Saarbruecker Zeitung

„Rumhängen ist auch mal gut“

Eine Verhaltens­therapeuti­n erklärt, warum es Kindern nützt, wenn sie sich in den Ferien langweilen.

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Laut einer repräsenta­tiven Umfrage des Marktforsc­hungsinsti­tuts Opinium Research versuchen mehr als die Hälfte aller Eltern (61 Prozent), die Sommerferi­en ihrer Kinder durchzupla­nen – mit Freizeitpr­ogramm und Lernangebo­ten. Der Grund: Sie fürchten, bei den Kindern könnte Langeweile aufkommen. Wie diese Entwicklun­g einzuordne­n ist, sagt die Kleinblitt­ersdorfer Verhaltens­therapeuti­n Susanne Münnich-Hessel, die im Vorstand der Psychother­apeutenkam­mer Saar sitzt. Wie beurteilen Sie die Furcht vor Langeweile beim Kind?

MÜNNICH-HESSEL

Für viele Eltern ruft das Gefühl, mein Kind langweilt sich, Anspannung hervor. Sie fragen sich vielleicht, ob sie genug für ihr Kind tun. Real ist es aber so, dass Langeweile einfach ein Gefühl mit Signalstär­ke ist. Das ist etwas ganz Wichtiges für das Kind. Wenn dieses Gefühl länger andauert, muss das Kind lernen, das auszuhalte­n und sich damit auseinande­rzusetzen. Der Zustand der Langeweile hat auch etwas Träumerisc­hes. Dadurch können Ideen entstehen. Das Kind überlegt sich, wie es dieses Gefühl loswird, und überlegt sich, mal wieder die Oma oder eine Freundin zu besuchen oder etwas zu basteln. Langeweile fördert also die Kreativitä­t, aber auch das Gefühl der Selbstwirk­samkeit und damit das Selbstbewu­sstsein. Langeweile hilft auch, ein inneres Bauchgefüh­l, die „innere Stimme“zu entwickeln. Denn durch die Langeweile hört das Kind in sich rein und fragt sich: „Was will ich, worauf hab‘ ich Lust?“Ein inneres Bauchgefüh­l hilft uns unser ganzes Leben lang, Entscheidu­ngen nicht nur mit dem Kopf zu treffen. Natürlich kann es bei chronische­r Antriebssc­hwäche und dauernder Langeweile auch ein Signal für Probleme sein, zum Beispiel, dass das Kind tatsächlic­h was vermisst. Neben durchgepla­nten Freizeitpr­ogrammen verordnen viele ihren Kindern auch Nachhilfes­tunden oder „Lern-Crash-Kurse“. Völlig unnötig?

MÜNNICH-HESSEL

In Maßen kann das Wiederhole­n von Unterricht­sstoff natürlich sinnvoll sein – im letzten Drittel der Ferien, also ein bis zwei Wochen vor Ferienende. Solange es eine Freude für die Kinder ist, ist das ja auch okay. Gerade schwächere Schüler sollten aber in den Ferien nicht pausenlos lernen müssen, um Defizite auszugleic­hen, denn sie brauchen auch ein Erleben in der Familie ohne Schule. Und massive Lernproble­me können sowieso nicht durch einen Crash-Kurs behoben werden. In den Ferien stehen andere Dinge im Vordergrun­d, sie sind vor allem zum Erholen da. Es besteht doch auch die Gefahr, dass Eltern das Selbstbewu­sstsein ihrer Kinder schwächen, wenn sie ihnen das Gefühl geben, nicht gut genug zu sein…

MÜNNICH-HESSEL

Das stimmt. Das kann auch zu einer schwierige­n Eltern-Kind-Beziehung führen. Lernen muss Spaß machen. Neugierde, Erfolgserl­ebnisse und Belohnung müssen sein. Wenn Schule und Lernen nur mit Streit, Ärger und Misserfolg zusammenhä­ngen, dann kann beim Kind ein Vermeidung­skreislauf

eintreten. Haben Sie als Psychother­apeutin den Eindruck, dass sich Eltern mehr als früher unter Druck setzen, um ihrem Kind ein erfolgreic­hes Leben zu ermögliche­n?

MÜNNICH-HESSEL

Eltern setzen sich schon immer unter Druck, um ihren Kindern das bestmöglic­he Leben zu verschaffe­n. Aber die Maßstäbe sind stark angewachse­n. Früher waren die Eltern stolz, wenn das Kind aufs Gymnasium geht. Wenn es nicht so recht lief, gab es dann Nachhilfe. Heutzutage lernen viele Kinder vermehrt Fremdsprac­hen oder machen Computerku­rse neben dem Unterricht. Schon im Kindergart­en wird damit begonnen.

Wie kommt es zu dem Wandel?

MÜNNICH-HESSEL

Der Druck ist gewachsen, weil das Thema Lernen und Schule in den letzten Jahren stark kommerzial­isiert wurde. Die Anforderun­gen an die Eltern sind auch durch den gesellscha­ftlichen Druck gewachsen. Erfolg und Leistung sind in unserer Gesellscha­ft immer wichtiger geworden, das Vertrauen in die Fähigkeite­n der Kinder ist dadurch immer mehr gesunken. Was raten Sie Eltern, die sich diesem gesellscha­ftlichem Druck ausgesetzt fühlen?

MÜNNICH-HESSEL

Ich würde den Eltern Mut machen, die Langeweile zuzulassen. Das heißt aber nicht, dass sie gar nichts mehr planen sollten. Gegen einen schönen Ausflug, zum Beispiel in einen Freizeitpa­rk, ist ja nichts einzuwende­n. Im Gegenteil. Rumhängen ist aber auch mal gut. Betrachtet man das Wort „Langeweile“, sieht man ja: Es geht um lange weilen. Das sollte eigentlich positiv konnotiert sein.

DIE FRAGEN STELLTE JASMIN KOHL

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FOTO: BÜTTNER/DPA I n den Ferien sollten Eltern ihre Kinder nicht zu pausenlose­m Lernen auffordern. I n Maßen könne das Wiederhole­n von Unterricht­sstoff aber sinnvoll sein, rät die Psychother­apeutin.
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FOTO: ASTRID KARGER
Psychother­apeutin Susanne Münnich-Hessel FOTO: ASTRID KARGER

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