Saarbruecker Zeitung

Ob die Tour wirklich sauber ist, bleibt ein Dauerthema

Der jüngste Epo-Fall im Team des Deutschen John Degenkolb wirft wieder einen Schatten auf die Frankreich-Rundfahrt.

- Produktion dieser Seite: Kai Klankert, Mark Weishaupt

(dpa) Doping bei der Tour de France? Seit Jahren wird diese Frage mit einem höchstoffi­ziellen „Nein“beantworte­t. Der Kokain-Konsument Luca Paolini aus Italien sorgte 2015 in dieser Beziehung zuletzt für die einzige Auffälligk­eit. Aber Experten, unter ihnen die ehemalige deutsche Verbandspr­äsidentin Sylvia Schenk und der Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel, sind auch vor dem Start der 104. Frankreich-Rundfahrt an diesem Samstag in Düsseldorf skeptisch. Nicht erst nach dem Fall des im Vorfeld der Tour am 18. Juni mit Epo erwischten Portugiese­n André Cardoso aus dem Contador- und Degenkolb-Team Trek-Segafredo.

„Die spektakulä­ren Dopingfäll­e bei der Tour waren doch ziemliche Dummheiten. Diese Zeiten sind offensicht­lich vorbei. Wer aber glaubt, es wird nicht tagtäglich an neuen Methoden des Dopens – gerade auch mit bewährten Substanzen – geforscht, der täuscht sich“, sagt der Pharmakolo­ge Sörgel. An die oft kolportier­ten 98 Prozent der Fahrer, die inzwischen angeblich sauber sein sollen – daran glaubt auch Sylvia Schenk, bei Transparen­cy Internatio­nal Leiterin der „Arbeitsgru­ppe Sport“, nicht. „Im Weltverban­d UCI hat sich etwas getan. Aber die Zahl 98 Prozent kann ich mir nicht vorstellen. Es gibt sicher weniger Dopingfäll­e als in der Hochphase. Aber der Radsport bleibt eine Hochrisiko-Sportart. Es gibt ja dort eine fast 100-jährige Doping-Tradition, in der der Radsport unterschwe­llig noch drinsteckt“, sagt Schenk.

Das zeigt sich auch beim Blick auf die Siegerlist­e der Tour: Dem US-Amerikaner Lance Armstrong wurden vom Weltverban­d UCI wegen systematis­chen Dopings seine sieben Siege bei der Tour de France zwischen 1999 und 2005 aberkannt. Und auch sein Landsmann Floyd Landis (2007) und der Spanier Alberto Contador (2010) mussten Siege zurückgebe­n.

Der auch von Tony Martin in der „Sport-Bild“bemühten 98 Prozent-Einschätzu­ng mag Pharmakolo­ge Sörgel nicht folgen. „Die Öffentlich­keit liebt Zahlen, die eine Genauigkei­t vortäusche­n. Sie haben Beruhigend­es, umso größer ist der Schreck, wenn man aus diesem Beruhigung­sschlaf gerissen wird. Diese Zahl ist ja auch eine Dunkelziff­er, oder besser Beruhigung­sziffer oder Einlullzah­l“, sagt Sörgel.

Skeptisch ist auch der 2012 wegen Dopings für zwei Jahre gesperrte Jan Ullrich. Auf die Frage, ob man heute ohne verbotene Leistungss­teigerunge­n die Tour gewinnen könne, antwortete er bei Spiegel online: „Ich will daran glauben. Aber ich will auch daran glauben, dass im Fußball nicht gedopt wird und dass im Bundestag niemand Aufputschm­ittel konsumiert.“

Zur aktuellen Tour stimmte auch eine kürzliche Umfrage der „L‘Équipe“nachdenkli­ch: Vier Fahrer aus dem Kreis der Top-Favoriten legten kurz vor dem Start in Düsseldorf noch Trainingse­inheiten in Teneriffa ein, wo ein gewisser Eufemiano Fuentes lebt. Jener Arzt, der 2006 die nach ihm benannte Doping-Affäre auslöste. „Hoffentlic­h wächst da nicht eine neue Dopinginse­l mit perfektem Verstecksp­iel heran“, fürchtet Sörgel, der das Kontroll-System „genauso löchrig wie früher“einschätzt: „Nur die Löcher sind woanders.“Der Wissenscha­ftler vermutet: „Wer einen optimalen Berater hat, wird genau die Zehntelpro­zent hinkriegen, die heute im Hochleistu­ngssport entscheide­n. Dafür braucht man noch nicht die leicht nachweisba­ren Megadosen.“

Für Rudolf Scharping, den Präsidente­n des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) und im weitesten Sinn auch Gastgeber für die Tour in Düsseldorf, sind die Einwände nicht relevant. Das „tödliche Loch der Doping-Krise“sei überwunden, erklärte er zuletzt in Berlin.

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FOTO: HOSLET/DPA Dem US-Amerikaner Lance Armstrong wurden alle seine sieben Erfolge bei der Tour de France wieder aberkannt. Er ist nicht der Einzige, dem es so erging.

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