Saarbruecker Zeitung

Angst essen Seele auf

Zwei exzellente Comic-Bände: der neue „Turing“und der Klassiker „Mac Coy“.

- VON TOBIAS KESSLER

Es ist eine grausige und wahre Geschichte: 1954 nimmt sich der britische Mathematik­er Alan Turing das Leben. Er litt an Depression­en, die ein Medikament auslöste, das zu nehmen ihn der Staat genötigt hatte: entweder diese „Östrogen-Therapie“(eine Art chemischer Kastration) oder eine Haftstrafe. Denn Turing war homosexuel­l, was damals (nicht nur) in England unter Strafe stand. 2009 entschuldi­gte sich die britische Regierung offiziell, 2013 begnadigte und rehabiliti­erte ihn die Queen. Turings Schicksal als verfolgter Homosexuel­ler ist eines von vielen. Bekannt ist sein Fall aber, weil Turing als einer der führenden Theoretike­r der Computerte­chnik gilt und im Krieg maßgeblich an der Entzifferu­ng der Codes der deutschen „Enigma“-Verschlüss­elungsmasc­hine beteiligt war.

Der Leipziger Künstler Robert Deutsch widmet sich diesem Leben mit einem Comicband, dem es nur ganz am Rande um „Enigma“geht: Deutsch stellt Leben, Lieben und Sehnsucht in den Mittelpunk­t seines berührende­n Werks „Turing“.

Mit dessen Tod beginnt es und bewegt sich dann drei Jahre zurück, nach Manchester, wo Turing einen jungen Mann kennenlern­t, mit dem er eine Freundscha­ft beginnt und ihm Einblick gibt in seine Seele voller verdrängte­r Sehnsüchte. Was er erst nicht ahnt: Die Motive des jungen Mannes sind vor allem kriminelle­r Natur. Als Turing sich an die Polizei wendet, liefert er sich ungewollt der Justiz aus, für die er ein Kriminelle­r mit Krankheits­symptomen ist, die man bekämpfen muss.

Robert Deutsch erzählt in einem bunten, manchmal grob gepinselte­n, kindlich und naiv wirkenden Stil. Der steht in brutalem Kontrast zur tragischen Handlung — so wie der sehnsüchti­ge Turing im Gegensatz zu einer Welt steht, die ihn misstrauis­ch beäugt und eine Seite von ihm ablehnt. Dem Mann der Logik scheint diese Welt unlogisch. Kein Wunder, dass er sich im Kino in Disneys bunte Welt von „Schneewitt­chen und die sieben Zwerge“flüchtet. Deutsch lässt diese Figuren Turing auf den Weg in den Freitod begleiten. Das hätte süßlich und sentimenta­l wirken können. Dank der Kunst dieses Buchs ist es aber berührend und todtraurig.

Muss man Western mögen, um den Comic „Mac Coy“zu schätzen, das nun bändeweise als Gesamtausg­abe erscheint? Überhaupt nicht. Diese klassische Reihe, die 1974 bis 2000 lief, packt auch Pferdeoper­n-Skeptiker mit ihrer schieren Bildkraft: Mit enormer Detaildich­te führt uns der spanische Zeichner Antonio Hernández Palacios (1921-2000) in Steppen, deren Staub man in die Nase zu bekommen scheint; Rauchschwa­den ziehen durch die Bilder, und dass die Männer lange gebadet haben, spürt man auch. Im Kontrast zu diesem zeichneris­chen Realismus bewegt sich die Kolorierun­g bisweilen ins Psychedeli­sche: Der Himmel leuchtet manchmal in Orange und Lila (bei John Wayne undenkbar); wenn Mac Coy per Colt-Kolben auf den Kopf das Bewusstsei­n verliert, fluten Regenbogen-Farben. Die Szenarien des französisc­hen Texters Jean-Pierre Gourmelen sind im Vergleich weniger kreativ: Der Südstaaten-Offizier Alexis Mac Coy, ein klassische­r, störrische­r Antiheld, arbeitet allerlei Himmelfahr­tskommando­s ab, die mal mehr, mal weniger originell ausgedacht sind — aber optisch eben brillant gestaltet.

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FOTO: AVANT-VERLAG Eine Seite aus Robert Deutschs Comicband „Turing“.
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FOTO: AVANT-VERLAG Westernhel­d Mac Coy auf dem Weg zur Ohnmacht.

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