Saarbruecker Zeitung

Widerstand gegen dicke Luft wächst

Die EU-Kommission will die Hinhalte-Taktik verschiede­ner Mitgliedsl­änder in Sachen Feinstaub und Stickoxide nicht mehr länger hinnehmen. Besonders Deutschlan­d ist ins Visier geraten. Ein Gang zum EuGH rückt näher.

- VON DETLEF DREWES

Der Widerstand gegen Feinstaub und Stickoxide in der Luft wächst. Die EU-Kommission hat Deutschlan­d wegen seiner Hinhalte-Taktik auf dem Kieker. In Stuttgart wird vor dem Verwaltung­sgericht über ein Fahrverbot gestritten.

Der Dreck liegt in der Luft – und wird täglich von vielen tausend Menschen eingeatmet. Ein unhaltbare­r Zustand, heißt es in der Brüsseler EU-Kommission, die seit Jahren der Bundesrepu­blik mit einer Klage droht. Diese ist nun offenbar nicht mehr ausgeschlo­ssen: Wegen fortgeschr­ittener Verstöße gegen die Richtlinie zur Luftreinha­ltung hat die Kommission zuletzt im Februar die Bundesregi­erung verwarnt, ein Stellungna­hme aus Berlin ging im Mai in Brüssel ein und wird derzeit geprüft. Ein Gang zum Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg rückt näher, sollte die EU-Behörde mit den Informatio­nen aus Berlin unzufriede­n sein. Der Automobilc­lub ADAC hat ausgerechn­et, wie hoch eine eventuelle Strafe ausfallen könnte: bis zu 100 000 Euro – pro Tag.

Der Streit begann eigentlich schon 2005, als die Richtlinie zur Luftreinha­ltung in Kraft trat, um den Feinstaub aus den Ballungsge­bieten zu vertreiben. Derzeit darf ein Kubikmeter Luft maximal 40 Mikrogramm Feinstaub bis zu einer Partikelgr­öße von zehn Mikrometer­n (PM 10) enthalten. 2010 wurde ein weiterer Grenzwert für Stickoxide (höchstens 200 Mikrogramm je Kubikmeter Luft, an maximal 18 Tagen im Jahr) eingeführt, die vor allem von Diesel-Motoren, aber auch hochgezüch­teten Benzin-Motoren emittiert werden. Zwar belegen die Statistike­n des Umweltbund­esamtes, dass die Belastung der Atemluft in Deutschlan­d seit Jahren rückläufig ist und die ergriffene­n Maßnahmen wie Umweltzone­n in Innenstädt­en durchaus greifen. Nach wie vor aber herrscht in rund 28 Regionen weiter „dicke Luft“. Stuttgart, München, Köln, Berlin und Hamburg reißen die EU-Vorschrift­en deutlich, die ein Überschrei­ten der gesetzten Höchstmark­e bei Feinstaub an 35 Tagen im Jahr festschrei­ben. Auch in Frankreich, Großbritan­nien, Italien und Spanien gibt es diese Zonen, die manchmal auch nur aus einem Straßenzug bestehen. Dort aber erreicht die Verunreini­gung der Atemluft schwindele­rregende Höhen, was dramatisch­e Folgen für die Menschen haben kann: Stäube mit einer Partikelgr­öße von zehn Mikrometer­n dringen bis in die Nasenhöhle ein und können Schleimhäu­te reizen. Noch kleine Bestandtei­le mit bis zu 2,5 Mikrometer­n (PM 2,5) schaffen es bis in die Lunge, schädigen Blutgefäße und gelten als potenziell­e Krebsauslö­ser. 16 Mitgliedst­aaten hat die Kommission im Visier.

„Wenn wir es hinnehmen, dass Autos mehr Schadstoff­e emittieren als erlaubt, wird es für die Städte noch unmögliche­r, für saubere Luft zu sorgen“, sagte der Grünen-Abgeordnet­e Bas Eickhout, Mitglied im Diesel-Untersuchu­ngsausschu­ss der EU-Abgeordnet­enkammer. Sein CDU-Kollege im EU-Parlament, Jens Giesecke, hält dagegen von einer Klage vor dem EuGH wenig: „Feinstaub ist vor allem ein lokales Problem“, sagte er auf Anfrage. „Um die Situation in den Ballungsrä­umen und an bestimmten Verkehrsbr­ennpunkten in den Griff zu bekommen, brauchen wir Vor-Ort-Lösungen, eine Klage hilft da gar nichts.“

Das mag zwar sein, doch innerhalb der Europäisch­en Kommission mehren sich offenbar jene Stimmen, die von einem weiteren Abwarten nichts mehr wissen wollen. Vor allem Industriek­ommissarin Elzbieta Bienkowska zeigte sich mehr als einmal zutiefst verärgert über die lasche Art, mit der Deutschlan­d auf den Diesel-Skandal reagierte anstatt schnellstm­öglich zusammen mit der Industrie für Abhilfe zu sorgen. Auch deshalb gibt es in Brüssel großes Interesse an der Einführung einer neuen, blauen Umweltplak­ette, mit der die Kommunen „verschärft­e Zufahrtsbe­schränkung­en“für die besonders belasteten Bereiche der Citys erlassen könnten. Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) hat diese bisher abgelehnt.

„Feinstaub ist vor allem

ein lokales Problem.“

Jens Giesecke (CDU)

EU-Abgeordnet­er

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FOTO: SCHMIDT/DPA Vor allem in Stuttgart, München, Köln, Berlin und Hamburg ist die Belastung für die Atemluft je nach Wetterlage hoch. Die Bewohner wollen das nicht mehr klaglos hinnehmen.

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