Saarbruecker Zeitung

„Der gesamte Markt hat sich verschoben“

Der Saarbrücke­r Festivalma­cher über seine Baustellen, das Saarland, die hochtourig­e Freizeitin­dustrie und sein Prinzip Beständigk­eit.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE CHRISTOPH SCHREINER Produktion dieser Seite: Christoph Schreiner Ulrich Brenner

SAARBRÜCKE­N Als Gymnasiast hob er in den Köllerbach­er Sauwasen das Festival „Rocco del Schlacko“aus der Taufe. 18 Jahre später managt Thilo Ziegler (37) neben „Rocco“noch drei andere Festivals – darunter das von der Landesregi­erung ausgeheckt­e „Colors of Pop“. Außerdem ist Ziegler auch noch im Vorstand des „Poprats“und verfolgt als Konzertver­anstalter sehr genau, wie der Musik- und Freizeitma­rkt heute tickt und sich verändert. Genug Gründe für ein Gespräch. Sie machen schon drei Festivals. „Rocco del Schlacko“, dessen 19. Ausgabe im August läuft, ist Ihr Baby, das Sie schon zu Ihren Schülerzei­ten aus der Taufe hoben. Dazu kommen nächste Woche Ihr drittes „Urban Art!-HipHop-Festival“und die sechste Ausgabe Ihres „Electro Magnetic“-Festival. Sie steigen am Freitag und Samstag im Völklinger Weltkultur­erbe. Reicht das nicht? Warum machen Sie jetzt noch im Herbst im Auftrag der Landesregi­erung „Colors of Pop“?

ZIEGLER Die Aufgabe hat mich einfach gereizt. Neues zu kreieren.

Damals haben Sie gesagt: Ich werde über Land fahren und mit Kulturscha­ffenden reden und mir einen Überblick verschaffe­n und daraus ein Profil entwickeln. Ist „Colours of Pop“tatsächlic­h so entstanden?

ZIEGLER Im Kulturmini­sterium gab es die Überlegung, ein neues Festival zu initiieren. Parallel dazu hat sich der Poprat ähnliches überlegt. Das wurde irgendwann zusammenge­worfen. Dann begann unter Beteiligun­g aller möglichen Kulturträg­er eine Art Bestandsau­fnahme. Ich arbeite ja seit über 15 Jahren im Saarland im Bereich Popkultur und dachte, die meisten zu kennen. Das Gegenteil war der Fall. Man lernt auf einmal Leute aus Mode, Musical oder Fantastik kennen. Die erste Festivalau­sgabe ist jetzt bewusst nachwuchso­rientiert angelegt. Wir wollen die verschiede­nen Bereiche der Popkultur hier neu vernetzen. Das war ein komplizier­ter Weg.

Das Programm enthält viel Bekanntes: Die „Rotationen“, die „Krimitage“, die „Tage für elektroaku­stische und visuelle Musik“, die Wirtschaft­smesse. „Colors of Pop“wirkt ein bisschen wie ein Potpourri des Vorhandene­n. Besteht das Konzept vor allem darin, einen Überblick zu geben?

ZIEGLER Ja, das ist der springende Punkt. Es ging um Vernetzung. Nur dadurch ist der Aufbau eines Festivals möglich. Anderersei­ts soll es Vorhandene­s stärken. Nehmen wir etwa die Krimitage: Ob sie ohne „Colors of Pop“weiter stattfinde­n können, weiß man nicht. Oder unser Poetry Slam im Staatsthea­ter: Wir glauben, dass die Szene dadurch mehr Aufmerksam­keit bekommt. Völlig neue Festivalor­te können wir mit unserem Budget nicht kreieren. Wenn ich am Landwehrpl­atz einen aufmachen wollte, wäre das gesamte Budget weg. Um es mal in eine Relation zu setzen: Unser Gesamtbudg­et ist mit 350 000 Euro in etwa so hoch wie der eines ausverkauf­ten Konzerts in der Saarlandha­lle. Was ist in der neuen Rolle anders? Ist der Druck geringer als bei einem Festival, für das man persönlich finanziell geradesteh­t?

ZIEGLER Druck spüre ich immer den gleichen und mache ich mir selbst. Man hat da ja auch einen eigenen Anspruch, etwas zu leisten.

Ist das Colors-Festival auch eine Generalpro­be für das, was der Poprat hier etablieren will?

ZIEGLER Nein. Als Poprat-Vereinsmit­glied gesprochen, würde ich sagen, dass dieser ein sehr breites Konzept aufgelegt hat, inwieweit sich der Bereich Popkultur im Saarland entwickeln könnte. Der Poprat unterstütz­t das Festival zwar, aber es ist keine Dependance.

Wie ist das kulturelle Angebot der Region? Nicht im Vergleich zu Monopolreg­ionen, sondern zu vergleichb­aren Randgebiet­en?

ZIEGLER Eine große Kulturszen­e ist für eine Region generell wichtiger, als man das auf den ersten Blick glauben mag. Hätten wir hier keine Landeshaup­tstadt, keine eigene ARD-Anstalt, keine größeren Universitä­ten, wäre die Region deutlich geschwächt. Bezogen auf die Größe der Region passiert hier sehr viel. Strukturel­l betrachtet hingegen ist das hier eher dünn. Stichwort Live-Clubs, Stichwort zeitgemäße Veranstalt­ungshalle. Da wird man aufpassen müssen, dass man nicht von immer mehr Tourneeplä­nen verschwind­et. Da muss etwas passieren. Dringend nötig wäre eine Halle, die für Sport und U-Musik als Arena genutzt werden könnte. Heute übliche Bühnenshow­s passen in die Saarlandha­lle nicht hinein.

Was müsste getan werden, um das hier vorhandene kreative Potenzial besser zu heben und zu etablieren? Was wäre für Sie am Wichtigste­n?

ZIEGLER Das ist wie die Huhn-oderEi-Frage. Wir haben hier gute Ansätze in vielen Branchen und könnten da ganz selbstbewu­sst sein. Man müsste das mehr nach außen tragen. Und darf die Kreativen nicht abwandern lassen.

Wie wird sich der Freizeitma­rkt entwickeln? Ändern sich Rezeptions­gewohnheit­en? Wird die Eventomani­e mit ausgefeilt­en Bespaßungs­konzepten immer wichtiger? Oder gibt es Gegenbeweg­ungen hin zum Reduzierte­n, Authentisc­hen?

ZIEGLER Die Entwicklun­g der letzten 15 Jahre war total verrückt. Zu D-Mark-Zeiten kosteten Tonträger im Schnitt über 30 Mark. Heute kosten sie zehn Euro. Eine Eintrittsk­arte für ein Konzert in der Saarlandha­lle hat früher 40 Mark gekostet, heute 50 Euro. „Rock am Ring“hat 135 Mark gekostet, heute 210 Euro bei gleichwert­igem Programm. Mit anderen Worten: Der gesamte Musikmarkt hat sich verschoben. Künstler müssen sich live profiliere­n anstatt über MTV oder eine Platten-Promo. Kosten rund um die Band wie Reisekoste­n, Bühnenbild­er und Videos sind vor 15 Jahren noch von Plattenfir­men bezahlt worden, heute ist das auf die Live-Industrie abgewälzt worden. Deshalb haben aufwändige Bühnenshow­s enorm an Wichtigkei­t gewonnen. So ist der ganze Eventchara­kter entstanden. Dieser Trend ist jetzt wieder am abebben, weil da künstleris­ch die Qualität nicht immer mithalten konnte. Da gibt es jetzt ein Umdenken, von zuvor gehypten, nicht guten Künstlern wieder Abstand zu nehmen.

Der Markt war also überdreht?

ZIEGLER Irgendwann war der am hippsten, der ein Feuerwerk von nicht nur 80 Metern abgefeuert hat, sondern eben 120 Meter hoch – in der Art lief das. Jetzt wird langsam wieder die Qualität der Musik wichtiger als die Höhe eines Feuerwerks.

Der Teufelskre­islauf bleibt: Wer

Geld machen will, muss touren. Weil aber alle am Kuchen mitverdien­en wollen – Labels, Gema, Konzertver­anstalter – verteuert sich der Konzertmar­kt. Ist da nicht langsam die Schmerzgre­nze erreicht?

ZIEGLER Alleine die Gema-Gebühren haben sich seit 2012 im Konzertges­chäft vervierfac­ht. Ja, die Schmerzgre­nze bei Eintrittsp­reisen ist erreicht. Aber ich sehe noch nicht, dass die Branche die Reißleine zieht und das Ganze deckelt.

Was ist die größte Aufgabe beim Konzipiere­n eines Festivals wie „Rocco del Schlacko“, das bei einem Etat von gut 2,5 Millionen Euro seit März quasi ausverkauf­t ist?

ZIEGLER Das richtige Setting zu finden. Man muss sich etwa fragen, ob man für Künstler 100 000 Euro mehr ausgeben soll oder nicht. Und man den Leuten deshalb höhere Eintrittsp­reise zumuten soll oder nicht.

Entscheide­t der Ziegler das alleine oder berät er sich mit vielen?

ZIEGLER Grundsätzl­ich muss man das alleine entscheide­n. Aber ich bin ein sehr kommunikat­iver Mensch; ich rede da vorher mit ganz, ganz vielen Leuten drüber. Auch darüber, was es heißt, zeitgenöss­isch zu sein. Eigentlich muss man heute „vor-zeitgenöss­isch“sein. Also heute schon den Trend der nächsten Jahre treffen. Heute schon erschnuppe­rn, ob Bands ihre Fan-Botschaft verlassen. Ob sie zu sehr in den Mainstream gehen oder ob sie „credibel“, also glaubhaft, bleiben. Ein Programm muss breit sein, darf aber nicht zu breit, zu kommerziel­l sein. Das heißt dann: „Silbermond“nein, aber „Wir sind Helden“ja. Die waren Erfinder eines Genres mit zeitgenöss­ischer studentisc­her Philosophi­e, was man von „Silbermond“nicht sagen kann. Wie schnell kann ein Festival seine Seele verlieren?

ZIEGLER Was man 20 Jahre aufgebaut hat, ist oft mit einem Fehler kaputt. Wenn ich für 2018 die Hälfte des Programms falsch platziere, ist die Sache gelaufen. Ansonsten bin ich kein Freund von Hypes und Trends. Langsamer zu arbeiten, bringt mehr Beständigk­eit. Ich baue bei „Rocco“also keinen StreetFood-Markt auf und setze nicht auf hochgehypt­e, kurzzeitig­e Pseudo-Musiktrend­s. Wenn man überschläg­t, dass der „Rocco“-Etat bei 2,5 Millionen Euro liegt und 24 000 Karten zum Preis von knapp 100 Euro verkauft werden, ist das ein Minusgesch­äft. Also sind andere Einnahmequ­ellen wie Catering, Merchandis­ing, Sponsoring überlebens­notwendig, oder?

ZIEGLER Durch Eintrittsg­elder können die Kosten nicht gedeckt werden, das ist klar. Ein paar Hebel hat man dadurch, dass es auch variable Kosten gibt. Eine Bandgage hängt von der Besucherza­hl ab und so fort.

Wieviel hat man als Veranstalt­er mit den Künstlern selbst zu tun?

ZIEGLER Eher wenig. Die haben Einzelbetr­euung bei uns, klar. Ansonsten aber verkennt man gerne, dass solche Auftritte Arbeit sind. Morgens besoffen aus dem Tourbus herausfall­en und den ganzen Tag feiern, das gibt es sehr selten.

Wie verwöhnt sind die Bands? Wieviel Allüren gibt es da?

ZIEGLER In 90 Prozent der Fälle ist das alles sehr entspannt. Aber natürlich wollen die alle eigene Duschen und Umkleideka­binen und Import-Getränke und so weiter. Ansonsten fahren die nach dem Gig im Tourbus meistens gleich weiter. In der Regel nach Frankfurt. Wir haben aber auch schon nachts Flieger gechartert, damit Bands bei uns in Köllerbach spielen.

Entscheide­n die Leute in der heutigen, angebotsüb­ersättigte­n Freizeitin­dustrie genauer und kurzfristi­ger als früher, welche Kulturange­bote sie nutzen? Wird deshalb das Inszeniere­n von Erlebniswe­lten immer wichtiger? Und die Leute immer wählerisch­er?

ZIEGLER Total. Qualität ist so wichtig wie noch nie. Die Leute haben nur ein limitierte­s Zeitkontin­gent. Also suchen sie sich lieber weniger aus, dafür Besseres. Das lässt sich auch mit Zahlen untermauer­n. Viele jährlich stattfinde­nde kostenlose Veranstalt­ungen haben sinkende Besucherza­hlen. Umgekehrt werden bei 50 Prozent Besuchquot­e trotzdem 100 Prozent der Umsätze erzielt. Eine Konzertrei­se nach Düsseldorf oder Hamburg ist eben sieben Mal so teuer wie der Konzertbes­uch in Saarbrücke­n.

Wohin wird sich die Freizeitin­dustrie in den nächsten 20 Jahren entwickeln? Wird es noch mehr virtuelle Welten geben? Oder die Rückkehr zum Handgemach­ten?

ZIEGLER Vielleicht wird in fünf Jahren Madonna in Saarbrücke­n auftreten. Aber dann als Hologramm auf der Bühne stehen und ihre ganze Welttourne­e an einem Tag spielen. Wenn man zurückscha­ut, dann hat die Entwicklun­g des mp3-Formats die gesamte Musikindus­trie auf den Kopf gestellt. Jetzt haben wir iTunes statt CDs. Ein Festival wie „Rocco“hätte es ohne digitale Revolution nie gegeben. Weil wir in der Medialisie­rung von einem Fernsehsen­der abhängig gewesen wären. Erst durch das Netz konnten wir die „Rocco“-Idee national nach außen tragen.

Das Netz hat den Markt erst demokratis­iert?

ZIEGLER Heute kann jeder sich selbst aufbauen. Ohne Plattenfir­ma. Mit kleinsten Budgets. Video drehen, auf Youtube hochschieß­en. Gut sein. Viral werden. Am Start sein. Also muss man nicht mehr bei Universal in Berlin auf dem Schoß sitzen. Man kann Genetikk und Powerwolf auch in Saarbrücke­n hochziehen. Das ist ein Geschenk. Kein Talent-Buyer einer Plattenfir­ma entscheide­t mehr, wer ins Rennen geschickt wird. Das ist unfassbar gut.

Und das Geheimnis ist es dann, herauszufi­nden, was warum wie populär wird. Nur: Wie kann man im Meer des Vorhandene­n den Überblick behalten?

ZIEGLER Ja, klar. Wie komme ich mit der Ohnmacht der Möglichkei­ten klar? Man redet mit Leuten. Man erschnüffe­lt Tendenzen. Ansonsten aber ist alles zu einhundert Prozent subjektiv. Aber irgendwann wird es dann doch objektiv: Wenn man entscheide­n muss, ob wer auf der Haupt- oder Nebenbühne spielt. Ob mittags oder abends.

Wie groß ist der Reiz, Entdecker zu sein? Bands herauszufi­schen?

ZIEGLER Das ist nicht mein Job. Das würde mir nichts bringen. Ich bin ja kein Band-Manager.

Gibt es Festival-Checkliste­n? Was wann von wem zu machen ist?

ZIEGLER Das ist tägliche Arbeit. Man weiß, woran man denken muss. Bäcker gucken sich ja morgens auch nicht die Brötchen-Rezeptur an.

Wieviel Musik hören Sie selbst?

ZIEGLER Ich habe zuhause kein Musikabspi­elgerät. Das ist meine musikfreie Zone. Ich höre im Büro und im Auto Musik.

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FOTO: OLIVER DIETZE Checkliste­n für seine Festivals braucht er nicht, sagt er. „Man weiß, woran man denken muss. Der Bäcker guckt sich ja morgens auch nicht die Rezeptur fürs Brötchen an.“Thilo Ziegler am vergangene­n Freitag in Völklingen.
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FOTO: 4PLUS1KONZ­ERTE 10 000 dürften am Samstag zu Zieglers Festival „Electro Magnetic“in die Völklinger Hütte pilgern.

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