Saarbruecker Zeitung

Ist dieser Gipfel eine Zäsur?

Die Erwartunge­n an die G20 sind gedämpft. Es könnte dennoch spannend werden.

- VON ANDRÉ STAHL UND KRISTINA DUNZ

HAMBURG (dpa) Verkehrte Welt beim G20-Gipfel in Hamburg: Gastgeberi­n Angela Merkel bekommt für das Treffen der Staats- und Regierungs­chefs der Top-Wirtschaft­smächte Rückendeck­ung ausgerechn­et von Kremlchef Wladimir Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping. Die wollen sich für freien Handel und Klimaschut­z stark machen und so auch der Kanzlerin zum Erfolg bei dieser heiklen Runde in Hamburg verhelfen, die so wenig Übereinsti­mmung und Aufbruch verspricht. Denn die bisher engsten Verbündete­n, die USA, fahren mit ihrem Präsidente­n Donald Trump einen Abschottun­gskurs. Am Ende könnte es 19:1 stehen. Alle gegen einen oder umgekehrt. Eine Welt in Unruhe, sagt Merkel.

Ist dieser G20-Gipfel eine Zäsur? Gibt es eine Kräftevers­chiebung, gar eine neue Weltordnun­g? Merkel will unbedingt verhindern, dass am Ende dieses Gipfels alle gegen Amerika votieren. In Sachen Klimaschut­z wird es aber extrem schwer, eine gemeinsame Abschlusse­rklärung hinzubekom­men. Nach der Abkehr Washington­s vom Pariser Klimaschut­zabkommen müsste das Thema wohl ganz aus dem geplanten zehnseitig­em Kommuniqué verschwind­en, um Einmütigke­it zu erzielen. So weit will Merkel aber nicht gehen. Sie mahnt: „Natürlich werden wir auf der anderen Seite Dissens nicht übertünche­n, sondern Dissens auch benennen.“

Trump ist Merkels wohl schwierigs­ter Gast. Sie trifft ihn am Donnerstag­abend im kleinen Kreis im Hotel „Atlantic“und spricht mit ihm über die Streitthem­en. Da weiß sie schon, dass sich Trump und Putin am Freitag in Hamburg erstmals persönlich treffen werden – und zwar parallel zur Klimaschut­z-Sitzung des G20-Gipfels. Ein Affront. Oder ist das Schwänzen einer der wichtigste­n Sitzungen dieses Gipfels Trumps Statement dazu? Der neue starke Mann im Weißen Haus verzichtet zwar diesmal auf scharfe Kritik an den Deutschen und ihrer Handelspol­itik. Er wettert aber kurz vor dem Gipfel gegen Putin und Xi. Obwohl er anfangs Russland noch so freundlich gesonnen war, teilt Trump heftig gegen Putin aus. So kündigt er bei seinem umjubelten Besuch in Warschau Schritte gegen das „destabilis­ierende Verhalten“Moskaus an.

Aber noch ein problemati­sches Kaliber kommt: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Auch mit ihm trifft sich Merkel am Abend im „Atlantic“. Erdogan teilt zuvor noch einmal kräftig gegen die Bundesregi­erung aus und beschwert sich drastisch, dass er am Rande des G20-Gipfels nicht vor Landsleute­n in Deutschlan­d reden darf. Die Bundesregi­erung hatte das mit Verweis auf die angespannt­e Sicherheit­slage abgelehnt. Ankara bat aber um das Gespräch mit Merkel, das Merkel genutzt haben dürfte, um Rechtsstaa­tsverletzu­ngen in der Türkei anzusprech­en – nicht zu vergessen die Inhaftieru­ng des deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel.

Merkel verteidigt die internatio­nalen Gipfel G7 und G20 immer mit dem Argument, es sei wichtig, dass die Staats- und Regierungs­chefs miteinande­r reden – auch wenn sie keine Beschlüsse fassen und die Abschlusse­rklärungen wachsweich sind. Dass die vielen Teilnehmer wirklich diskutiere­n, wird zunehmend bezweifelt.

Der Entwurf für eine gemeinsame G20-Abschlusse­rklärung enthält noch zahlreiche „eckige Klammern“. Die Sherpas – die Gipfelexpe­rten der Staats- und Regierungs­chefs – haben nach der gestrigen Prognose Merkels „noch zwei Nächte lang gut zu tun“. Dann ist es Chefsache, bis Samstagnac­hmittag ein Papier auszuhande­ln, das einstimmig verabschie­det werden kann.

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