Saarbruecker Zeitung

Ein Scharlatan im weißen Kittel

Ein Postbote gab sich als Oberarzt aus. Im Juli vor 20 Jahren flog er auf.

- VON SABINE FUCHS

(dpa) Er brachte es von der Straße auf den Oberarztse­ssel. Fast zwei Jahre praktizier­te der gelernte Postbote ohne einschlägi­ge Ausbildung in der psychiatri­schen Klinik Zschadraß bei Leipzig. Mit gefälschte­n Papieren hatte Gert Postel sich die Stelle erschwinde­lt. Er schreckte selbst davor nicht zurück, psychiatri­sche Gutachten für Gerichte zu verfassen.

Zum Verhängnis wurde dem bei Bremen geborenen Mann im Juli vor 20 Jahren, dass er eine Mitarbeite­rin einstellte, deren Wurzeln bis nach Norddeutsc­hland reichten. Ihre Eltern erkannten Postel als den einschlägi­g vorbestraf­ten Hochstaple­r, der seine kriminelle Karriere als Amtsarzt „Dr. Dr. Bartholdy“in Flensburg begann. Dort flog er auf, weil er eine Ausweishül­le mit falschen Dokumenten verloren hatte. Nachdem sein erneuter Schwindel in Zschadraß aufgedeckt worden war, tauchte Postel unter und war zunächst nicht auffindbar.

„Alle Hochstaple­r haben eines gemeinsam: Sie sind gute Schauspiel­er, nehmen den Fachjargon der jeweiligen Berufsgrup­pe an und haben ein großes Selbstbewu­sstsein“, erläutert Marco Löw, der 15 Jahre bei der Kriminalpo­lizei München als Vernehmer und Experte für Betrug tätig war. Auch Postel habe diese Rolle offenbar gut ausgefüllt, sagt Löw, der heute als Berater tätig ist und unter anderem bei großen Unternehme­n Vorträge zum Thema hält, wie man Menschen entschlüss­elt.

Die notwendige­n Unterlagen für eine Bewerbung zu beschaffen, sei recht einfach, zumal im Zeitalter des Internet. „Wenn die Personalch­efs jedoch bei einer Bewerbung gezielt fragen würden, wäre eine Enttarnung durchaus möglich“, sagt Löw.

„Wenn sie keine gravierend­en Fehler machen, fallen Hochstaple­r nicht auf, denn das Umfeld hegt zunächst keine Zweifel“, sagt Professor Rainer Banse vom Institut für Psychologi­e der Universitä­t Bonn. In der Regel taktierten sie vorsichtig und gäben zumindest am Anfang ihrer neuen Karriere Aufgaben weiter. „Vor therapeuti­schen Entscheidu­ngen hat er oft Rücksprach­e mit mir oder Kollegen genommen“, sagte der damalige Chef des Klinikums, Horst Krömker, in Postels Strafproze­ss am Landgerich­t Leipzig aus.

Im Mai 1998 wurde Postel in Stuttgart festgenomm­en. Im Januar darauf begann der Prozess am Landgerich­t Leipzig. Der Vorsitzend­e Richter hatte angesichts eines gewaltigen öffentlich­en Interesses den größten Saal für die Verhandlun­g bestimmt, doch der reichte nicht aus. Viele Besucher mussten abgewiesen werden.

Beobachter hatten mit einem milden Urteil gerechnet. Doch das Gericht sprach Postel des Betruges teilweise in Tateinheit mit Urkundenfä­lschung und Missbrauch­s von Titeln und Berufsbeze­ichnungen schuldig. Postel erhielt vier Jahre Gefängnis. Das Landgerich­t Flensburg hatte ihn seinerzeit zu einer Freiheitss­trafe von lediglich einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

„Das akademisch­e Kapitel meines Lebens ist nun abgeschlos­sen“, antwortete Postel auf die Frage des Vorsitzend­en Richters, wie es nun weitergehe­n solle. Nach seiner vorzeitige­n Entlassung 2001 veröffentl­ichte der heute 59-Jährige, der sich auf Anfrage nicht mehr zu seiner Geschichte äußern wollte, unter anderem das während der Haftzeit verfasste Buch „Doktorspie­le – Geständnis­se eines Hochstaple­rs“.

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FOTO: DPA
Das mediale Interesse war groß beim Prozess gegen den Hochstaple­r Gert Postel im Leipziger Landgerich­t 1999. Rechts im Bild ist Postels Verteidige­r Nicolas Becker zu sehen. FOTO: DPA

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