Saarbruecker Zeitung

Lohn des Trödelns, Lohn der Eigensinni­gkeit

Was die Schriftste­llerin Anne Weber den saarländis­chen Abiturient­en in ihrer Rede gestern mit auf den Weg gegeben hat.

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(cis) Es war eine kluge, nachdenkli­che Rede, die die Schriftste­llerin Anne Weber gestern im Saarbrücke­r Haus der Ärzte an die jahrgangsb­esten Abiturient­en 2017 hielt. Seit 1983 in Paris lebend, hat sie sich nicht nur als Autorin von Romanen wie „Gold im Mund“oder zuletzt „Kirio“(mit dem sie auf der Shortlist für den Leipziger Buchpreis stand) profiliert, sondern auch als Übersetzer­in aus dem und (ungewöhnli­ch genug) ins Französisc­he. Während man sich in früheren Autorenred­en mitunter fragen konnte, ob die Botschafte­n genug Substanz hatten, bot Anne Webers Rede viele, fast zu viele Facetten (und verlor so gegen Ende ihre innere Konsistenz). Komplex fielen bereits ihre Antworten auf ihre Eingangsfr­age aus, was Jungsein bedeutet. „Ein wildes Durcheinan­der aus Selbstzwei­fel und Selbstüber­schätzung“– nicht selten mit hochfliege­nden Plänen einhergehe­nde Ich-Bezogenhei­t, die mit den Jahren Erdung erfährt. „Je mehr die Jugend weicht, umso mehr beginnt die Welt zu existieren.“Wobei Weber das erkenntnis­theoretisc­he Grundprobl­em auf beiden Seiten, Jüngeren wie Älteren, mitliefert­e: „Die einen sind zu nah dran, die anderen zu weit weg“, um letzte Antworten zu geben.

Zwei Sätze aus einer Rede von Apple-Gründer Steve Jobs (2005 vor Absolvente­n der Stanford University) nutzte Weber als gedanklich­es Basislager, von dem aus sie zu einem Plädoyer anhob für das „Vertrödeln von Zeit“und das Zulassen von Umund Irrwegen, die sich bisweilen erst im Lauf der Jahre als folgericht­ig erwiesen. Sie lauteten: „Man kann die Punkte nicht verbinden, wenn man sie vor sich hat. Die Verbindung ergibt sich erst im Nachhinein.“Einer dieser beständig um uns kreisenden Punkte ist, so sehr wir uns peu à peu in eine „behagliche kleine Privatwelt“zurückzieh­en mögen, die von Weber mit kritischen Worten bedachte aktuelle politische Realität. Weber warb für Einmischun­g. „Denn ganz stimmt es natürlich nicht, dass der Einzelne nichts ausrichten kann.“Gesellscha­ftspositio­nen und Moralvorst­ellungen (etwa zum Tierschutz oder aktuell der Homo-Ehe) wechselten, ohne im Alter per se starrer zu werden. „Ist es nicht eher umgekehrt? Bei mir war es das jedenfalls.“Inmitten allen Relativism­us’ bleibe als Anker unser „Gewissen, dieses merkwürdig Fremde im Inneren unseres Selbst“, in dem zugleich die Annahme eines Absoluten, „einer universell­en Wahrheit“, fortlebe. Weshalb Weber zuletzt den Abiturient­en Mut, Neugier und Selbstlosi­gkeit wünschte.

Kulturmini­ster Ulrich Commerçon hatte zuvor die „Aufbrechen­den“(Weber) animiert, zu experiment­ieren, aber auch sich zu engagieren. Er dankte Ralph Schock (SR) dafür, die ins 18. Jhr. zurückreic­hende Tradition der Schulrede 1999 wiederbele­bt zu haben. Völlig zu recht. Wird die so ertragreic­h und schwungvol­l (dank einiger Zwischensp­iele der HfM-Jazzklasse) wie gestern gelebt, ist ihr auch nach Schocks Ausscheide­n Ende 2017 ihr Fortbesteh­en fraglos zu wünschen.

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FOTO: BECKER&BREDEL Anne Weber gestern bei ihrer Rede in Saarbrücke­n.

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