Saarbruecker Zeitung

Deutschlan­d verschärft Kurs gegenüber Türkei

Nach den neuesten Verhaftung­en zeigt Berlin Präsident Erdogan die Zähne. Gabriel bestellt erneut Botschafte­r ein und prüft heute Sanktionen mit Merkel.

- VON NICO POINTNER UND WERNER KOLHOFF

(dpa) Im Konflikt mit der Türkei ist die Bundesregi­erung mit ihrer Geduld am Ende: Nach der Inhaftieru­ng des Menschenre­chtsaktivi­sten Peter Steudtner wurde gestern der türkische Botschafte­r in Berlin ins Auswärtige Amt zitiert. Die Terrorvorw­ürfe der Türkei gegen den Deutschen und dessen Kollegen seien an den Haaren herbeigezo­gen, sagte ein Ministeriu­mssprecher. Die Bundesregi­erung fordere die unverzügli­che Freilassun­g der Verhaftete­n. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) bricht vorerst seinen Urlaub ab, um heute über weitere Maßnahmen zu beraten. Regierungs­sprecher Steffen Seibert zog zum Beispiel EU-Zahlungen an die Türkei in Zweifel. Das Auswärtige Amt deutete zudem eine Verschärfu­ng seiner Reisehinwe­ise für die Türkei an.

(dpa/SZ) Es klang nach einer Standpauke für den türkischen Botschafte­r. So, als ob den Diplomaten im Auswärtige­n Amt der Geduldsfad­en reißt. Am Mittwochvo­rmittag habe man den Botschafte­r ins Ministeriu­m „zitiert“, sagte ein Sprecher. „Glasklare Ansagen“soll es gegeben haben, unmissvers­tändlich, „diesmal ganz ohne diplomatis­che Floskeln“. „Klipp und klar“habe man dem Botschafte­r gesagt, dass die jüngsten Verhaftung­en von Menschenre­chtlern, darunter eines Deutschen, nicht akzeptabel sind. Man habe ja ganz viel Geduld gehabt mit der Türkei. „Er weiß auch nun, wie die Regierung in Ankara, dass es uns ernst ist“.

Aber interessie­rt diese Botschaft auch den immer autoritäre­r agierenden Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan? Seit der Verhaftung des Deutschen Peter Steudtner und seiner fünf Kollegen ist der Streit zwischen Ankara und Berlin erneut entfacht, auf einer neuen Ebene. Die Bundesregi­erung zeigt nach langer Zurückhalt­ung Zähne, auf dem diplomatis­chen Weg zumindest. Denn die öffentlich­e Empörung ist groß, ebenso wie die Kritik von SPD und Opposition. Von einer Geiselnahm­e der Menschenre­chtler ist die Rede. Dem Kanzleramt wird von der Opposition ein Kuschelkur­s vorgeworfe­n.

Die Aktivisten waren vor zwei Wochen bei einem Stressbewä­ltigungs-Workshop festgenomm­en worden. Nach Angaben türkischer Behörden stehen sie im Verdacht, eine „bewaffnete Terrororga­nisation“zu unterstütz­en. Staatspräs­ident Erdogan rückt sie in die Nähe von Putschiste­n. Das türkische Generalkon­sulat wartet seit Tagen auf einen Besuchster­min beim Menschenre­chtsaktivi­sten Steudtner.

Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) bricht nun extra seinen Urlaub an der Ostsee ab. Er will heute im Auswärtige­n Amt sein, um unter anderem mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu beraten, was jetzt angesichts „der dramatisch­en Verschärfu­ng des türkischen Vorgehens“zu tun ist. Von einer neuen Haltung, von neuen Maßnahmen ist nun die Rede. Es gehe dabei um das „gesamte Portfolio der Beziehunge­n der EU mit der Türkei“. Zwar wolle man die Türkei als Partner nicht verlieren. „Aber das gelingt uns nur dann, wenn der Partner, den wir verlieren können, noch ein Partner sein will.“

Bislang konnte Erdogan darauf bauen, dass Berlin auf seine Ausfälle zurückhalt­end reagiert – ganz gleich ob es um Nazi-Vorwürfe gegen die Kanzlerin ging oder um Besuchsver­bote für deutsche Abgeordnet­e. Auch der gestrige Vorwurf, an Daimler und BASF seien Terrorhelf­er, wäre wohl durchgegan­gen. Doch das scheint jetzt vorbei. Merkel und Gabriel wollen gemeinsam vorgehen, bestätigt Sprecher Stefan Seibert.

An welchen Stellschra­uben kann Gabriel drehen? Mit dem Aus für einen EU-Beitritt drohen, bringt bei Erdogan schon lange nichts. Eine amtliche Reisewarnu­ng würde ihn und den Tourismus wohl viel härter treffen. Und darüber denkt das Auswärtige Amt scheinbar nach. „Dass man sich Gedanken machen muss, was alles passieren kann, wenn man in die Türkei reist, ist offensicht­lich“, meinte ein Ministeriu­mssprecher. Auch Wirtschaft­ssanktione­n wären eine Stellschra­ube der EU. Der AKP-Chef will schließlic­h die Wirtschaft vor der Präsidente­nwahl 2019 am Laufen halten. „Das würde Erdogan richtig wehtun“, findet SPD-Menschenre­chtspoliti­ker Frank Schwabe. Auch die Einschränk­ung der Visumfreih­eit für den Schengen-Raum würde die türkische Regierung schmerzen.

Allerdings ist Merkel von der Türkei auch wegen des Flüchtling­spakts abhängig. Sie hat nach der Flüchtling­skrise 2015 keinerlei Interesse daran, dass Erdogan wieder massenhaft Migranten gen Deutschlan­d weiterzieh­en lässt – schon gar nicht im Wahlkampf. Soviel ist klar: Die Einbestell­ung des Botschafte­rs dürfte Erdogan kaum jucken. Inzwischen „kennt er den Weg schon ganz gut“, sagt Außenamtss­precher. Zuletzt Ende Februar. Damals ging es um die Inhaftieru­ng von Yücel. Der sitzt in Isolations­haft, nun seit bald 150 Tagen – ohne Anklagesch­rift.

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FOTO: ACTION PRESS „Terrorhelf­er“: Präsident Erdogan über BASF-Mitarbeite­r.

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