Der Lebensretter in der Hosentasche
ImmermehrMenschen leben im Alterallein und sorgen sich um ihre medizinische Erstversorgung bei einem Notfall. Spezielle Smartphone-Apps sollen Erste-Hilfe-Maßnahmen erleichtern. Doch ihrNutzen ist umstritten.
BERLIN (dpa) Plötzlicher Herztod ist in Deutschland die dritthäufigste Todesursache. Jedes Jahr sterben daran etwa 70 000 Menschen, obwohl der Rettungsdienst im Schnitt maximal 15 Minuten nach Eingang des Notrufs mit der Reanimierung beginnt. Bei einem Herzinfarkt entscheidet aber jede Sekunde darüber, ob der Betroffene überlebt. Deshalb können auch Laien Leben retten, wenn sie sofort mit der Wiederbelebung beginnen. Erste-Hilfe-Apps wollen dabei unterstützen. Doch was leisten die digitalen Notfallpässe und Anleitungen wirklich?
Viele neuere Smartphones verfügen mittlerweile unabhängig vom Betriebssystem über einen vorinstallierten Notfallpass, der auch bei gesperrtem Bildschirm geöffnet werden kann. Besitzer älterer Geräte können sich Apps wie Notfall ID
(Android) auf ihr Handy laden. Über solche Apps bekommen Helfer im Notfall wichtige Informationen wie Name, Notfallkontakte, Blutgruppe oder mögliche Allergien – auch wenn der Besitzer des Smartphones nicht ansprechbar ist.
Silvia Darmstädter vom Deutschen Feuerwehrverband denkt aber nicht, dass solche Apps im Ernstfall etwas nützen: „Um erst nach einem Handy zu suchen, ist im Notfall keine Zeit.“Sie könne sich eher vorstellen, dass solche Informationen später im Krankenhaus von Vorteil sind, um beispielsweise Angehörige des Patienten zu kontaktieren.
Lennart Holtkämper vom Fachmagazin Connect ist Experte für Erste-Hilfe-Apps und findet die Notfallinformationen auch datenschutzrechtlich bedenklich: „Jeder kann die Daten abrufen. Außerdem kann das Telefon auch verwechselt oder die Daten können falsch zugeordnet werden“, so Holtkämper. „Deshalb überprüfen Ärzte im Ernstfall die medizinisch relevanten Punkte.“
Eine größere Unterstützung bieten in der Praxis dagegen Erste-Hilfe-Apps. Sowohl Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK), der Arbeiter-SamariterBund (ASB) und der Malteser Hilfsdienst, als auch Institutionen wie die Deutsche Herzstiftung bieten Apps an, die Ersthelfer im Notfall unterstützen sollen.
Das DRK hat gleich zwei Apps im Angebot. Die erste, Mein DRK, ist kostenlos. Nutzer finden dort Notrufnummern und die Rubrik „Mein kleiner Lebensretter“. Darin wird erklärt, wie Helfer Notfälle, beispielsweise einen Schlaganfall oder Herzinfarkt, erkennen können und wie sie reagieren sollten. Die Anleitungen sind aber nicht für den Ernstfall bestimmt, sondern dienen eher als Nachschlagewerke. Sie sind zu lang, und die wichtigen Tipps und Anleitungen muss man erst suchen.
Die zweite DRK-App heißt Erste
Hilfe. Sie kostet für Android- und iOS-Geräte rund einen Euro und enthält neben dem Kleinen Lebensretter eine interaktive Begleitung durch Ja-Nein-Fragen. Außerdem können Nutzer direkt über die App einen Notruf absetzen.
Während die Apps des DRK sehr umfangreich seien und technisch gut funktionierten, sei die App des ASB veraltet und deshalb nicht empfehlenswert, sagt Holtkämper. Ähnliches gelte auch für die Malteser-App.
Die App Notfall-Hilfe des IT-Unternehmens Pass Consulting Group listet dagegen nach Holtkämpers Ansicht übersichtlich Notfallszenarien auf und erklärt, was im Ernstfall zu tun ist. Über die App kann der Nutzer ebenfalls einen Notruf absetzen und sich etwa den passenden Rhythmus für eine Herzdruckmassage zeigen lassen. Die App bestimmt auch die aktuelle Position und kann sie versenden. Die App der Deutschen Herzstiftung ist nur auf Herz-Notfälle spezialisiert. Dafür ist sie äußerst übersichtlich und führt mit klaren JaNein-Fragen auch durch Notsituationen. Auch mit dieser App lässt sich ein Notruf absetzen.
Der Intensivmediziner Bernd Böttiger ist Experte für Wiederbelebung. Er erklärt, dass die klassischen Schritte der Ersten Hilfe, die beispielsweise die Initiative „Ein Leben Retten“auf ihrer Homepage erläutert, im Ernstfall besonders wichtig sind. Die App der Deutschen Herzstiftung sei genauso gestaltet und sei als einzige App ausreichend übersichtlich, um sie in einer Notsituation einigermaßen schnell bedienen zu können.
Grundsätzlich sieht der Mediziner die Notfall-Apps allerdings kritisch. „Wenn man einen Notruf absetzt, kann die Leitstelle telefonisch kompetentere Hilfe bei der Reanimation leisten und viel besser auf den Ersthelfer eingehen.“Außerdem sei der tatsächliche Nutzen solcher Apps bis heute noch nicht ausreichend belegt.
Da die sogenannte Telefonreanimation nicht von allen Leitstellen in Deutschland angeboten wird, fände er Apps wie etwa Mobile Retter sinnvoller, die professionelle Ersthelfer aus der näheren Umgebung rufen. Apps wie diese könnten sowohl auf dem Land als auch in Großstädten eine sinnvolle Ergänzung zum regulären Rettungsdienst sein.
Silvia Darmstädter betont die Vorteile von Erste-Hilfe-Apps außerhalb des Ernstfalls: „All diese Programme sensibilisieren für den Umgang mit der Notfallsituation und frischen das Wissen rund um die Reanimation auf. Das ist besser als nichts.“
Einen Erste-Hilfe-Kurs ersetzen Apps aber auf keinen Fall, so die Expertin. Sie seien lediglich ein kleiner Baustein in der medizinischen Notfallhilfe.