Saarbruecker Zeitung

Porzellanp­uppen in gläsernen Kästen

Frühchen haben einen schwierige­n Start ins Leben. Auf der Kinderinte­nsivstatio­n kümmern sich Schwestern und Ärzte um die Kleinen.

- VON PATRICIA HEINE

Einatmen. Ausatmen. Immer weiter. Nicht aufhören. Das Japsen nach Luft erfüllt den ganzen Raum. Ein Geräusch, das schmerzt – beim Anblick dieses winzigen Menschen in den Armen seiner Mutter. Im Bruchteil einer Sekunde zieht sich der Körper des Babys zusammen. Eine Qual. Dabei ist dieser Tag ein guter. Endlich. Zum ersten Mal atmet das kleine Lebewesen aus eigener Kraft – ohne Inkubator. Unzählige Schläuche führen in seinen Körper. Infusionsp­umpe, Magensonde, einer befeuchtet die Atemluft, der nächste erhöht den Druck

„Am Anfang habe ich mich kaum getraut,

sie anzufassen.“

Anna Weiß

Mutter eines Frühchens

in der Lunge. Alltag hier, auf der Frühgebore­nenstation des Klinikums Saarbrücke­n auf dem Winterberg. Seit etwa vier Wochen ist das Baby auf der Welt. Mit einem Herzfehler und zu engen Lungengefä­ßen. Ob es überleben wird, kann niemand sagen. Die Mutter glaubt daran. Spricht ihrem Würmchen Mut zu. Gibt ihm Kraft.

Kraft – nicht nur die Babys brauchen sie. Auch die Eltern, in diesen schweren Zeiten. Das Klinikpers­onal unterstütz­t die jungen Familien rund um die Uhr. Jederzeit dürfen die Eltern bei ihrem Nachwuchs sein. Eigene Elternzimm­er gibt es eine Etage drüber. „Wir legen einen besonderen Schwerpunk­t darauf, die Eltern stark mit einzubezie­hen“, erklärt Anja Voigt. Seit sieben Jahren arbeitet sie als Kinderkran­kenschwest­er auf der Station. Ihr Traumjob, sagt sie. Obwohl sie oft um Leben kämpfen muss. Aber „meistens gehen die Kinder irgendwann gesund nach Hause“, sagt sie. Das sei das Schöne an der Station. Einmal habe eine Mutter Voigt und ihre Kolleginne­n als Familie bezeichnet, die fehlte, als das Kind endlich nach Hause durfte. Sonnenstun­den für die 40-Jährige. Außer ihr arbeiten rund 50 Schwestern auf der Kinderinte­nsivstatio­n. Fünf bis sechs in einer Schicht. Drei Ärzte am Tag sind da. Aber das reiche nicht aus, sagt Chefarzt Jens Möller. Ab Herbst werde die Klinik wieder selbst Kinderkran­kenschwest­ern ausbilden. Zurzeit müssten sie für den theoretisc­hen Teil noch nach Homburg.

Im Klinikum Saarbrücke­n kommen im Jahr rund 1000 Babys zur Welt. Zehn Prozent davon seien Frühgeburt­en, erklärt Möller. Für 16 Frühchen sei Platz auf der Station. Ab der 23. Schwangers­chaftswoch­e seien die kleinen Menschen überlebens­fähig, 17 Wochen vor dem eigentlich­en Geburtster­min. Dank unzähliger Maschinen. Viele Babys wiegen keine 1000 Gramm, wenn sie viel zu früh per Kaiserschn­itt auf die Welt kommen. Manche von ihnen liegen bis zu drei Monate in den Brutkästen und Wärmebettc­hen der Station – die Ersatzwelt für die schützende Gebärmutte­r. Aber warum kann nicht jedes Baby im Bauch der Mutter vollständi­g heranreife­n?

Häufig ist eine sogenannte Schwangers­chaftsverg­iftung der Grund, erklärt der Chefarzt. Dabei entwickele sich die Plazenta, der Mutterkuch­en, nicht vollständi­g. Hoher Blutdruck, eine schlechte Durchblutu­ng und Wassereinl­agerungen könnten dann die Gesundheit von Mutter und Kind gefährden.

Diese Diagnose erhielt auch Anna Weiß (Name von der Redaktion geändert) in der 28. Schwangers­chaftswoch­e. Ihre Leberwerte waren in kürzester Zeit stark gestiegen. Fünf Wochen lag sie schon im Krankenhau­s. Dann mussten ihre Zwillinge per Kaiserschn­itt geholt werden. Das ist schon fast einen Monat her. Jetzt sitzt Weiß in einem schwarzen Ledersesse­l neben den Bettchen. Auf ihrer Brust liegen die klitzeklei­nen Mädchen. Schmatzen. Strecken sich. Die Augen geschlosse­n.

„Am Anfang habe ich mich kaum getraut, sie anzufassen“, erzählt die dreifache Mutter. Arme und Beinchen wirkten so zerbrechli­ch. Wie eine Porzellanp­uppe. Sie habe Angst gehabt, ihren Kindern weh zu tun. Mittlerwei­le wickelt sie die beiden schon. Jetzt müssen sie nur noch zunehmen. Jeden Tag kommt Weiß zu ihren Neugeboren­en. Legt sie auf ihre nackte Haut. Das sei wichtig, erklärt Schwester Anja – wo Kabel, Technik und Plexiglas Eltern von ihren Winzlingen trennen. Der Hautkontak­t zwischen Eltern und Babys beruhige die Kinder, fördere die Entwicklun­g, baue eine Bindung auf. „Kangorooin­g“nenne man dieses Konzept. Im Nebenzimme­r erklärt eine Schwester gerade einer frischgeba­ckenen Mutti, wie sie das Tragetuch anlegt. Stillberat­erinnen sind im Einsatz. Auch psychologi­sche Hilfe gibt es für die Mütter während und nach dem Aufenthalt auf der Station.

Der Start ins Leben. Er ist nicht immer schön auf dieser Station. Zwischen dem Piepsen der Geräte und dem Japsen der Mini-Menschen nach Luft. Aber wenn sich die Stationstü­r hinter den Babys einmal schließt, wartet die Welt da draußen auf sie.

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FOTO: MAURER Ein Frühchen liegt im Brutkasten auf der Kinderinte­nsivstatio­n des Klinikums Saarbrücke­n.

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