Und immer wieder dieser Erdogan . . .
Das deutsch-türkische Verhältnis rauscht von einem Tiefpunkt zum nächsten. Jetzt gibt es eine neue Eskalationsstufe – und Berlin reicht’s.
(dpa/SZ) Schon oft dachte man in den vergangenen Monaten, die deutsch-türkischen Beziehungen seien nun wirklich auf dem Tiefpunkt angelangt, an dem es einfach nicht mehr weiter nach unten geht. Und dann kam doch wieder der nächste Rückschlag. Noch eine Etage tiefer. Gestern war es wieder so weit. Außenminister Sigmar Gabriel steht vor einer deutschen Mähdrescher-Fabrik im russischen Krasnodar und dreht die Eskalationsspirale im Verhältnis zur Türkei ein großes Stück weiter.
Präsident Recep Tayyip Erdogan habe offiziell mitgeteilt, rund um den G20-Gipfel in Hamburg zu seinen Landsleuten in Deutschland sprechen zu wollen, sagt er vor Journalisten. Die Bundesregierung halte das aber „für keine gute Idee“. Kurz darauf steigt er in den Flieger nach Moskau. Nach der Ankunft wird deutlicher. Die Regierung werde der Türkei mitteilen, „dass wir eine solche Veranstaltung nicht durchführen lassen werden“. Das hat es so noch nicht gegeben. Nachdem die große Koalition monatelang viel über sich ergehen ließ, bis hin zu Nazi-Vorwürfen gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), will sie sich jetzt nichts mehr bieten lassen. Erst vor zwei Wochen beschloss sie den Abzug der Bundeswehr aus Incirlik, weil die türkische Regierung dort keine Besuche deutscher Abgeordneter zulassen wollte. Auch das war schon ein beispielloser Vorgang – die Türkei ist schließlich ein Nato-Partner. Und jetzt das.
Die Reaktion Erdogans folgt unmittelbar. Deutschland messe mit „zweierlei Maß“, lässt der Präsident über seinen Sprecher ausrichten. „Diejenigen, die der Türkei bei jeder Gelegenheit Lehren über Demokratie, Menschenrechte und Freiheiten erteilen wollen“, hinderten ihn daran, sich an türkische Bürger zu wenden. Und wieder wird klar: Erdogan sieht Auftritte in Deutschland als sein gutes Recht an. Schon vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei am 16. April hatte ein möglicher Wahlkampfauftritt Erdogans für helle Aufregung in Deutschland gesorgt. Auftritte türkischer Minister wurden damals verhindert – allerdings nicht durch die Bundesregierung, sondern durch kommunale Behörden, die aus Sicht der Türkei vorgeschobene Argumente wie Brandschutzmängel für die Verbote anführten. Erdogan verzichtete dann auf einen Besuch, nutzte den Streit im Wahlkampf für Eigen-PR. „Wenn ich will, dann komme ich auch. Ich komme. Und wenn Ihr mich nicht durch die Türe lasst oder mich nicht reden lasst, dann werde ich die Welt aufstehen lassen.“
Jetzt könnte die harte Haltung ihn in Zugzwang gebracht haben: Wenn er ohnehin in Hamburg ist, wie könnte er dann nicht zu seinen Anhängern in Deutschland sprechen? Nur Berlin zeigt jetzt klare Kante. Sie versteckt sich nicht mehr hinter den Sicherheitsbehörden, sondern verbietet den Auftritt selbst. Und die Regierung geht noch einen Schritt weiter. Im Auswärtigen Amt heißt es, dass nun alle diplomatischen Vertretungen darüber unterrichtet würden, „dass die Bundesregierung es sich ausdrücklich vorbehält, auf deutschem Boden geplante politische Veranstaltungen ausländischer Regierungsvertreter zu untersagen“.
Das ist eine direkte und offene Konfrontation mit Erdogan. Gabriel sagt zwar, dass der Präsident trotzdem beim G20-Gipfel „mit Ehren empfangen“werde. Ob es jetzt überhaupt noch dazu kommt, scheint mehr als fraglich. Was ist, wenn Erdogan seine Gipfel-Teilnahme absagt? Es wäre ein schwerer Schlag für Gastgeberin Merkel. Die Türkei spielt eine zentrale Rolle bei der Terrorbekämpfung, den Krisen in Syrien und in Katar. Der Preis für die Kanzlerin könnte also hoch ausfallen.
„Unser Land ist ein offenes Land, aber wir haben nicht die Absicht, die innenpolitischen Konflikte anderer Länder in unsere Bevölkerung zu tragen“, sagte Gabriel. Eine Möglichkeit gibt es für Erdogan allerdings, doch noch zu seinem Auftritt in Deutschland zu kommen. „Was die Türkei in ihren Botschaften und Generalkonsulaten macht, ist Angelegenheit der Türkei.“Zehntausend Leute würden in das Konsulat aber nicht passen. Ursprünglich waren Orte wie die Dortmunder Westfalenhalle geplant.