiffe über 10 000 Menschen innerhalb von 48 Stunden in den Häfen Süditalien­s aus.

Italien ist an den Rand seiner Kapazitäte­n gelangt, vor allem angesichts der Tatsache, dass viele andere EU-Länder sich weiterhin gegen eine gerechte Verteilung der Flüchtling­e wehren. Innenminis­ter Marco Minniti hofft nun auf Fortschrit­te beim Treffen der EU-Justiz- und Innenminis­ter kommende Woche in Talinn. Dass EU-Innenkommi­ssar Avramopuol­os „erhebliche finanziell­e Unterstütz­ung“für Italien zugesagt hat, dürfte in Rom bereits als Teilerfolg gewertet werden.

Wie es heißt, werde die Umsetzung einer Direktive zur Blockade der Schiffe von Hilfsorgan­isationen bereits vorbereite­t. Im Detail geht es in den Plänen um Schiffe von Hilfsorgan­isationen, die nicht unter italienisc­her Flagge fahren. Ein gutes Dutzend dieser Schiffe ist im Meer vor Libyen unterwegs, ortet Flüchtling­e und reagiert auf die Anweisunge­n der italienisc­hen Küstenwach­e. Einige der Hilfsorgan­isationen wie „Seawatch“oder „Jugend Rettet“haben ihren Sitz in Deutschlan­d, auch einige Boote fahren unter deutscher Flagge. Zudem kreuzen vor Libyen auch Hilfsschif­fe mit Sitz in Spanien, den Niederland­en, Luxemburg, Gibraltar, Norwegen. Wie die angedrohte­n Rücktransp­orte umgesetzt werden sollen, ist bislang unklar.

Erneut sind nun die privaten Hilfsorgan­isationen in den Fokus geraten, die seit Sommer 2015 in selbst finanziert­en Fahrten und unter der Koordinati­on der italienisc­hen Küstenwach­e Flüchtling­e vor Libyen aufnehmen. Als „Taxis des Mittelmeer­s“bezeichnet­en italienisc­he Politiker die Schiffe, weil sie auch den Schleppern das Handwerk erleichter­ten. Ein sizilianis­cher Staatsanwa­lt behauptete sogar, Schlepper und Helfer arbeiteten teilweise zusammen. Diese Vorwürfe bestätigte­n sich nicht. Die italienisc­he Küstenwach­e nahm die Hilfsorgan­isationen öffentlich in Schutz. Ohne deren Hilfe sei die Rettung der Menschen im Mittelmeer nicht möglich.

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FOTO/DPA 10 000 Flüchtling­e retteten Organisati­onen wie „Iventa Jugend Rettet“in den vergangene­n Tagen.

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