Saarbruecker Zeitung

Amerika und seine heilige Waffenlobb­y

Der Politthril­ler „Die Erfindung der Wahrheit“blickt hinter die Kulissen der Meinungsma­che in den USA.

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John Maddens „Die Erfindung der Wahrheit“hinterfrag­t am Beispiel der Waffenlobb­y politische Einflussna­hme in Washington.

Elisabeth Sloane ist eine Lobbyistin, die in keinster Weise um Sympathien buhlt. Wie bringt man eine solche Figur dem Publikum nahe?

MADDEN Es ist nicht die Aufgabe eines Regisseurs, Filme über liebenswer­te Menschen zu machen. Aber es ist unsere Pflicht, die Menschlich­keit in jeder Figur zu zeigen. Elisabeth ist eine Figur, die diese fast ganz beiseite geschoben hat, weil sie ihrem obsessiv ausgeübten Beruf im Wege steht. Dennoch bauen wir zu ihr eine Beziehung auf, weil sie das tut, was uns alle definiert: Fehler.

Sie verzichten auf jegliche Psychologi­sierungen. Weshalb?

MADDEN Elisabeth ist eine Frau, die immer auf eigene Rechnung arbeitet. Sie hat nicht das Bedürfnis sich zu erklären. Die Hollywood-Orthodoxie, die ein Kindheitst­rauma aus dem Hut zaubert, um das Publikum auf die Seite der Protagonis­tin zu ziehen, ist mir zu langweilig. Außerdem ging es uns darum, dass das Publikum der Geschichte voll und ganz auf der Gegenwarts­ebene folgt, in der man nur das erfassen kann, was man sieht. Diese Erzähldisz­iplin war mir sehr wichtig.

Hätte der Film mit einer männlichen Hauptfigur funktionie­rt?

MADDEN Nein. Der emotional dysfunktio­nale Outlaw, der sich gegen das System stellt, ist eine allzu klassische Figur des amerikanis­chen Kinos. Dass es hier eine Frau ist, macht es sehr viel interessan­ter.

Inwieweit ist die Figur davon geprägt, dass sie sich als Frau in einer männerdomi­nierten Welt durchsetze­n muss?

MADDEN Es gibt viele mächtige Frauen im politische­n Establishm­ent in Washington, aber sie sind immer noch in der Minderheit. Und wir haben gerade erlebt, wie eine Frau, die glaubte, ins Weiße Haus einziehen zu können, systematis­ch dämonisier­t und entwertet wurde. Elisabeth Sloane ist eine Frau, die sich nie über ihre Geschlecht­szugehörig­keit definieren würde. Aber natürlich hat sie ihr Handwerksz­eug in einer Männerwelt gelernt, in der sie sich ihren Platz erkämpfen musste. Aber sie wendet keinerlei „weibliche“Tricks an, sondern arbeitet mit Überredung­skunst und gezielten Überraschu­ngen. Der Film versteht sich weder als feministis­ches Traktat noch als politische Polemik.

Wie nah ist der Film an der politische­n Realität in Washington?

MADDEN Natürlich arbeiten nicht alle Lobbyisten mit solch harten Bandagen. Aber wir wollten zeigen, wie die politische­n Narrative kontrollie­rt werden. In dieser Hinsicht ist die US-Waffenlobb­y ungeheuer erfolgreic­h. Sie hat immer wieder die Kontrolle der öffentlich­en Diskussion um dieses Thema erlangt. Kein Mensch außerhalb der USA versteht, warum es über Jahrzehnte kein Gesetz durch den Kongress geschafft hat, das den Waffenbesi­tz im Land reguliert. Wie wichtig die Kontrolle der Narrative ist, wird in der aktuellen politische­n Situation immer deutlicher. Fake-News und das postfaktis­che Zeitalter sind unmittelba­re Resultate dieser manipulati­ven Bestrebung­en. Wir leben in einer Zeit, in der es keinen Respekt mehr vor dem politische­n Diskurs gibt.

Trump und Brexit zeigen, dass sich die Menschen aus guten Gründen, aber mit fatalen Folgen vom Establishm­ent abwenden. Wo verortet sich in diesem Zusammenha­ng Ihr Film, der mit dem politische­n System der USA hart ins Gericht geht?

MADDEN Es ist nicht einfach, heute einen Film über das Wesen der Politik zu machen. Es gibt einen hohen Grad von Angewidert­sein und Demoralisi­erung gegenüber Politik. Aus europäisch­er Sicht existiert ja eine heimliche Faszinatio­n gegenüber dem amerikanis­chen Politiksys­tem und der Art, wie es gerade zerfällt. Es ist, als würde man einem riesigen, dramatisch­en Autounfall zuschauen. Wir leben in einer Zeit der Demagogie, in der die Menschen nicht mehr wissen, wem sie vertrauen können. Alle Narrative, die ihnen präsentier­t werden, erscheinen verdächtig. Man zieht sich zur Erholung in die eigenen Echokammer­n zurück, in denen die Menschen genauso denken wie man selbst – das ist eine gefährlich­e Tendenz, die zur Polarisier­ung der Gesellscha­ft führt.

 ?? FOTO: KERRY HAYES/EUROPACORP FILMS ?? Szene aus John Maddens hintergrün­digem, äußerst aktuellem Film „Die Erfindung der Wahrheit“mit Jessica Chastain als Waffenlobb­yistin Elizabeth Slone (unsere Szene zeigt sie bei einer Teambespre­chung).
FOTO: KERRY HAYES/EUROPACORP FILMS Szene aus John Maddens hintergrün­digem, äußerst aktuellem Film „Die Erfindung der Wahrheit“mit Jessica Chastain als Waffenlobb­yistin Elizabeth Slone (unsere Szene zeigt sie bei einer Teambespre­chung).

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