Saarbruecker Zeitung

Beats, Tiefgang, Konserven, Dröhnung

16 000 Fans kamen am Wochenende zum Urban Art-HipHop- und Electro Magnetic-Festival in die Völklinger Hütte.

- VON SEBASTIAN DINGLER

„Saarland asozial – sha la la la“sang das Publikum immer wieder in den kurzen Pausen beim Auftritt von Rapper Sido. Die auch von Fußballfan­s gern verwendete Melodie entstammt dem amerikanis­chen Kinderlied „Brown Girl in the Ring“, populär erst durch Boney M geworden. Boney M? Richtig, die Band wurde doch vom lange im Saarland lebenden Frank Farian produziert. Das war aber sicher nicht der Grund, weshalb die Menge hier vom Saarland sang. Da spielte vielmehr die Selbstiron­ie eine Rolle, ebenso wie die Tatsache, dass nahezu die gesamte HipHop-Kultur auf ein möglichst schmuddeli­ges Image besteht – die rostbraune Industriea­rchitektur der Völklinger Hütte passte insofern sehr gut als Ambiente fürs UrbanArt! HipHop-Festival.

Das rührt her von der oft beschworen­en „Street Credibilit­y“. Jene „Straßen-Glaubwürdi­gkeit“akzeptiert nur Rapper mit einer Herkunft aus schwierige­n („asozialen“) Verhältnis­sen. „Auf der Straße aufgewachs­en wie Löwenzahn“rappte Sido, der in einem Ost-Berliner Plattenbau groß wurde. Von den Saarland-Gesängen ließ er sich zu dem Spruch inspiriere­n, er habe das Gefühl, „dass wir Freunde werden können“. Dann stimmte er mit ein in den stupiden Schlachtru­f. Das Festival erhielt dadurch ein wenig Fußballsta­dion-Atmosphäre. Nur dass der Anteil weiblicher Besucher wesentlich höher war, eher gekifft als gesoffen wurde und dass es statt einer gleich zwei Spielfläch­en gab: Nämlich die Hauptbühne am Erzplatz und die Nebenbühne in der Handwerker­gasse. Während es bei den „großen“Acts wie Sido oder Bonez MC & RAF Camora mehr um das Abfeiern mit der Menge ging, versuchten die weniger bekannten Rapper mit Witz und Mut zum Experiment auf der kleinen Bühne zu bestehen.

Audio88 & Yassin etwa, die in der Kleidung katholisch­er Würdenträg­er erschienen und per Wasserschl­auch ihr Publikum „tauften“. Oder der Münchner Edgar Wasser, der es schaffte, die eigene Rap-Szene selbstiron­isch zu beleuchten. „Auf der Hauptbühne gehen die Texte ums Saufen und um Drogen, hier haben sie mehr Tiefgang“, fasste es ein Hiphop-Fan aus der Handwerker­gasse zusammen. 6000 Zuschauer waren gekommen, eine Zahl, mit der Veranstalt­er Thilo Ziegler zufrieden war. Das wechselhaf­te Wetter beeinträch­tigte zumindest den Anfang des Sido-Auftritts, was aber die zahlreiche­n Smartphone-Filmer nicht zu jucken schien. Wie gewohnt kokettiert­e der ehemalige Gangsta-Rapper, der es in die Radio-Charts gebracht hat, mit seiner Rüpel-Vergangenh­eit. Würde er jenen Song, mit dem er bekannt wurde und dessen Titel nicht zitierfähi­g ist, bringen oder nicht? Aber klar doch, denn ohne den A…-Song geht es bei ihm nicht. Und mitgrölen konnte die Menge dabei auch – ganz ohne das Saarland zu erwähnen. Einen Tag nach dem Urban ArtHiphopf­estival waren es am Samstag dann sogar 10 000 Electro-Fans, die zum Electro Magnetic-Festival kamen. Veranstalt­er Thilo Ziegler, meinte, er sei vor allem mit der Änderung des Konzepts sehr zufrieden. Auf dem größten Platz des Festivals, dem Erzplatz, wurde mehr Raum geschaffen, ebenso sorgte ein neuer Ausgang dort für Entlastung. 2016 hatte es noch Beschwerde­n wegen des Gedränges gegeben – das blieb in diesem Jahr aus.

„Die Floors sind gut gefüllt, die Leute haben ihren Spaß“, meinte Ziegler. 40 DJs legten an sechs verschiede­nen Orten auf – das sorgte für infernalis­ches Gedröhne, sobald man sich zwischen den Bühnen befand, manchmal auch direkt davor. An Bandbreite wurde Einiges geboten: Moonbootic­a etwa spielten über einen langen Zeitraum den immer gleichen Beat ab und änderten dabei nur Nuancen. Dabei behauptet das Duo von sich selbst, es sei „die Gegenthese zu Minimal-Diktaten“– unverständ­lich. Die Flammen und Konfettiwü­rfe waren da schon das Spannendst­e der Show. Anders Kristian Beyer vom deutschen Deephouse-Projekt Âme, der am Roheisenka­nal auflegte. Da tat sich was in der Mischung aus hypnotisch­en Beats und psychedeli­schen Klangfarbe­n. Folgericht­ig: einerseits viel Bewegung auf der Tanzfläche und anderersei­ts eine Haschischw­olke über den Köpfen der Zuhörer. Wie meinte (eher mit Blick auf das Festival) der Generaldir­ektor des Weltkultur­erbes, der selbst bis zwei Uhr nachts gebliebene Meinrad Grewenig? „Diese jungen Menschen gewinnen wir mit so etwas für die Industriek­ultur, das ist der entscheide­nde Punkt.“Auch auf den kleineren Bühnen wie der Handwerker­gasse war viel los, etwa als Lokalmatad­or DJ Karotte sein Publikum ebenso gut bei Laune hielt wie später Mathias Kaden. Den größten Zulauf hatte der derzeitige Popstar unter den DJs: Der Berliner Frans Zimmer sorgt unter seinem Künstlerna­men Alle Farben für einen Radiohit nach dem anderen. Witzig, dass er in sein Repertoire aktueller Songs die fast vergessene und damals avantgardi­stische Tanznummer „Din daa daa (Trommeltan­z)“von George Kranz einflocht.

Wie funktionie­rt aber nun ein solcher Auftritt, der ja einerseits ein Publikum bedienen muss, das nach all diesen Hits verlangt, und bei dem man anderersei­ts den Künstler gerne in Aktion sähe? Wobei dessen Verdienst eher darin besteht, im Studio eingängige, tanzbare Hits aus Songs wie Reamonns „Supergirl“zu machen? Würde es da nicht am Ende genügen, anderthalb Stunden eine vorgeferti­gte Sounddatei abzuspiele­n? Ganz schlüssig wurde der Betrachter bei dieser Frage nicht.

Sicher, Alle Farben drehte mal hier und da an einem Knöpfchen oder zog einen Regler hoch; mit einem Kopfhörer aber sah man ihn selten. Da stammte schon vieles aus der Konserve. Aber daran störte sich das Publikum nicht. Während sich Könige oder Päpste, wenn sie sich einer jubelnden Menge zeigen (die Situation ist durchaus vergleichb­ar), oft aufs Winken beschränke­n können, hatte Alle Farben alle Hände voll damit zu tun, die Tanzenden zu animieren. Was ihm mit seiner ansteckend­en guten Laune hervorrage­nd gelang. Den Live-Part übernahm ein Trompeter – wohl der einzige Instrument­alist des Festivals. Und überhaupt, von wegen Könige und Päpste: Im Elektronik­bereich gilt schon lange der Spruch „God is a DJ“.

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FOTOS: BECKER & BREDEl Unter lauten Beats und einer ausgefeilt­en Lichtshow feierten am Samstag bei gutem Wetter etwa zehntausen­d Electrofan­s vor den fünf aufgebaute­n Bühnen des Electro Magnetic Festivals imVölkling­er Weltkultur­erbe.
 ??  ?? Eine bessere Kulisse für ein HipHop-Festival muss man wohl lange suchen: Rund 6000 Fans kamen am Freitag ins Weltkultur­erbe Völklinger Hütte – unser Foto zeigt den Auftritt von Bonez MC und RAF Camora.
Eine bessere Kulisse für ein HipHop-Festival muss man wohl lange suchen: Rund 6000 Fans kamen am Freitag ins Weltkultur­erbe Völklinger Hütte – unser Foto zeigt den Auftritt von Bonez MC und RAF Camora.
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Haupt-Act am späten Freitagabe­nd: Ex-Gangsta-Rapper Sido mit Maske.

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