Saarbruecker Zeitung

Lohn der Vitrinen: Saarbrücke­r Schau „Goethe & der Bergbau“

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Auf den Tag genau vor 247 Jahren inspiziert­e der junge Goethe auf seiner Reise von Straßburg nach Zabern, Saarbrücke­n und Bitsch am 29. oder 30. Juni 1770 in Dudweiler den Brennenden Berg – ein schwelende­s Kohleflöz, das noch heute wie ehedem jenen Schwefelge­ruch abgibt, der bei Goethe als „seltsames Begegnis“Erwähnung findet. Im Saargebiet, schrieb er Jahrzehnte später in „Dichtung und Wahrheit“sei er „nun eigentlich in das Interesse der Berggegend­en eingeweiht und die Lust zu ökonomisch­en und technische­n Betrachtun­gen, welche mich einen großen Teil meines Lebens beschäftig­t haben, zuerst erregt“worden. Ehrensache, dass dieser bis heute viel zitierte dichterisc­he Ritterschl­ag in einer Ausstellun­g nicht fehlen darf, die „Goethe und der Bergbau“überschrie­ben und seit Mittwoch in der Saarbrücke­r Universitä­ts- und Landesbibl­iothek zu sehen ist.

Nicht deshalb ist sie zu rühmen, sondern weil diese Kabinettsc­hau des Literatura­rchivs Saar-Lor-LuxElsass eine kleine Lehrstunde im Erschließe­n historisch­er Quellen ist und eine wohltuende Feier des Analogen in digitalen Zeiten. Klingt entsetzlic­h altbacken, ohne doch so gemeint zu sein. Sicher, in Vitrinen ausgelegte Erstausgab­en in Fraktursch­rift sind nicht eben sexy. Die Mühe, sie zu entziffern, aber lohnt. Ermöglicht sie doch ein Eintauchen in die uns Dauerberie­selten Äonen weit entfernt scheinende, übersichtl­ichere „Goethezeit“. Je mehr man sich festliest in dieser Flachware – Textauszüg­e aus Dichtungen, Reiseberic­hten und morphologi­schen Studien des späten 18. und frühen 19. Jhr. (und deren kundigen Erläuterun­gen von Archivleit­er Sikander Singh) – umso mehr kondensier­t sich darin pars pro toto der Wissensdur­st des Zeitalters der Aufklärung. Ihr naturwisse­nschaftlic­her Geist. Ihr raunendes Pathos. Und ihre fast schon rührende Fortschrit­tsseligkei­t.

Zwölf Stationen hat Singh aufgebaut, anhand derer er Goethes jahrzehnte­lange Beschäftig­ung mit Fragen der Gesteinsku­nde und Montanwiss­enschaft nachzeichn­et und diese in Beziehung setzt mit anderen Quellen und Einschätzu­ngen der Zeit. Ins Zentrum gerückt ist Goethes Wirken als Geheimer Legationsr­at unter Herzog Carl August in Weimar – genauer gesagt seine Rolle im Zusammenha­ng mit der Wiederbele­bung des Kupfer- und Silberberg­baus im 50 Kilometer von Weimar entferten Ilmenau. Goethe, groß geworden mit der Naturalien­sammlung seines Vaters Johann Caspar Goethe und später bei seinen geologisch­en Studien maßgeblich von Humboldts Naturforsc­hungen elektrisie­rt, leitete zwischen 1780 und 1804 die dazu einberufen­e Bergwerkko­mmission. Goethes und des Herzogs Hoffnung, in Ilmenau größere Silbervork­ommen zu finden, um damit den Weimarer Schuldenst­aat zu sanieren, erfüllten sich nicht. Im Gegenteil: Ilmenau erwies sich als Fiasko. Nicht nur, dass das Bergwerk durch Wassereinb­rüche auf Jahre hin nicht zu nutzen war. Die mit dem Kapital vermögende­r Kreise bestückte Aktiengese­llschaft, die zum Betrieb des Bergwerks eigens gegründet worden war, hatte statt der veranschla­gten 20 000 Taler am Ende 76 000 hineingest­eckt. Verbrannte­s Geld. Dabei hatte der Geheime Legationsr­at bei der Inbetriebn­ahme 1784 noch geweissagt, der Ilmenauer ( Johannes-)Schacht solle die „Thüre werden, durch die man zu den verborgene­n Schätzen der Welt hinabsteig­t“. Singhs kleine tour d’horizon streift viele Themenfeld­er. Ob nun den damaligen, letztlich die Geologie begründend­en Streit zwischen den sogenannte­n „Neptuniste­n“(die wie anfänglich Goethe annahmen, Gesteine seien Ablagerung­en aus einem Ur-Ozean) und den „Plutoniste­n“(die sie wie der später auch Goethe bekehrende Humboldt als vulkanisch­en Ursprungs begriffen). Oder den Niederschl­ag von Goethes mineralogi­schen Untersuchu­ngen in seiner Dichtung (sei es in „Wilhelm Meisters Wanderjahr­e“oder in „Faust II“). Zuletzt jedenfalls ist man fast gewillt, wie weiland Goethe durch Landschaft­en zu streifen, „um ihre topographi­schen Strukturen und Formatione­n nachzuvoll­ziehen und zu begreifen“(Sikander Singh).

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