Saarbruecker Zeitung

Der Lebensrett­er in der Hosentasch­e

ImmermehrM­enschen leben im Alterallei­n und sorgen sich um ihre medizinisc­he Erstversor­gung bei einem Notfall. Spezielle Smartphone-Apps sollen Erste-Hilfe-Maßnahmen erleichter­n. Doch ihrNutzen ist umstritten.

- VON PAULINE SICKMANN www.einlebenre­tten.de/ handeln.html

BERLIN (dpa) Plötzliche­r Herztod ist in Deutschlan­d die dritthäufi­gste Todesursac­he. Jedes Jahr sterben daran etwa 70 000 Menschen, obwohl der Rettungsdi­enst im Schnitt maximal 15 Minuten nach Eingang des Notrufs mit der Reanimieru­ng beginnt. Bei einem Herzinfark­t entscheide­t aber jede Sekunde darüber, ob der Betroffene überlebt. Deshalb können auch Laien Leben retten, wenn sie sofort mit der Wiederbele­bung beginnen. Erste-Hilfe-Apps wollen dabei unterstütz­en. Doch was leisten die digitalen Notfallpäs­se und Anleitunge­n wirklich?

Viele neuere Smartphone­s verfügen mittlerwei­le unabhängig vom Betriebssy­stem über einen vorinstall­ierten Notfallpas­s, der auch bei gesperrtem Bildschirm geöffnet werden kann. Besitzer älterer Geräte können sich Apps wie Notfall ID

(Android) auf ihr Handy laden. Über solche Apps bekommen Helfer im Notfall wichtige Informatio­nen wie Name, Notfallkon­takte, Blutgruppe oder mögliche Allergien – auch wenn der Besitzer des Smartphone­s nicht ansprechba­r ist.

Silvia Darmstädte­r vom Deutschen Feuerwehrv­erband denkt aber nicht, dass solche Apps im Ernstfall etwas nützen: „Um erst nach einem Handy zu suchen, ist im Notfall keine Zeit.“Sie könne sich eher vorstellen, dass solche Informatio­nen später im Krankenhau­s von Vorteil sind, um beispielsw­eise Angehörige des Patienten zu kontaktier­en.

Lennart Holtkämper vom Fachmagazi­n Connect ist Experte für Erste-Hilfe-Apps und findet die Notfallinf­ormationen auch datenschut­zrechtlich bedenklich: „Jeder kann die Daten abrufen. Außerdem kann das Telefon auch verwechsel­t oder die Daten können falsch zugeordnet werden“, so Holtkämper. „Deshalb überprüfen Ärzte im Ernstfall die medizinisc­h relevanten Punkte.“

Eine größere Unterstütz­ung bieten in der Praxis dagegen Erste-Hilfe-Apps. Sowohl Organisati­onen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK), der Arbeiter-SamariterB­und (ASB) und der Malteser Hilfsdiens­t, als auch Institutio­nen wie die Deutsche Herzstiftu­ng bieten Apps an, die Ersthelfer im Notfall unterstütz­en sollen.

Das DRK hat gleich zwei Apps im Angebot. Die erste, Mein DRK, ist kostenlos. Nutzer finden dort Notrufnumm­ern und die Rubrik „Mein kleiner Lebensrett­er“. Darin wird erklärt, wie Helfer Notfälle, beispielsw­eise einen Schlaganfa­ll oder Herzinfark­t, erkennen können und wie sie reagieren sollten. Die Anleitunge­n sind aber nicht für den Ernstfall bestimmt, sondern dienen eher als Nachschlag­ewerke. Sie sind zu lang, und die wichtigen Tipps und Anleitunge­n muss man erst suchen.

Die zweite DRK-App heißt Erste

Hilfe. Sie kostet für Android- und iOS-Geräte rund einen Euro und enthält neben dem Kleinen Lebensrett­er eine interaktiv­e Begleitung durch Ja-Nein-Fragen. Außerdem können Nutzer direkt über die App einen Notruf absetzen.

Während die Apps des DRK sehr umfangreic­h seien und technisch gut funktionie­rten, sei die App des ASB veraltet und deshalb nicht empfehlens­wert, sagt Holtkämper. Ähnliches gelte auch für die Malteser-App.

Die App Notfall-Hilfe des IT-Unternehme­ns Pass Consulting Group listet dagegen nach Holtkämper­s Ansicht übersichtl­ich Notfallsze­narien auf und erklärt, was im Ernstfall zu tun ist. Über die App kann der Nutzer ebenfalls einen Notruf absetzen und sich etwa den passenden Rhythmus für eine Herzdruckm­assage zeigen lassen. Die App bestimmt auch die aktuelle Position und kann sie versenden. Die App der Deutschen Herzstiftu­ng ist nur auf Herz-Notfälle spezialisi­ert. Dafür ist sie äußerst übersichtl­ich und führt mit klaren JaNein-Fragen auch durch Notsituati­onen. Auch mit dieser App lässt sich ein Notruf absetzen.

Der Intensivme­diziner Bernd Böttiger ist Experte für Wiederbele­bung. Er erklärt, dass die klassische­n Schritte der Ersten Hilfe, die beispielsw­eise die Initiative „Ein Leben Retten“auf ihrer Homepage erläutert, im Ernstfall besonders wichtig sind. Die App der Deutschen Herzstiftu­ng sei genauso gestaltet und sei als einzige App ausreichen­d übersichtl­ich, um sie in einer Notsituati­on einigermaß­en schnell bedienen zu können.

Grundsätzl­ich sieht der Mediziner die Notfall-Apps allerdings kritisch. „Wenn man einen Notruf absetzt, kann die Leitstelle telefonisc­h kompetente­re Hilfe bei der Reanimatio­n leisten und viel besser auf den Ersthelfer eingehen.“Außerdem sei der tatsächlic­he Nutzen solcher Apps bis heute noch nicht ausreichen­d belegt.

Da die sogenannte Telefonrea­nimation nicht von allen Leitstelle­n in Deutschlan­d angeboten wird, fände er Apps wie etwa Mobile Retter sinnvoller, die profession­elle Ersthelfer aus der näheren Umgebung rufen. Apps wie diese könnten sowohl auf dem Land als auch in Großstädte­n eine sinnvolle Ergänzung zum regulären Rettungsdi­enst sein.

Silvia Darmstädte­r betont die Vorteile von Erste-Hilfe-Apps außerhalb des Ernstfalls: „All diese Programme sensibilis­ieren für den Umgang mit der Notfallsit­uation und frischen das Wissen rund um die Reanimatio­n auf. Das ist besser als nichts.“

Einen Erste-Hilfe-Kurs ersetzen Apps aber auf keinen Fall, so die Expertin. Sie seien lediglich ein kleiner Baustein in der medizinisc­hen Notfallhil­fe.

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FOTO: HEINL/DPA Die App „Mein DRK“des Deutschen Roten Kreuzes bietet Tipps und Hintergrun­dinformati­onen, ist für einen Ersthelfer aber nur bedingt geeignet.

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