Saarbruecker Zeitung

Merkels Lächel-Diplomatie

Die Kanzlerin setzt beim Hamburger Gipfel ihren ganzen Tagungslei­ter-Charme ein. Dennoch schrammt sie am Ende nur knapp an einem großen Fiasko mitten im Bundestags­wahlkampf vorbei.

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HAMBURG Es war nach Heiligenda­mm 2007 und Elmau 2015 Angela Merkels dritter Gipfel. Und ihr größter. Der Aufwand, den Kanzlerund Presseamt seit fast einem Jahr im Vorfeld und während des Treffens selbst betrieben, war enorm. Doch Hamburg lief anders als erwartet. Dieser Gipfel wird nicht auf Merkels Wahlkampfk­onto einzahlen.

Das lag zum einen an den gewalttäti­gen Protesten. Die massiven Ausschreit­ungen bestimmten die Bilder und störten sogar den Ablauf des Gipfels selbst, jedenfalls das Partnerpro­gramm. So etwas hat es noch nicht gegeben. Innenpolit­isch dreht sich die Diskussion seither um die Schuldfrag­e. Sie richtet sich gegen den rot-grünen Hamburger Senat – aber auch gegen die Kanzlerin, die ihre Geburtssta­dt unbedingt als Austragung­sort wollte.

Es lag aber auch an der Veränderun­g der weltpoliti­schen Lage. Mit Trump, Putin, Erdogan und etlichen anderen gibt es neue Potentaten, die auf Kooperatio­n wenig geben. Global haben sich die Machtblöck­e verschoben und sind noch nicht neu austariert. Merkels berühmtes Vermittlun­gsgeschick stieß diesmal an objektive Grenzen. Die Dame in den knalligen Jacketts, blau am ersten Tag, rot am zweiten, grün am dritten, tat ihr Bestes, um sie zu überwinden. Angela Merkel war jedem gleich zugewandt, immer freundlich. „Donald“duzte sie und selbst Erdogan lächelte sie an. Die Gastgeberi­n wusste, dass die internatio­nalen Kameras in Hamburg nicht auf sie gerichtet waren, sondern auf den Amerikaner, den Chinesen, den Russen. Sie versuchte erst gar nicht, deren Selbstdars­tellungsdr­ang zu übertrumpf­en. Ihre eigentlich­e Arbeit verrichtet­e sie hinter den Kulissen. Bei der Sitzungsle­itung, vor allem aber bei den Verhandlun­gen um das Schlussdok­ument.

Hier lag für die Kanzlerin das größte Risiko. Riesiger Aufwand, massive Krawalle, und dann kein Ergebnis – der G20-Gipfel hätte für sie sogar regelrecht zum Wahlkampf-Fiasko werden können. Sie ist nur knapp daran vorbeigesc­hrammt. Merkel lag daran, einen Minimalkom­promiss zwischen den immer mehr auseinande­r driftenden Weltmächte­n zu finden. Keine Kluft zu vertiefen. Das gelang nur bedingt. In Sachen Welthandel gibt es zwar ein Bekenntnis gegen den Protektion­ismus, aber auch die Anerkennun­g „legitimer Verteidigu­ngsinstrum­ente im Handel“, wie die USA gefordert hatten. Und beim Klimaschut­z wurde lediglich der Gegensatz festgeschr­ieben, dass sich 19 dem Pariser Abkommen weiter verpflicht­et fühlen und zur Kenntnis nehmen, dass die USA es aufkündige­n wollen.

Immerhin gelang es der Kanzlerin, eine kommunikat­ive Atmosphäre zu schaffen, die die Teilnehmer wohl durchweg als angenehm empfanden. Das hat mit Merkels unverkramp­fter Art zu tun, aber auch mit dem Rahmen. Man kam sich näher bei den vielen Essen, Empfängen, Smalltalks. Als aus Versehen für einige Minuten einmal Merkels Mikrofon vor Beginn der Schlusssit­zung offen war, konnten einige Journalist­en das im Pressezent­rum mithören. Die Staatschef­s standen herum und plauderten. Man hörte Trump, wie er ausgerechn­et Donald Tusk, Erzgegner der regierende­n polnischen Nationalis­ten, für die Kundgebung in Warschau lobte, auf der er gesprochen hatte. „Great people“, großartige­s Volk. Tusk gab artig zurück, dass es aber auch eine großartige Rede des Präsidente­n gewesen sei und boxte Trump gar kumpelhaft in die Schulter. Merkel hörte das, stand auf und sagte auf Englisch: „Ja, großartige Rede, das hättest du auch früher schon machen können.“

Mag sein, dass der Hauch von Gruppengef­ühl, der das Treffen phasenweis­e durchwehte, dazu beigetrage­n hat, dass die Mächtigen miteinande­r konstrukti­ver umgingen als sonst, wenn sie aus der Ferne aufeinande­r eindresche­n. Trump mit Putin zum Beispiel. Staatschef­s sind schließlic­h auch nur Menschen. Am Freitagabe­nd beim Konzert in der Elbphilhar­monie bekam die Kanzlerin jedenfalls den spontanen Beifall aller Teilnehmer, als sie mit ihrem Ehemann Joachim Sauer den Saal betrat. Trump stand dafür sogar auf.

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FOTO: IMAGO Selbst den beinharten Donald Trump (hier mit EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk) brachte Angela Merkel in Hamburg zeitweise zum Schmunzeln.

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