Saarbruecker Zeitung

Acht Jahre und sieben Prozesse

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Eisschnell­läuferin Claudia Pechstein bereitet sich auf die Winterspie­le vor und setzt auf das Bundesverf­assungsger­icht.

VON FRANK THOMAS

(dpa) Alles Unheil begann aus Sicht von Claudia Pechstein am 29. Juni 2009 mit einer geheimen Anhörung vor dem Schiedsger­icht der Internatio­nalen Eislauf-Union (ISU) in Bern. Einen Tag später reiste die erfolgreic­hste deutsche Winter-Olympionik­in noch relativ entspannt ins italienisc­he Cortona weiter und wurde dort bei einer großen TV-Show als einzige Deutsche neben Eiskunstla­ufstar Katarina Witt als „Olympische Legende“mit dem Fair-Play-Preis ausgezeich­net.

Doch nach ihrer Rückkehr aus Italien fuhr Pechstein der Schock in die Glieder: Sie erfuhr, dass die ISU sie für zwei Jahre wegen auffällige­r Blutwerte gesperrt hatte. Eine Tatsache, die sie selbst nie für möglich gehalten hätte. „Ohne positiven Dopingbefu­nd per indirektem Beweis“, hieß es vom Weltverban­d.

Mit diesem Urteil der ISU begann eine Zeit voller Schicksals­schläge für die fünfmalige Olympiasie­gerin aus Berlin. Ein juristisch­er Marathon durch die Instanzen, der auch acht Jahre danach noch immer kein Ende gefunden hat. Derzeit ersehnt die inzwischen 45 Jahre alte Langstreck­lerin, dass sich das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe ihres Falles annimmt.

Eine Vorstufe hat sie erreicht. Das Gericht hat ihre Beschwerde auf die Liste jener Fälle gesetzt, die noch in diesem Jahr entschiede­n werden sollen. „Mit der Zeit lernt man, geduldig zu werden. Seit meiner Rehabiliti­erung durch den Deutschen Olympische­n Sportbund fällt das Warten ein wenig leichter“, sagt die Berlinerin: „Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Gerechtigk­eit am Ende auch vor Gericht siegen wird und die ISU für das mir angetane Unrecht bezahlen muss.“

Als Grund für ihre Sperre hatte der Weltverban­d schwankend­e Retikulozy­tenwerte – die Vorläufer der roten Blutkörper­chen – angeführt, die ein indirekter Hinweis auf Doping sein können. Pechstein bestritt jegliches Doping, spätere Untersuchu­ngen ermittelte­n eine vom Vater vererbte Blutanomal­ie als Grund ihrer erhöhten Werte. Seitdem verklagt Pechstein den Weltverban­d.

Die sieben bisherigen Prozesse haben die Hauptstädt­erin in schwere Lebenskris­en geführt, nach eigenen Worten stand sie im Frühjahr 2009 vor dem Sprung von einer Brücke, weil sie keinen Ausweg mehr sah. Ihr Manager Ralf Grengel bewahrte sie damals davor. „Ohne ihn und meinen Partner Matthias wäre ich längst nicht mehr aktiv und hätte diesen Kampf nicht führen können“, sagt Pechstein. Vor allem Matthias Große, ein Immobilien-Unternehme­r aus Berlin, hat ihr stets neue Motivation vermittelt.

Einziger Lichtblick in der langen Prozessket­te blieb bislang der Entscheid des Oberlandes­gerichts München. Das Gericht nahm im Januar 2015 ihre Schadeners­atzklage an und wollte über die von Pechstein geforderte Schadenssu­mme von exakt 4 404 126,09 Euro verhandeln.

Doch am 7. Juni des Vorjahres gab es den nächsten Dämpfer für Pechstein. Der Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe schob als höchstes deutsches Zivilgeric­ht der Klagemögli­chkeit der Berlinerin gegen die ISU einen Riegel vor. Damit gibt es auch künftig für Sportler keine Wahlmöglic­hkeit zwischen Sportschie­dsund Zivilgeric­hten, das Beben in der Sportgeric­htsbarkeit blieb aus. Pechstein gab nicht auf und wandte sich an das Verfassung­sgericht.

Ihr sportliche­s Ziel ist die zehnte olympische Medaille bei den Winterspie­len kurz vor ihrem 46. Geburtstag im Februar 2018. Mit dem Gewinn von WM-Silber über 5000 Meter bei der Generalpro­be auf der Olympia-Bahn in Pyeongchan­g hatte Pechstein ihr unverminde­rtes Leistungsv­ermögen trotz reifen Alters eindrucksv­oll unterstric­hen. Auch nach den Spielen in Südkorea soll für die älteste Läuferin der Weltelite keineswegs Schluss sein. Sie kokettiert sogar schon mit einer Teilnahme an ihren dann achten Winterspie­len 2022 in Peking.

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FOTO: STACHE/DPA Claudia Pechstein legt ihren Finger auf die Lippen. Die deutsche Eisschnell­lauf-Ikone lebt weiter mit der Hoffnung auf einen positiven Gerichtsen­tscheid im Kampf gegen den Weltverban­d ISU.

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