Porzellanpuppen in gläsernen Kästen
Frühchen haben einen schwierigen Start ins Leben. Auf der Kinderintensivstation kümmern sich Schwestern und Ärzte um die Kleinen.
Einatmen. Ausatmen. Immer weiter. Nicht aufhören. Das Japsen nach Luft erfüllt den ganzen Raum. Ein Geräusch, das schmerzt – beim Anblick dieses winzigen Menschen in den Armen seiner Mutter. Im Bruchteil einer Sekunde zieht sich der Körper des Babys zusammen. Eine Qual. Dabei ist dieser Tag ein guter. Endlich. Zum ersten Mal atmet das kleine Lebewesen aus eigener Kraft – ohne Inkubator. Unzählige Schläuche führen in seinen Körper. Infusionspumpe, Magensonde, einer befeuchtet die Atemluft, der nächste erhöht den Druck
„Am Anfang habe ich mich kaum getraut,
sie anzufassen.“
Anna Weiß
Mutter eines Frühchens
in der Lunge. Alltag hier, auf der Frühgeborenenstation des Klinikums Saarbrücken auf dem Winterberg. Seit etwa vier Wochen ist das Baby auf der Welt. Mit einem Herzfehler und zu engen Lungengefäßen. Ob es überleben wird, kann niemand sagen. Die Mutter glaubt daran. Spricht ihrem Würmchen Mut zu. Gibt ihm Kraft.
Kraft – nicht nur die Babys brauchen sie. Auch die Eltern, in diesen schweren Zeiten. Das Klinikpersonal unterstützt die jungen Familien rund um die Uhr. Jederzeit dürfen die Eltern bei ihrem Nachwuchs sein. Eigene Elternzimmer gibt es eine Etage drüber. „Wir legen einen besonderen Schwerpunkt darauf, die Eltern stark mit einzubeziehen“, erklärt Anja Voigt. Seit sieben Jahren arbeitet sie als Kinderkrankenschwester auf der Station. Ihr Traumjob, sagt sie. Obwohl sie oft um Leben kämpfen muss. Aber „meistens gehen die Kinder irgendwann gesund nach Hause“, sagt sie. Das sei das Schöne an der Station. Einmal habe eine Mutter Voigt und ihre Kolleginnen als Familie bezeichnet, die fehlte, als das Kind endlich nach Hause durfte. Sonnenstunden für die 40-Jährige. Außer ihr arbeiten rund 50 Schwestern auf der Kinderintensivstation. Fünf bis sechs in einer Schicht. Drei Ärzte am Tag sind da. Aber das reiche nicht aus, sagt Chefarzt Jens Möller. Ab Herbst werde die Klinik wieder selbst Kinderkrankenschwestern ausbilden. Zurzeit müssten sie für den theoretischen Teil noch nach Homburg.
Im Klinikum Saarbrücken kommen im Jahr rund 1000 Babys zur Welt. Zehn Prozent davon seien Frühgeburten, erklärt Möller. Für 16 Frühchen sei Platz auf der Station. Ab der 23. Schwangerschaftswoche seien die kleinen Menschen überlebensfähig, 17 Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin. Dank unzähliger Maschinen. Viele Babys wiegen keine 1000 Gramm, wenn sie viel zu früh per Kaiserschnitt auf die Welt kommen. Manche von ihnen liegen bis zu drei Monate in den Brutkästen und Wärmebettchen der Station – die Ersatzwelt für die schützende Gebärmutter. Aber warum kann nicht jedes Baby im Bauch der Mutter vollständig heranreifen?
Häufig ist eine sogenannte Schwangerschaftsvergiftung der Grund, erklärt der Chefarzt. Dabei entwickele sich die Plazenta, der Mutterkuchen, nicht vollständig. Hoher Blutdruck, eine schlechte Durchblutung und Wassereinlagerungen könnten dann die Gesundheit von Mutter und Kind gefährden.
Diese Diagnose erhielt auch Anna Weiß (Name von der Redaktion geändert) in der 28. Schwangerschaftswoche. Ihre Leberwerte waren in kürzester Zeit stark gestiegen. Fünf Wochen lag sie schon im Krankenhaus. Dann mussten ihre Zwillinge per Kaiserschnitt geholt werden. Das ist schon fast einen Monat her. Jetzt sitzt Weiß in einem schwarzen Ledersessel neben den Bettchen. Auf ihrer Brust liegen die klitzekleinen Mädchen. Schmatzen. Strecken sich. Die Augen geschlossen.
„Am Anfang habe ich mich kaum getraut, sie anzufassen“, erzählt die dreifache Mutter. Arme und Beinchen wirkten so zerbrechlich. Wie eine Porzellanpuppe. Sie habe Angst gehabt, ihren Kindern weh zu tun. Mittlerweile wickelt sie die beiden schon. Jetzt müssen sie nur noch zunehmen. Jeden Tag kommt Weiß zu ihren Neugeborenen. Legt sie auf ihre nackte Haut. Das sei wichtig, erklärt Schwester Anja – wo Kabel, Technik und Plexiglas Eltern von ihren Winzlingen trennen. Der Hautkontakt zwischen Eltern und Babys beruhige die Kinder, fördere die Entwicklung, baue eine Bindung auf. „Kangorooing“nenne man dieses Konzept. Im Nebenzimmer erklärt eine Schwester gerade einer frischgebackenen Mutti, wie sie das Tragetuch anlegt. Stillberaterinnen sind im Einsatz. Auch psychologische Hilfe gibt es für die Mütter während und nach dem Aufenthalt auf der Station.
Der Start ins Leben. Er ist nicht immer schön auf dieser Station. Zwischen dem Piepsen der Geräte und dem Japsen der Mini-Menschen nach Luft. Aber wenn sich die Stationstür hinter den Babys einmal schließt, wartet die Welt da draußen auf sie.