Saarbruecker Zeitung

Was vom Fieber um Pokémon Go blieb

Vor einem Jahr machte „Pokémon Go“alle verrückt. Wie ging’s weiter? Und was kommt jetzt?

- VON ANDREJ SOKOLOW UND NINA DROKUR

SAN FRANCISCO/SAARBRÜCKE­N (dpa/ SZ) Wie in einem wildgeword­enen Hühnerhauf­en geht es zu an diesem Juli-Tag im Merziger Stadtpark. Aufgeregt rennen Jugendlich­e umher, johlen, freuen sich, stets den Blick auf ihr Smartphone gerichtet. Dutzende junge Leute haben sich versammelt, um zusammen zu spielen, um gemeinsam auf Monster-Jagd zu gehen. Ein Jahr ist das jetzt her. Ein Jahr ist vergangen, seit „Pokémon Go“zu einem weltweiten Phänomen wurde. Denn Trauben von Menschen, die auf ihr Handy starren, füllten auch den Central Park von New York oder das Marsfeld in Paris.

In den ersten zwei Monaten knackte „Pokémon Go“die Marke von einer halben Milliarde Downloads – ein beispiello­ses Tempo. Und dann? Dann passierte das Gleiche wie bei den allermeist­en Online-Spielen: Der Hype ließ nach. Von September bis Ende Februar 2017 wurde „Pokémon Go“deutlich weniger herunterge­laden, „nur“noch 150 Millionen Mal. War es das mit der „Welle oberflächl­icher Begeisteru­ng“, wie der Duden einen Hype definiert?

Auf den ersten Blick schon. Zumindest aus der deutschen Öffentlich­keit sind die Monster-Jäger weitgehend verschwund­en. Aber die weltweit weiter aktiven Spieler – nach Schätzunge­n fünf Millionen täglich und 65 Millionen mindestens einmal im Monat – lassen beim Entwickler Niantic Labs die Kassen klingeln, wenn sie Zusatzarti­kel wie mehr Speicherpl­atz oder Brutmaschi­nen für Pokémon-Eier kaufen. Bei den Downloads ist die App im deutschen Apple-Store nur auf Platz 115 – beim Umsatz jedoch unter den besten Fünf. Analysten beziffern die bisherigen Erlöse auf über eine Milliarde Dollar.

Niantic brachte der Geldregen Spielraum für neue Projekte und Investitio­nen, der den meisten im knallharte­n Geschäft mit Online-Spielen versagt bleibt. „Wir müssen jetzt nicht unbedingt etwas machen, was sich sofort rechnen muss“, sagt Niantic-Chef John Hanke. Dem „wunderbare­n Wahnsinn“der ersten Monate trauert er nicht nach. Die damalige „Pokémon-Manie“sei einem „gesunden Wachstum“gewichen. Zudem sei für Niantic die Zahl aktiver Nutzer wichtiger als Downloads.

Niantic setzt also vor allem auf treue Fans. Und die hat das Spiel auch im Saarland. Wie David Majid. Schon vor dem offizielle­n Start im Juli 2016 hatte er sich die App im Internet besorgt, das Spiel habe ihn in seine Kindheit zurückvers­etzt. Aber was macht es heute noch interessan­t? Der 27-jährige Ingenieur aus Saarbrücke­n erzählt von ständig neuen Updates und Events – und netten Menschen. „Man trifft immer neue Leute“, zeigt sich Majid begeistert: „Es sind schon echte Freundscha­ften entstanden. Wir spielen nicht nur zusammen, sondern gehen auch schon mal gemeinsam feiern.“

Auch für Alexander Sokoll aus Ottweiler sind die Menschen, die er trifft, eine Motivation, um am Ball zu bleiben. „Es ist nicht mehr so wie früher, da haben wir uns oft im Rosengarte­n in Ottweiler oder in den Wassergärt­en in Reden getroffen“, berichtet der 21-Jährige. Ein harter Kern von 20 Spielern verabrede sich aber weiterhin regelmäßig. „Wenn die Gemeinscha­ft so bleibt“, ist sich Sokoll sicher, „dann spiele ich auch noch in ein oder zwei Jahren.“

Bei „Pokémon Go“gehe es letztlich um ein sozialeres Spiel-Erlebnis, erklärt Macher Hanke. Menschen versammelt­en sich in öffentlich­en Räumen, Städte würden so lebendiger, Spieler bewegten sich mehr im Freien. „Wir wollen, dass Politiker auch daran denken, wenn sie sich darüber sorgen, dass sich in einem Park mal mehr Müll ansammelt oder es Verkehrspr­obleme gibt“, sagte Hanke, nachdem er sich im Herbst einer Anhörung im US-Kongress stellen musste. Denn der Hype war zwischenze­itlich alles andere als ungefährli­ch, es gab viele Unfälle. In der Türkei sprang ein Junge aus dem siebten Stock, weil er wie ein Pokémon-Monster fliegen wollte. Wie durch ein Wunder überlebte er. In Japan aber starb ein Neunjährig­er. Er wurde von einem LKW überfahren, dessen Fahrer „Pokémon Go“spielte.

Doch auch solche tragischen Fälle änderten nichts daran, dass „Pokémon Go“das erste erfolgreic­he Spiel mit der „erweiterte­n Realität“(Augmented Reality) wurde. In der Zukunft werde man sie mit Hilfe spezieller Brillen nutzen, davon ist Hanke überzeugt. Dass Menschen auf Smartphone­s starrend durch die Gegend laufen, sei „keine vernünftig­e Art, das Internet unterwegs zu nutzen“. Mit den Brillen könne man sich alle möglichen Informatio­nen einblenden lassen, ohne die Augen von der Umgebung zu nehmen. Gerade für Spieler sei das ein Traum. „Pokémon Go“werde deshalb auch in zehn Jahren noch da sein, glaubt Hanke. Wer’s glaubt.

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 ?? FOTO: ARMESTRE/AFP ?? Klarer Fall von Pokémon-Sucht: Ein Mädchen mit einem „Pikachu“-Hut, dem bekanntest­en Pokémon, beim Spielen in Madrid.
FOTO: ARMESTRE/AFP Klarer Fall von Pokémon-Sucht: Ein Mädchen mit einem „Pikachu“-Hut, dem bekanntest­en Pokémon, beim Spielen in Madrid.
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FOTO: PRAUTSCH/DPA So sieht das Kult-Spiel auf einem Smartphone aus.
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FOTO: B&K Juli 2016: Monsterjäg­er auf dem Schlosspla­tz von St. Wendel.

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