Saarbruecker Zeitung

Einsamer Pianist: Großes Konzert ohne Orchester

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(jle) Schwer zu sagen, ob ein Kuriosum dieser Art überhaupt schon einmal die deutsche Konzertlan­dschaft aufgewühlt hat. Für saarländis­che Verhältnis­se jedenfalls ist das unfreiwill­ige Fernbleibe­n eines Gastorches­ters aufgrund einer Lieferpann­e ein Novum, ein unbeschrie­benes Blatt. Denn nicht nach Saarbrücke­n, nein geradewegs nach Moskau waren die Instrument­e der Musikerinn­en und Musiker der „Russischen Nationalph­ilharmonie“, die am Samstagabe­nd in der Congressha­lle bei den „Musikfests­pielen Saar“hätte aufspielen sollen, die Nacht über unterwegs gewesen – das Speditions­fahrzeug schien uneinholba­r.

Solist Nikolai Tokarev allerdings war vor Ort und glückliche­rweise auch ein Flügel, dem er sodann in einem unfreiwill­ig-improvisie­rten Soloabend sein gesamtes Klangspekt­rum abverlangt­e. Mit Mussorgsky­s Programmmu­sik „Bilder einer Ausstellun­g“eröffnete der junge Russe sein Spontanrez­ital und unmittelba­r elektrisie­rend nahm sein konkreter Anschlag, nahmen strömende Tonimpulse den Geist gefangen. „Gemälde“wie „Der Ochsenkarr­en“oder „Baba Yagas“stampfende­r Tanz legten nicht nur die weitreiche­nde Dehnbarkei­t seiner Dynamik offen, sondern ebenso einen unverbrüch­lichen Gestaltung­swillen, der einnehmend und ersten Ranges ist.

„Samuel Goldenberg­s und Schmuyles“Streitgesp­räch interpreti­erte Tokarev als anfangs noch melancholi­schen Disput, mit nachfolgen­den Spitzen von gehässiger Bornierthe­it. Mit der Robert Schumann gewidmeten „Sonate in h-Moll“von Franz Liszt sprang er schließlic­h sehenden Auges in alle Untiefen, die Musik nur hergeben kann, und reüssierte grandios. Das verzückte Publikum erklatscht­e sich stehend drei Zugaben.

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