Alzheimer: auch eine Frage des Lebensstils
Eine Umstellung der Ernährung hat unter allen Vorbeugemaßnahmen den größten Einfluss auf den Krankheitsverlauf.
Die Gefahr, den Verstand zu verlieren und abhängig von der Versorgung und Pflege durch andere zu werden, lässt einen erschauern. Der Millionär und Lebemann Gunter Sachs brachte sich sogar um, als er nur vermutete, an Alzheimer erkrankt zu sein. Zu dieser großen Angst vor dem Vergessen trägt ganz wesentlich bei, dass noch immer der Eindruck vermittelt wird, die Erkrankung sei die unabwendbare Folge des Älterwerdens, gegen die man nichts tun kann.
Schutz scheint möglich: Die Alzheimer’sche Demenz verläuft chronisch, ihre letzte Ursache gilt als unbekannt. Es gibt bis heute keine Arznei, die sie heilen kann. Und doch gibt es Hoffnung, ihr zu entrinnen. Denn es zeichnet sich immer mehr ab, dass Faktoren wie eine gute Mundgesundheit, die zeitnahe Behandlung von Infektionen, Wirbelsäulen- und Schädel-HirnTraumata, chronischen Entzündungen, Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes sowie der Verzicht auf überflüssige Medikamente zum Schutz vor Demenz beitragen. Das gilt auch für angemessene Bewegung, genug Sonne und Schlaf, echte soziale Kontakte, eine sinnvolle Arbeit, Stressreduktion und eine gute Ernährung. Alles das scheint dabei zu helfen, gesund zu bleiben und im Alter nicht den Verstand zu verlieren.
Änderung des Lebensstils: Tatsächlich gibt es dazu eine erste Studie aus Finnland. Um zu überprüfen, ob eine umfassende Verbesserung des Lebensstils der Alzheimer-Erkrankung vorbeugen kann, wurden im Rahmen der sogenannten FINGER-Studie (Finnish Geriatric Intervention Study to Prevent Cognitive Impairment and Disability – Finnische geriatrische Interventionsstudie zur Vermeidung von kognitiver Beeinträchtigung und Behinderung) 1260 Finnen im Alter von 60 bis 77 Jahren mit altersüblich normalen kognitiven Fähigkeiten, jedoch einem leicht erhöhten Alzheimer-Risiko rekrutiert.
Man unterteilte die Senioren per Zufallsauswahl in zwei Gruppen. Eine Gruppe erhielt allgemeine Gesundheitstipps, die andere Gruppe wurde intensiver betreut und angeleitet, sich gesünder zu ernähren, regelmäßig Sport zu treiben, an sozialen Aktivitäten teilzunehmen und ihr Gehirn zu trainieren, beim Arzt ihre Risikofaktoren für HerzKreislauf-Erkrankungen checken zu lassen und gegebenenfalls Maßnahmen dagegen zu ergreifen.
In der intensiv betreuten Gruppe waren die kognitiven Fähigkeiten nach zwei Jahren entweder besser erhalten oder sogar verbessert. Das zeigt, dass es mit allgemeinen Hinweisen offenbar nicht getan ist und dass sich die Verbesserung des Lebensstils lohnt.
Verfall gestoppt: Das sieht auch Professor Dr. Dale Bredesen vom kalifornischen Buck-Institut für Altersforschung so. In der Fachzeitschrift Aging beschrieb er, dass es seinem Team erstmals gelungen sei, bei einigen Patienten kognitive Einschränkungen und auch Alzheimer zurückzudrängen. Wie? Mit einer für jeden Patienten individuell maßgeschneiderten Lebensstilverbesserung, zu der auch eine Ernährungsumstellung gehörte. Besonders aufsehenerregend war, dass die Erkrankungen bei einigen Patienten schon so weit fortgeschritten waren, dass sie ihren Beruf nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr ausüben konnten.
Nach einigen Monaten im Programm waren sie dann wieder in der Lage, ihre Tätigkeiten ohne Einschränkungen fortzusetzten oder wieder aufzunehmen, zum Teil sogar mit größerer Freude und erfolgreicher als früher. Das hatte es zuvor noch nie gegeben. Der Fachartikel spricht wörtlich von „reversal“, vom Rückgängigmachen, von der Umkehr auf dem Weg zur Alzheimer-Demenz. Bei Vorträgen und in Interviews nennt Bredesen bereits eine Zahl von über 100 Patienten, denen es mit seinem Programm erheblich besser geht.
Kein endgültiger Beweis: Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen. Ist die Krankheit bereits so weit fortgeschritten, dass zu viel Hirnsubtanz zerstört und verschwunden ist, bringt auch eine Lebensstilveränderung nicht mehr viel. Abgestorbene Zellen sind verloren. Doch anscheinend „schlafen“viele Zellen im Hirn der Betroffenen nur, und die lassen sich wieder „aufwecken“. Kritiker werden einwenden, dass dies nur ein paar Fälle sind, die noch nichts endgültig beweisen. Das ist richtig. Doch worauf sollen die Patienten und ihre Angehörigen warten? Auf weitere wissenschaftliche Beweise? Auf ein Medikament, das es vielleicht nie geben oder das starke Nebenwirkungen haben wird? Warum sollten sie warten? Weil man Angst davor hat, eine bestimmte Ernährung und ein paar Nahrungsergänzungsmittel zu empfehlen? Das ist absurd angesichts des unsäglichen Leids und der Belastungen für alle, die mit dieser Krankheit zu tun haben.
Bredesens Team erstellt für jeden Patienten ein Stoffwechselprofil, denn danach richtet sich der Therapieplan. Dazu werden neben den üblichen Bluttests weitere Parameter erhoben, die zeigen sollen, ob die Patienten beispielsweise unter Insulinresistenz, chronischen Entzündungen, Vitamin-D-Mangel, erhöhten Homocysteinspiegeln oder Atemaussetzern während des Schlafes (Schlaf-Apnoe) leiden.
Auch genetische Untersuchungen werden veranlasst. Der gesamte Ernährungszustand wird erhoben, es wird überprüft, ob sich Gifte wie Quecksilber, Blei oder Cadmium im Körper angereichert haben, ob die Mineralstoffe des Körpers, zum Beispiel Zink und Kupfer, im Ungleichgewicht sind und ob der Darm voll funktionstüchtig ist.
Gestörte Zuckerverwertung: Insgesamt 36 Einflussfaktoren auf die Hirngesundheit hat Bredesens Team herausgefunden. Medikamente greifen meist nur an einer Stelle an. „Stellen Sie sich vor, Ihr Dach hat 36 Löcher“, pflegt Bredesen zu sagen, „doch Ihr Medikament kann nur eines davon gut verschließen. Dann haben Sie immer noch 35 andere Löcher und das Grundproblem hat sich nicht wesentlich geändert.“
Zu den Schlüsselfaktoren des kalifornischen Behandlungsprogrammes gehören unter anderem die Optimierung des Schlafes, des Bewegungsverhaltens, die Stressreduktion und eine angemessene Ernährung, wobei auch vorhandene Nährstoffmängel durch gezielte Nahrungsergänzungsmittel behoben werden. Die Ernährung soll entzündungshemmend und darmschonend sein und dem Gehirn kontinuierlich und gleichbleibend Energie und Schutzstoffe zur Verfügung stellen. Empfohlen werden dazu vor allem frische Lebensmittel und der Verzicht auf Fertigprodukte und Junkfood, weniger Zucker und weniger stärkereiche Nahrungsmittel, da diese Kohlenhydrate starke Blutzuckerschwankungen auslösen. Das ist wichtig, denn eine der frühesten Auffälligkeiten im Stoffwechsel von Alzheimer-Patienten ist eine gestörte Zuckerverwertung. Dies gefährdet die Energieversorgung der grauen Zellen und fördert Entzündungen.
Gesunde Fette: Umso wichtiger werden gesunde Fette, denn sie können das Gehirn gleichmäßiger mit Energie sowie Bau- und Schutzstoffen versorgen. Dazu gehören einmal die Omega-3-Fettsäuren aus Fischen, Meeresfrüchten und -gemüsen, die regelmäßig auf dem Speiseplan stehen sollten und vor allem die benötigten Bauund Schutzstoffe liefern.
Für die Energieversorgung des Gehirns mithilfe von Fetten müssen diese einen Umweg über die Leber nehmen, denn für eine umfängliche Fettverbrennung ist das Gehirn nicht ausgerüstet. Die Leber hilft, indem sie aus den Fetten der Nahrung oder des Körperfettes sogenannte Ketonkörper oder Ketone bildet. Sie sind ein idealer Brennstoff für das Gehirn, denn sie verbrennen nicht nur sauberer als Zucker, sie schützen zudem die Nervenzellen und fördern ihre Neubildung in jenen Hirnregionen, die für das Gedächtnis zuständig sind.
Das Fett der Kokosnuss: Ketone können vom alternden Gehirn noch gut genutzt werden, wenn die Zuckerverwertung bereits messbar gestört ist. Damit Ketone entstehen können, müssen die Kohlenhydrate im Essen reduziert werden. Unterstützend wirkt das Fett der Kokosnuss, das aufgrund seiner besonderen Zusammensetzung die Ketonbildung auch dann fördert, wenn keine strenge Diät eingehalten wird.
Ketone entstehen auch beim Fasten. Aus diesem Grund empfiehlt Bredesens Team, über Nacht eine mindestens zwölfstündige Fastenphase einzuhalten. Dies unterstützt auch die nächtliche Regeneration und Reparatur defekter Zellen (Autophagie) und den Abtransport von Abfallstoffen aus den Hirnzellen.
Zwar enthält Bredesens Programm eine Fülle weiterer Lebensstilmaßnahmen, in einem Interview mit dem Online-Magazin „Bottomline“betonte er jedoch, dass die Ernährungsumstellung unter allen Programmpunkten den größten Einfluss auf den Krankheitsverlauf ausübe.
Ergebnisse machen Mut: Bei aller Euphorie über die ermutigenden Neuigkeiten aus Kalifornien bleibt festzuhalten, dass es sich hier um ein Pilotprojekt handelt. Es muss nun noch in größeren Studien überprüft und wissenschaftlich weiter abgesichert werden. Dennoch sollte es Mut machen, denn erstmals wurde hier gezeigt, dass sich für die Hirngesundheit auch dann noch eine Menge tun lässt, wenn es schon erste Krankheitsanzeichen gibt.
Die mit 115 Jahren verstorbene Holländerin Hendrikje van AndelSchipper – bekannt als Tante Hennie –, die sich bis zu ihrem Tod einer sehr guten geistigen Gesundheit erfreute und deren Gehirn bei der Autopsie keine Anzeichen einer Demenz aufwies, soll auf die Frage, wie man gesund so alt werden könne, geantwortet haben: „Ich habe täglich einen Hering verspeist und das Atmen nicht vergessen.“