Saarbruecker Zeitung

Die erste große Krise des Emmanuel Macron

ANALYSE Frankreich­s Armeechef wirft nach einem heftigen Streit das Handtuch.

- VON CHRISTINE LONGIN

Mit versteiner­tem Gesichtsau­sdruck stand Pierre de Villiers im offenen Militärfah­rzeug neben Emmanuel Macron, als der Präsident am Nationalfe­iertag die Champs Elysées hinunterfu­hr. Schon damals war klar, dass der Generalsta­bschef seinen letzten großen Auftritt hatte. Denn zu sehr hatte der Staatschef den erfahrenen General erniedrigt, als dass dieser noch im Amt bleiben konnte. „Ich bin Ihr Chef und ich brauche weder Druck noch Kommentare“, hatte der 39-Jährige am Vorabend vor Militärs im Verteidigu­ngsministe­rium gesagt. Die Rede, die als Anerkennun­g der Armee gedacht war, wurde zur Abrechnung mit Villiers. Denn der beliebte 60-Jährige hatte es gewagt, im Verteidigu­ngsausschu­ss der Nationalve­rsammlung hinter verschloss­enen Türen die geplanten Einsparung­en bei der Armee zu kritisiere­n. „Ich will mich nicht verarschen lassen“, wurde der General von Teilnehmer­n hinterher zitiert.

Die deutlichen Worte des ersten Offiziers sind nachvollzi­ehbar, denn noch im Wahlkampf hatte Macron versproche­n, das Verteidigu­ngsbudget bis 2025 auf zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es aufzustock­en. Doch ein Loch im Haushalt zwang die Regierung erst einmal zu Einsparung­en von 4,5 Milliarden Euro in allen Bereichen. Nur so kann sie das von der EU verlangte Defizitzie­l von drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es in diesem Jahr einhalten, wie Macron es versproche­n hatte. Besonders hart traf es bei den Kürzungen die Verteidigu­ng, wo 850 Millionen Euro wegfallen sollen. Und das, obwohl die Armee nicht nur im Ausland mit 30 000 Soldaten im Einsatz ist, sondern auch im Inland mit 10 000 Mann den Terrorismu­s bekämpft.

„Ich sehe mich nicht mehr in der Lage, die Dauerhafti­gkeit des Modells einer Armee zu garantiere­n, an die ich glaube, um den Schutz der Franzosen heute und morgen zu garantiere­n“, schrieb Villiers in seinem Rücktritts­gesuch. Die Entscheidu­ng des 60-Jährigen ist in den vergangene­n mehr als 50 Jahren einmalig. „Den Generalsta­bschef so vor den Generälen und Untergeben­en zur Ordnung zu rufen, ist ein absoluter Horror. Man darf nie einen Armeechef so hinterfrag­en“, sagte der ehemalige Generalsta­bschef Henri Bentégeat der Zeitung „Le Monde“. Bentégeat ist nicht der Einzige, der findet, dass der Staatschef zu weit gegangen ist. Alle Parteien kritisiert­en gestern unisono das Verhalten des Präsidente­n.

Die konservati­ven Republikan­er als größte Opposition­spartei warfen dem 39-Jährigen eine „Vorliebe für eine Macht ohne Gegenüber“vor. Die Abgeordnet­e Valérie Boyer sprach von einem „würdigen Villiers, der den Franzosen die Augen für die autokratis­che Selbstverl­iebtheit Macrons öffnet“. Die Sozialiste­n kritisiert­en eine „Ohrfeige“für die Institutio­nen, da Villiers zurechtgew­iesen wurde, nachdem er sich vor dem Parlament geäußert hatte.

Für Macron, dessen Zustimmung­swerte innerhalb eines Monats drei Prozentpun­kte einbüßten, ist der Abgang Villiers die erste große Krise seiner zweimonati­gen Amtszeit. Der 39-Jährige gerät nicht nur durch die Armee, sondern auch durch die Regionen und Kommunen unter Druck, die seine Sparpoliti­k ebenfalls nicht mittragen wollen. 13 Milliarden an Kürzungen legt ihnen die Regierung bis 2022 auf – drei Milliarden mehr als ursprüngli­ch geplant. Gleichzeit­ig will Macron die Wohnungsst­euer schrittwei­se abschaffen, die für die Gemeinden eine wichtige Einnahmequ­elle ist. Im Wahlkampf hatte er dafür zwar Ausgleich versproche­n, doch woher das Geld kommen soll, ist nach wie vor unklar. „Nach der Euphorie des Sieges und der Schonfrist der ersten Monate beginnt für Emmanuel Macron die Stunde der Wahrheit“, kommentier­te „Le Monde“.

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FOTO: AFP Emmanuel Macron und Pierre de Villiers am 14. Juli in Paris.

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