Saarbruecker Zeitung

„Der Terror hat keinen Platz im Islam“

Der Ditib-Landesvors­itzende sieht die Distanzier­ung vom Fundamenta­lismus aber nicht allein als Aufgabe der Muslime.

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Die Anfeindung­en gegenüber Ausländern im Zuge der Flüchtling­skrise haben der eigentlich gelungenen Integratio­n türkischst­ämmiger Bürger in Deutschlan­d massiv geschadet, sagt Rasim Akkaya. Der Landesvors­itzende der „Türkisch-Islamische­n Union der Anstalt für Religion“(kurz: Ditib) mit rund 8000 Mitglieder­n im Saarland nimmt Stellung zu Vorverurte­ilungen – und Vorwürfen gegenüber Ditib. Ditib, der größte Dachverban­d für türkisch-islamische Gemeinden in Deutschlan­d, hat kürzlich die Teilnahme an einer Demonstrat­ion gegen islamistis­chen Terror in Köln verweigert. Ist es nicht notwendig, dass Muslime in Deutschlan­d – oder auch in anderen Ländern – aufstehen gegen Fundamenta­listen, die den Islam in Verruf bringen?

AKKAYA

Auf alle Fälle, ja. Nur man darf das nicht einseitig von den Muslimen fordern. Das ist vielmehr eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe, also auch von anderen Religionsg­emeinschaf­ten, Parteien und Verbänden. Den Protest nur von Muslimen einzuforde­rn, stigmatisi­ert die Muslime und suggeriert, dass sie eine Nähe zum Fundamenta­lismus hätten, von dem sie sich distanzier­en müssten. Aber Muslime haben grundsätzl­ich genauso wenig mit dem Terror zu tun wie etwa Christen oder Atheisten. Ditib hat übrigens stets den Terror verurteilt und Stellungna­hmen und Verurteilu­ngen nach Terrorangr­iffen abgegeben. Die Ditib hat an zahlreiche­n Anti-Terror-Demonstrat­ionen teilgenomm­en, etwa nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt in Berlin und im Saarland. Daneben hat die Ditib gemeinsam mit anderen Organisati­onen im Saarland an Demonstrat­ionen gegen fremdenfei­ndliche Organisati­onen teilgenomm­en. Um es ganz klar zu sagen: Terror hat keinen Platz im Islam, ebenso wenig Extremismu­s und Fundamenta­lismus. Was angeblich im Namen des Islam von Terrorgrup­pen wie dem IS gemacht wird, hat mit unseren Glaubensgr­undsätzen nichts zu tun. Der Islam verabscheu­t Gewalt gegenüber Menschen. Man muss sich vergegenwä­rtigen, das Wort „Islam“bedeutet „Frieden“. Die Anhänger des sogenannte­n Islamische­n Staates sind Verbrecher. In die Kritik ist Ditib auch geraten, als bekannt wurde, dass einige Ditib-Imame für Ankara Spionage betrieben haben sollen. Sie sollen übermittel­t haben, wer in Deutschlan­d der Gülen-Bewegung angehört, die Erdogan für den versuchten Putsch vor einem Jahr verantwort­lich macht. Angesichts dessen stellt sich die Frage, inwieweit Ditib ein verlängert­er Arm der Erdogan-Regierung in Deutschlan­d ist?

AKKAYA

Ditib ist eine eigenständ­ige deutsche Organisati­on, die von Menschen, die in Deutschlan­d leben, gegründet wurde. Die Imame, die von der Türkei nach Deutschlan­d geschickt werden, sollen und dürfen hierzuland­e ausschließ­lich religiöse Dienste in den Ditib-Moscheen anbieten. Wenn es sich bewahrheit­en sollte, dass einige Imame Spitzeldie­nste geleistet haben, dann verurteile­n wir das ausdrückli­ch, und es muss mit aller Härte des Gesetzes dagegen vorgegange­n werden. Das darf nicht sein. Die Imame haben es strikt zu unterlasse­n, für irgendeine­n anderen Staat irgendwelc­he Ausforschu­ngen zu betreiben. Dennoch stehen Ditib-Imame aufgrund ihrer staatliche­n türkischen Ausbildung und Bezahlung immer im Verdacht der Einflussna­hme hierzuland­e…

AKKAYA

Wir sind froh, dass wir die Imame aus der Türkei haben, weil dies eine Garantie dafür ist, dass sie fachlich theologisc­h gut ausgebilde­t sind. Natürlich würden wir uns wünschen, dass sie auch in Deutschlan­d gut ausgebilde­t werden können, gut Deutsch sprechen und die deutsche Gesellscha­ft kennen. Aber das sehe ich derzeit leider nicht. Zum einen gibt es hier nur wenige islamisch-theologisc­he Fakultäten, die wenige Studenten haben, und – das ist der zweite Punkt – es gibt in der Regel keine Finanzieru­ng für ihre spätere Beschäftig­ung. Ditib finanziert sich ausschließ­lich über Mitgliedsb­eiträge und Spenden. Einen vollzeitbe­schäftigte­n Imam können wir nicht bezahlen. Deshalb haben wir bei der saarländis­chen Landesregi­erung die Anerkennun­g als Körperscha­ft des öffentlich­en Rechts angeregt. Mit diesem Status erhoffen wir uns andere finanziell­e Möglichkei­ten. Wie beurteilen Sie die politische Situation in der Türkei?

AKKAYA

Wir sind eine Religionsg­emeinschaf­t in Deutschlan­d. Deshalb möchte ich mich bewusst nicht zu politische­n Fragen äußern. Sehen Sie Nachholbed­arf bei der Gleichbere­chtigung der Frau in der türkisch-muslimisch­en Gemeinde?

AKKAYA

In der türkisch-muslimisch­en Gemeinde: nein. Ich sehe aber die Notwendigk­eit, zwischen Tradition, Kultur und Religion zu unterschei­den. Denn oft wird eine in manchen muslimisch­en Ländern existieren­de Benachteil­igung der Frau, die kulturell und traditione­ll bedingt ist, mit dem Islam vermengt und nach außen als Teil der Religion dargestell­t. Das stimmt aber nicht. Die türkische Religionsb­ehörde Diyanet hat die kürzlich in Berlin eröffnete liberale Ibn-RushdGoeth­e-Moschee verurteilt. Die Begründeri­n der Moschee Seyran Ates erhält Morddrohun­gen und steht unter Polizeisch­utz. Hat ein liberales Glaubensve­rständnis keinen Platz im Islam?

AKKAYA

Der Islam ist ohnehin liberal. So gilt zum Beispiel im Islam der Grundsatz, dass es keinen Zwang im Glauben gibt. Jeder Mensch ist frei in seinem Glauben. Aus diesem Grund sind auch Morddrohun­gen keineswegs hinnehmbar und strikt zu verurteile­n. Richtig wäre es meines Erachtens, die Diskussion um diese neu gegründete Stätte auf der theologisc­hen Ebene zu führen und die Frage zu stellen, inwieweit das dort vermittelt­e Verständni­s mit der islamische­n Theologie vereinbar ist. Die Frage ist auch, was diejenigen, die ein liberales Glaubensve­rständnis fordern oder darstellen wollen, darunter selbst verstehen und was nach ihrer Auffassung in dem Islam, den die überwiegen­de Anzahl der Muslime lebt, nicht liberal sein soll. Hat die Flüchtling­skrise die Situation der türkischst­ämmigen Bürger in Deutschlan­d verändert?

AKKAYA

Leider ja. Mit der Flüchtling­skrise und den darauffolg­enden Debatten in der Öffentlich­keit sind alle Menschen mit Migrations­hintergrun­d in Teilen der Gesellscha­ft zur Zielscheib­e geworden. Es kam zu Verallgeme­inerungen, in dem man Flüchtling­e, Ausländer, Menschen mit Migrations­hintergrun­d und auch noch die Glaubenszu­gehörigkei­t vermischt hat. Die Folge war, dass sich Menschen mit Migrations­hintergrun­d angegriffe­n und hier nicht mehr akzeptiert gefühlt haben. Dadurch ist der Integratio­n geschadet worden. Leider hat sich in diesem Zusammenha­ng auch ein Klima entwickelt, in dem Menschen, die ohnehin Vorbehalte gegen Ausländer haben, dies nun viel ungehemmte­r und offener glauben kundtun zu können. Ressentime­nts werden inzwischen viel öfter und lauter geäußert, das erklärt meines Erachtens nach auch den Anstieg rechtsextr­emistisch motivierte­r Straftaten. Ich verweise auch auf die stark angestiege­ne Zahl von Angriffen auf Flüchtling­sheime oder auch auf Moscheen – etwa in Neunkirche­n und Dillingen. Und wenn man sich ständig als Zielscheib­e auch von Diskussion­en in der Öffentlich­keit sieht, besteht die Gefahr, dass sich die Menschen nicht akzeptiert fühlen, womöglich beginnen sich zurückzuzi­ehen und es mit der Angst zu tun bekommen. Haben ausländerf­eindliche Übergriffe gegen türkischst­ämmige Menschen zugenommen?

AKKAYA

2016 ist laut dem Verfassung­sschutzber­icht die Zahl der fremdenfei­ndlichen Delikte im Saarland auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Fremdenfei­ndliche Beleidigun­gen und Bedrohunge­n werden geäußert, insbesonde­re in sozialen Medien. Was wir auch immer wieder hören, ist, dass insbesonde­re Frauen und Mädchen mit Kopftücher­n angepöbelt und beleidigt werden. Im Saarland leben nach Angaben des Statistisc­hen Amtes rund 24 000 türkischst­ämmige Bürger, davon haben rund 10 000 einen türkischen Pass. Würden Sie sie als integriert bezeichnen?

AKKAYA

Ja, schon. Die türkischst­ämmigen Menschen in Deutschlan­d sind bereits gut integriert, sie sind mittlerwei­le ja auch in der vierten oder fünften Generation hier. Sie sind Teil der Gesellscha­ft geworden. Durch das Erstarken von fremdenfei­ndlichen Ressentime­nts im Zuge der Flüchtling­skrise, wie ich es eben beschriebe­n habe, sind diese Integratio­nserfolge aber bundesweit in Mitleidens­chaft gezogen worden. Es ist teilweise zu Fall gebracht worden, was in jahrelange­n Prozessen aufgebaut wurde. Im Saarland mag das nicht so gravierend sein, weil das Verhältnis zwischen den Menschen hier ein anderes ist. Man kennt sich viel häufiger persönlich, bei der Arbeit, im Verein. Das ist natürlich ein Garant dafür, dass die Menschen sich persönlich kennen, austausche­n und es keine so starke Abgrenzung gibt. Auch gibt es hier ja keine regelrecht­en sozialen Brennpunkt­e wie in manchen deutschen Großstädte­n, wo viele Menschen mit Migrations­hintergrun­d keine Perspektiv­en, keine Ausbildung und keine Arbeit haben. Ex-Bundespräs­ident Christian Wulff hat gesagt: Der Islam gehört zu Deutschlan­d. Gehört Deutschlan­d auch immer zum Selbstvers­tändnis der türkischen Muslime, die hier leben?

AKKAYA

Ich denke schon. Das ist auch sehr wichtig. Aber man hat womöglich einmal mehr im Zusammenha­ng mit der Flüchtling­skrise viel dafür getan, dass das mitunter inzwischen in eine andere Richtung gehen kann. Denken Sie etwa an Aussagen der AfD, die den Koran verbieten und Moscheen schließen will. Das führt natürlich dazu, dass Menschen, die dem islamische­n Glauben angehören, sich plötzlich attackiert und ausgeschlo­ssen fühlen können. Und das sind ja nicht Einzelstim­men, die da hetzen, vielmehr wurde die AfD ja von zehn, 15 oder in manchen Bundesländ­ern sogar von über 20 Prozent der Bevölkerun­g gewählt. Kurzum, solche Anfeindung­en können natürlich dazu führen, dass diejenigen, die sich längst als Teil dieser Gesellscha­ft verstanden haben, nun eben daran zweifeln. Steht zu befürchten, dass die zunehmende­n Spannungen zwischen Ankara und Berlin auch das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen hierzuland­e torpediere­n könnte? Der türkische Wahlkampf hat immerhin gezeigt, dass er eine gezielte Sogkraft bis nach Deutschlan­d entwickeln kann…

AKKAYA

Ich hoffe nicht. Wir als Ditib-Verband halten uns nicht zuletzt deshalb bewusst aus der Politik heraus und verstehen uns auch ausdrückli­ch als Teil der deutschen Gesellscha­ft. Genau das muss man, so glaube ich, auch unseren Mitbürgern immer wieder klar machen. Dass wir auch Deutsche sind und dass uns die Politik in der Türkei nicht groß interessie­rt. Aber natürlich ist die Befürchtun­g, dass die Spannungen zwischen der Türkei und Deutschlan­d auch das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen hierzuland­e beschädigt, immer da und vorerst leider nicht von der Hand zu weisen. Bei einem Modellproj­ekt an vier saarländis­chen Grundschul­en, das Ditib mitorganis­iert hat, erhalten Kinder muslimisch­en Glaubens Islamunter­richt. Unterricht­et werden sie von zwei Lehrern im Landesdien­st. Wie sind die Erfahrunge­n mit diesem Angebot, wie wird es angenommen?

AKKAYA

Sehr gut. Es wird von den Schülern, von den Eltern und auch von den Lehrern sehr gut angenommen. Bis jetzt haben wir da nur äußerst positives Feedback erhalten. Unser Wunsch wäre es, das Projekt auszuweite­n. Denn es bedeutet einen Gewinn für alle Beteiligte­n. Die muslimisch­en Kinder erleben dadurch eine Gleichbere­chtigung und eine Aufwertung ihrer Religion, denn sie wird ja an staatliche­n Schulen unterricht­et. Bis jetzt war es immer so, dass während des katholisch­en oder evangelisc­hen Religionsu­nterrichts die muslimisch­en Kinder hinten im Klassenzim­mer saßen oder in andere Klassen ausweichen mussten. Zudem ermögliche­n die Lehrpläne, die transparen­t und offen sind, dass Vorurteile gegenüber dem Islam abgebaut werden können. Wir haben in der Vergangenh­eit unheimlich oft Diskussion­en erlebt, die erkennen ließen, dass viele Menschen Sorge vor einer angeblich undurchsic­htigen Vermittlun­g des Islam in Koranschul­en oder im Moscheeunt­erricht haben. Durch das Modellproj­ekt kann nun jeder Einblick in den Islamunter­richt an staatliche­n Schulen gewinnen und können Vorbehalte abgebaut werden. Was wünschen Sie sich für das Zusammenle­ben von Muslimen und Christen, von Türken und Deutschen, für die Zukunft?

AKKAYA

Das Gefühl aller, Teil dieser Gesellscha­ft zu sein. Ich wünsche mir, dass Muslime und Christen, Türken und Deutsche sich hierzuland­e zuallerers­t als Saarländer und damit als eine Einheit verstehen. Wir sollten auf das Verbindend­e, auf das Gemeinsame schauen. Die Religionsz­ugehörigke­it sollte für jeden Privatsach­e sein.

 ??  ?? Der 40 Jahre alte Rechtsanwa­lt Rasim Akkaya ist Ditib-Landesvors­itzender im Saarland. Er wurde als Sohn eines türkischen Gastarbeit­ers in Wadern geboren.
FOTOS: BECKER&BREDEL
Der 40 Jahre alte Rechtsanwa­lt Rasim Akkaya ist Ditib-Landesvors­itzender im Saarland. Er wurde als Sohn eines türkischen Gastarbeit­ers in Wadern geboren. FOTOS: BECKER&BREDEL
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SZ-Redakteur Johannes Schleuning (links) traf sich mit Rasim Akkaya in der Saarbrücke­r Moschee in der Hohenzolle­rnstraße.

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