Wer steckt wirklich hinter den Krawallen?
Alle hatten erwartet, dass es heftig zugehen würde beim G20-Gipfel in Hamburg. Nun hat es geknallt – trotzdem ist die Ratlosigkeit groß.
(dpa) Am Infomobil der Polizei im Hamburger Schanzenviertel ist die Empörung der Bürger über die Randale beim G20-Gipfel immer noch groß. „Grauenhaft“sei die Nacht zum Samstag gewesen, sagt Architektin Meike Siemssen am Montag. „Wir standen morgens um 3 auf der Straße und haben unsere Mülleimer löschen müssen.“Und das hätten sie nur machen können, weil sie dabei von der Polizei beschützt wurden. Direkt im Zentrum des Schanzenviertels seien Anwohner beim Löschen mit Steinen angegriffen worden.
Während nach dem verheerenden G20-Wochenende weiter die Aufräumarbeiten laufen, werden in den Schaltstellen von Polizei und Regierung die politischen Scherben zusammengekehrt. Große Ratlosigkeit geht um, wie es zu einem solchen Desaster kommen konnte. Vor allem geht es dabei um die Frage, wer genau die Täter waren. Denn darüber ist noch relativ wenig bekannt. Klar ist, dass einige Randalierer aus dem Ausland kamen. Laut Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) reiste eine Gruppe von Leuten in „mittlerer dreistelliger Größenordnung“aus anderen EU-Staaten zu den Anti-G20-Protesten ein, vor allem aus Nord- und Südeuropa. Aber auch aus allen Teilen der Republik kamen Anhänger der linken Szene nach Hamburg.
Die Suche nach den Tätern läuft noch und gestaltet sich schwierig. Steinewerfer und andere wechselten zum Beispiel kurz nach der Tat die Kleidung. De Maizière sagt, vieles sei „vorbereitet und orchestriert“gewesen. Bislang wurden laut Hamburger Polizei 186 Menschen festgenommen – 132 davon Deutsche. Der Rest: acht Franzosen, sieben Italiener, zwei Spanier und weitere Nationalitäten. 225 Menschen wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen, 158 davon Deutsche, der Rest Ausländer, darunter 20 Italiener, 17 Franzosen und drei Spanier. Die sind aber alle wieder frei, ebenso die meisten Festgenommenen.
Wie die Krawallmacher angesichts massiver Grenzkontrollen überhaupt einreisen konnten, ist ebenfalls Gegenstand der Diskussion. Mehrere hundert Menschen wurden laut de Maizière an der Einreise gehindert. Zum Teil habe aber die Rechtsgrundlage gefehlt, um Verdächtige abzuweisen. „Die Betroffenen sind ohne ihre Ausrüstung gereist.“Durchsuchungen seien so mitunter ins Leere gelaufen. Sie hätten zum Beispiel Zwillen und anderes „Material“nicht bei sich geführt, sondern vorher auf „klandestinen“Wegen eingeschleust – und das zum Teil wohl lange vor dem Start der Grenzkontrollen. Schließlich habe sich die linke Szene seit anderthalb bis zwei Jahren auf die Proteste in Hamburg vorbereitet.
Tatsächlich ist aber noch unklar, ob sich nicht auch andere Leute unter die randalierende Menge gemischt haben: Krawallmacher, Kriminelle oder Hooligans ohne klare politische Ausrichtung. Die Nachforschungen dazu laufen noch. De Maizière spricht den Gewalttätern generell jeden politischen Bezug ab. „Das waren keine Demonstranten. Das waren kriminelle Chaoten.“Es handele sich nicht um Aktivisten und G20-Gegner. „Sie sind verachtenswerte gewalttätige Extremisten, genauso wie Neonazis das sind und islamistische Terroristen.“Auch Kanzleramtschef Peter Altmaier spricht von „linksextremem Terror“.
Um diesen zu bekämpfen, fordert Justizminister Heiko Maas (SPD) eine europaweite Datei zu Linksextremisten. In Deutschland gibt es so etwas schon: Linke Gewalttäter werden seit 2001 in einer Polizei-Datei erfasst. Diese sei auch rund um den G20-Gipfel zum Einsatz gekommen, heißt es aus dem Innenministerium. Die deutschen Sicherheitsbehörden tauschten vor Großereignissen ohnehin immer Informationen über Verdächtige aus. Wenn das nun mit einer neuen EU-weiten Datei passieren solle, dann bitteschön. Aber dazu müssten zuerst zahlreiche Details geklärt werden.
Fraglich ist, ob zusätzliche Informationen das Chaos verhindert hätten, schließlich kamen die Ausschreitungen keineswegs überraschend. Gipfel dieser Art sind seit jeher Schauplatz heftiger Proteste. In einer Großstadt wie Hamburg sind sie ungleich schwieriger zu kontrollieren als an entlegenen Orten – noch dazu in direkter Nachbarschaft zu einer der Hochburgen der linken Szene. Polizei und Geheimdienste hatten sich darauf eingestellt. Und dass es gerade im Schanzenviertel knallen könnte, war ebenso abzusehen. Es stellt sich deshalb die Frage, warum Randalierer dort trotzdem über Stunden wüten konnten. Kritiker werfen den Sicherheitsbehörden Totalversagen vor. Sie meinen auch, Hamburg hätte nie Gipfelort werden dürfen. De Maizière beschwerte sich gestern dagegen über die nachträgliche „Besserwisserei“und verteidigte die Ortswahl. Merkels Wahl.
„Sie sind verachtenswerte gewalttätige Extremisten, genauso wie Neonazis das sind und islamistische
Terroristen.“
Thomas de Maizière (CDU)
Bundesinnenminister