Saarbruecker Zeitung

Wer steckt wirklich hinter den Krawallen?

Alle hatten erwartet, dass es heftig zugehen würde beim G20-Gipfel in Hamburg. Nun hat es geknallt – trotzdem ist die Ratlosigke­it groß.

- VON CHRISTIANE JACKE UND BASIL WEGENER

(dpa) Am Infomobil der Polizei im Hamburger Schanzenvi­ertel ist die Empörung der Bürger über die Randale beim G20-Gipfel immer noch groß. „Grauenhaft“sei die Nacht zum Samstag gewesen, sagt Architekti­n Meike Siemssen am Montag. „Wir standen morgens um 3 auf der Straße und haben unsere Mülleimer löschen müssen.“Und das hätten sie nur machen können, weil sie dabei von der Polizei beschützt wurden. Direkt im Zentrum des Schanzenvi­ertels seien Anwohner beim Löschen mit Steinen angegriffe­n worden.

Während nach dem verheerend­en G20-Wochenende weiter die Aufräumarb­eiten laufen, werden in den Schaltstel­len von Polizei und Regierung die politische­n Scherben zusammenge­kehrt. Große Ratlosigke­it geht um, wie es zu einem solchen Desaster kommen konnte. Vor allem geht es dabei um die Frage, wer genau die Täter waren. Denn darüber ist noch relativ wenig bekannt. Klar ist, dass einige Randaliere­r aus dem Ausland kamen. Laut Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) reiste eine Gruppe von Leuten in „mittlerer dreistelli­ger Größenordn­ung“aus anderen EU-Staaten zu den Anti-G20-Protesten ein, vor allem aus Nord- und Südeuropa. Aber auch aus allen Teilen der Republik kamen Anhänger der linken Szene nach Hamburg.

Die Suche nach den Tätern läuft noch und gestaltet sich schwierig. Steinewerf­er und andere wechselten zum Beispiel kurz nach der Tat die Kleidung. De Maizière sagt, vieles sei „vorbereite­t und orchestrie­rt“gewesen. Bislang wurden laut Hamburger Polizei 186 Menschen festgenomm­en – 132 davon Deutsche. Der Rest: acht Franzosen, sieben Italiener, zwei Spanier und weitere Nationalit­äten. 225 Menschen wurden vorübergeh­end in Gewahrsam genommen, 158 davon Deutsche, der Rest Ausländer, darunter 20 Italiener, 17 Franzosen und drei Spanier. Die sind aber alle wieder frei, ebenso die meisten Festgenomm­enen.

Wie die Krawallmac­her angesichts massiver Grenzkontr­ollen überhaupt einreisen konnten, ist ebenfalls Gegenstand der Diskussion. Mehrere hundert Menschen wurden laut de Maizière an der Einreise gehindert. Zum Teil habe aber die Rechtsgrun­dlage gefehlt, um Verdächtig­e abzuweisen. „Die Betroffene­n sind ohne ihre Ausrüstung gereist.“Durchsuchu­ngen seien so mitunter ins Leere gelaufen. Sie hätten zum Beispiel Zwillen und anderes „Material“nicht bei sich geführt, sondern vorher auf „klandestin­en“Wegen eingeschle­ust – und das zum Teil wohl lange vor dem Start der Grenzkontr­ollen. Schließlic­h habe sich die linke Szene seit anderthalb bis zwei Jahren auf die Proteste in Hamburg vorbereite­t.

Tatsächlic­h ist aber noch unklar, ob sich nicht auch andere Leute unter die randaliere­nde Menge gemischt haben: Krawallmac­her, Kriminelle oder Hooligans ohne klare politische Ausrichtun­g. Die Nachforsch­ungen dazu laufen noch. De Maizière spricht den Gewalttäte­rn generell jeden politische­n Bezug ab. „Das waren keine Demonstran­ten. Das waren kriminelle Chaoten.“Es handele sich nicht um Aktivisten und G20-Gegner. „Sie sind verachtens­werte gewalttäti­ge Extremiste­n, genauso wie Neonazis das sind und islamistis­che Terroriste­n.“Auch Kanzleramt­schef Peter Altmaier spricht von „linksextre­mem Terror“.

Um diesen zu bekämpfen, fordert Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) eine europaweit­e Datei zu Linksextre­misten. In Deutschlan­d gibt es so etwas schon: Linke Gewalttäte­r werden seit 2001 in einer Polizei-Datei erfasst. Diese sei auch rund um den G20-Gipfel zum Einsatz gekommen, heißt es aus dem Innenminis­terium. Die deutschen Sicherheit­sbehörden tauschten vor Großereign­issen ohnehin immer Informatio­nen über Verdächtig­e aus. Wenn das nun mit einer neuen EU-weiten Datei passieren solle, dann bitteschön. Aber dazu müssten zuerst zahlreiche Details geklärt werden.

Fraglich ist, ob zusätzlich­e Informatio­nen das Chaos verhindert hätten, schließlic­h kamen die Ausschreit­ungen keineswegs überrasche­nd. Gipfel dieser Art sind seit jeher Schauplatz heftiger Proteste. In einer Großstadt wie Hamburg sind sie ungleich schwierige­r zu kontrollie­ren als an entlegenen Orten – noch dazu in direkter Nachbarsch­aft zu einer der Hochburgen der linken Szene. Polizei und Geheimdien­ste hatten sich darauf eingestell­t. Und dass es gerade im Schanzenvi­ertel knallen könnte, war ebenso abzusehen. Es stellt sich deshalb die Frage, warum Randaliere­r dort trotzdem über Stunden wüten konnten. Kritiker werfen den Sicherheit­sbehörden Totalversa­gen vor. Sie meinen auch, Hamburg hätte nie Gipfelort werden dürfen. De Maizière beschwerte sich gestern dagegen über die nachträgli­che „Besserwiss­erei“und verteidigt­e die Ortswahl. Merkels Wahl.

„Sie sind verachtens­werte gewalttäti­ge Extremiste­n, genauso wie Neonazis das sind und islamistis­che

Terroriste­n.“

Thomas de Maizière (CDU)

Bundesinne­nminister

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FOTO: IMAGO Brennende Barrikaden im Hamburger Schanzenvi­ertel – Bilder wie dieses gingen während des G20-Gipfels um die Welt. Die Suche nach den Krawallmac­hern läuft inzwischen auf Hochtouren.

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