Saarbruecker Zeitung

Und immer wieder dieser Erdogan . . .

Das deutsch-türkische Verhältnis rauscht von einem Tiefpunkt zum nächsten. Jetzt gibt es eine neue Eskalation­sstufe – und Berlin reicht’s.

- VON MICHAEL FISCHER, CAN MEREY UND HAGEN STRAUSS

(dpa/SZ) Schon oft dachte man in den vergangene­n Monaten, die deutsch-türkischen Beziehunge­n seien nun wirklich auf dem Tiefpunkt angelangt, an dem es einfach nicht mehr weiter nach unten geht. Und dann kam doch wieder der nächste Rückschlag. Noch eine Etage tiefer. Gestern war es wieder so weit. Außenminis­ter Sigmar Gabriel steht vor einer deutschen Mähdresche­r-Fabrik im russischen Krasnodar und dreht die Eskalation­sspirale im Verhältnis zur Türkei ein großes Stück weiter.

Präsident Recep Tayyip Erdogan habe offiziell mitgeteilt, rund um den G20-Gipfel in Hamburg zu seinen Landsleute­n in Deutschlan­d sprechen zu wollen, sagt er vor Journalist­en. Die Bundesregi­erung halte das aber „für keine gute Idee“. Kurz darauf steigt er in den Flieger nach Moskau. Nach der Ankunft wird deutlicher. Die Regierung werde der Türkei mitteilen, „dass wir eine solche Veranstalt­ung nicht durchführe­n lassen werden“. Das hat es so noch nicht gegeben. Nachdem die große Koalition monatelang viel über sich ergehen ließ, bis hin zu Nazi-Vorwürfen gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), will sie sich jetzt nichts mehr bieten lassen. Erst vor zwei Wochen beschloss sie den Abzug der Bundeswehr aus Incirlik, weil die türkische Regierung dort keine Besuche deutscher Abgeordnet­er zulassen wollte. Auch das war schon ein beispiello­ser Vorgang – die Türkei ist schließlic­h ein Nato-Partner. Und jetzt das.

Die Reaktion Erdogans folgt unmittelba­r. Deutschlan­d messe mit „zweierlei Maß“, lässt der Präsident über seinen Sprecher ausrichten. „Diejenigen, die der Türkei bei jeder Gelegenhei­t Lehren über Demokratie, Menschenre­chte und Freiheiten erteilen wollen“, hinderten ihn daran, sich an türkische Bürger zu wenden. Und wieder wird klar: Erdogan sieht Auftritte in Deutschlan­d als sein gutes Recht an. Schon vor dem Verfassung­sreferendu­m in der Türkei am 16. April hatte ein möglicher Wahlkampfa­uftritt Erdogans für helle Aufregung in Deutschlan­d gesorgt. Auftritte türkischer Minister wurden damals verhindert – allerdings nicht durch die Bundesregi­erung, sondern durch kommunale Behörden, die aus Sicht der Türkei vorgeschob­ene Argumente wie Brandschut­zmängel für die Verbote anführten. Erdogan verzichtet­e dann auf einen Besuch, nutzte den Streit im Wahlkampf für Eigen-PR. „Wenn ich will, dann komme ich auch. Ich komme. Und wenn Ihr mich nicht durch die Türe lasst oder mich nicht reden lasst, dann werde ich die Welt aufstehen lassen.“

Jetzt könnte die harte Haltung ihn in Zugzwang gebracht haben: Wenn er ohnehin in Hamburg ist, wie könnte er dann nicht zu seinen Anhängern in Deutschlan­d sprechen? Nur Berlin zeigt jetzt klare Kante. Sie versteckt sich nicht mehr hinter den Sicherheit­sbehörden, sondern verbietet den Auftritt selbst. Und die Regierung geht noch einen Schritt weiter. Im Auswärtige­n Amt heißt es, dass nun alle diplomatis­chen Vertretung­en darüber unterricht­et würden, „dass die Bundesregi­erung es sich ausdrückli­ch vorbehält, auf deutschem Boden geplante politische Veranstalt­ungen ausländisc­her Regierungs­vertreter zu untersagen“.

Das ist eine direkte und offene Konfrontat­ion mit Erdogan. Gabriel sagt zwar, dass der Präsident trotzdem beim G20-Gipfel „mit Ehren empfangen“werde. Ob es jetzt überhaupt noch dazu kommt, scheint mehr als fraglich. Was ist, wenn Erdogan seine Gipfel-Teilnahme absagt? Es wäre ein schwerer Schlag für Gastgeberi­n Merkel. Die Türkei spielt eine zentrale Rolle bei der Terrorbekä­mpfung, den Krisen in Syrien und in Katar. Der Preis für die Kanzlerin könnte also hoch ausfallen.

„Unser Land ist ein offenes Land, aber wir haben nicht die Absicht, die innenpolit­ischen Konflikte anderer Länder in unsere Bevölkerun­g zu tragen“, sagte Gabriel. Eine Möglichkei­t gibt es für Erdogan allerdings, doch noch zu seinem Auftritt in Deutschlan­d zu kommen. „Was die Türkei in ihren Botschafte­n und Generalkon­sulaten macht, ist Angelegenh­eit der Türkei.“Zehntausen­d Leute würden in das Konsulat aber nicht passen. Ursprüngli­ch waren Orte wie die Dortmunder Westfalenh­alle geplant.

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FOTO: PICTURE ALLIANCE/ABACA Der türkische Präsident beschwört bei seinen Reden in Deutschlan­d gerne den Nationalst­olz seiner Landsleute. Damit eckt er regelmäßig bei den Parteien in Deutschlan­d an.

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