Saarbruecker Zeitung

Mit Vollgas in die Punktekart­ei

Autofahrer verwechsel­n die Straße oft mit einer Rennstreck­e. Seit 60 Jahren führt der Weg dann ins Verkehrssü­nder-Register.

- VON BIRGITTA VON GYLDENFELD­T UND PASCAL BECHER

(dpa/ SZ) Es ist Mitte Juli, Urlaubszei­t in Deutschlan­d. Auf der Autobahn wird ein Wohnwageng­espann von der Polizei gestoppt. Mit 140 Stundenkil­ometern anstatt erlaubtem Tempo 80 ist es über die Autobahn gerast. Die Folge: Fahrverbot, Bußgeld und Punkte in Flensburg. So ähnlich wie diesem Urlauber geht es jährlich vielen Autofahrer­n. Hier wird jemand geblitzt, dort ein anderer mit dem Handy am Steuer erwischt.

Wenn auch in den meisten Fällen kein Fahrverbot ausgesproc­hen wird, werden sie alle in einer Datei registrier­t, deren Einrichtun­g vor 60 Jahren mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat am 25. Juli 1957 per Verordnung auf den Weg gebracht wurde. Die Arbeit nahm das „Verkehrsze­ntralregis­ter“dann wenige Monate später, am 2. Januar 1958, beim Kraftfahrt­bundesamt (auch: Kraftfahrt-Bundesamt/KBA) in Flensburg auf. Der Grund: Der Autoverkeh­r nahm im Wirtschaft­swunderlan­d Bundesrepu­blik Deutschlan­d rasant zu, die Zahl der schweren Unfälle auch.

Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamte­s hatte 2015 etwa jeder zehnte Einwohner Deutschlan­ds einen Eintrag im Fahreignun­gsregister. Von den 8,6 Millionen Punkte-Inhabern waren etwa 6,7 Millionen Männer. Die meisten Einträge gab es wegen Geschwindi­gkeitsvers­tößen: bei Männern waren es 3,8 Millionen, bei Frauen 1,1 Millionen.

Die Saarländer scheinen seltener mit Bleifuß unterwegs zu sein als andere Deutsche. Hierzuland­e hat nur jeder Zwölfte ein oder mehrere Punkte in Flensburg. Von den 79 000 finden Frauen (19 000) deutlich weniger Einzug in die Kartei als Männer. Geschlecht­sübergreif­end ist auch hier der Hauptgrund Rasen.

In den ersten Jahren des Verkehrsze­ntralregis­ters hat es dafür übrigens noch keine Punkte gegeben, bestätigt KBA-Sprecher Stephan Immen. In der Verkehrssü­nderdatei registrier­t wurde zunächst nur, wenn jemandem die Fahrerlaub­nis versagt oder entzogen wurde. Erst 1974 wurde das Punktesyst­em mit seinem präventive­n Charakter eingeführt – aus einem traurigen Grund: Anfang der 70er Jahre waren nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s Rekordwert­e von mehr als 21 000 Verkehrsto­te zu beklagen. Bei einem Fahrzeugbe­stand von 20,8 Millionen Fahrzeugen bedeutete dies statistisc­h gesehen 102 Tote pro 100 000 Fahrzeuge jährlich.

Heute fahren gut 55 Millionen Autos, Lkw und Motorräder auf Saarbrücke­r, Berliner oder Münchner Straßen, die Zahl der Verkehrsto­ten hat sich im Vergleich zu den 70er Jahren bundesweit deutlich auf 3206 (2016) reduziert. „Das Verkehrsze­ntralregis­ter hat dazu einen erhebliche­n Beitrag geleistet“, so Immen.

Ein solches Register sei eine gute Idee, sagt auch der Verkehrsps­ychologe Rüdiger Born in Hamburg. Dass den Punktezähl­ern in Flensburg bald die Arbeit ausgehen wird, glaubt der Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes niedergela­ssener Verkehrsps­ychologen nicht. „Es ist ja nicht naturgegeb­en, sich an Regeln zu halten.“Viele Menschen bekämen in ihrer Autofahrer­karriere mal einen Punkt. „Die überwiegen­de Zahl der Einträge wird innerhalb einiger Jahre aber wieder gelöscht.“Sprich, der Autofahrer lerne dazu und halte sich eher an die Regeln, weil er weitere Punkte vermeiden wolle. Der Eintrag ist schnell wieder gelöscht. Um so viele Punkte zu sammeln, bis der Führersche­in entzogen wird, brauche es eine „große Beharrlich­keit“, sagt Born.

In manchen Regionen Deutschlan­ds ist die Lernkurve aber weniger steil als in anderen. So sind die Rostocker die Punkte-Könige der Republik. Nach einer Statistik von Check24. de sind 9,5 Prozent der Autofahrer in der Hansestadt des Ostens Mitglied in der Verkehrssü­nder-Datei. In keiner anderen deutschen Stadt sind es so viele. Auf Platz zwei und drei landen übrigens die Leipziger (8,8 Prozent) und Erfurter (8,1 Prozent). Saarbrücke­n taucht hier erst auf Platz 44 auf und damit klar unter dem Bundesschn­itt von 5,7 Prozent.

Ob es ohne das Register mehr (tödliche) Unfälle und Regelverst­öße in den Städten gäbe, lässt sich schwer sagen. „Die wenigsten Unfälle werden mit Vorsatz verursacht“, heißt es beim ADAC. Auch jetzt komme es immer wieder zu schweren Regelverst­ößen. „Dabei spielt häufig die Illusion eine große Rolle, jede Situation unter Kontrolle haben zu können.“

Dennoch ist die Verkehrssü­nderdatei oder das Fahreignun­gsregister, wie es seit 2014 offiziell heißt, auch nach Ansicht des Automobilc­lubs ein wichtiges Instrument, weil es auch einen pädagogisc­hen Ansatz habe. „Das Fahreignun­gsregister dient dem Zweck, riskantes Verhalten zu reflektier­en und insbesonde­re Mehrfachtä­ter entspreche­nden Maßnahmen zuzuführen“, so die Meinung in München. Damit es etwa zum Führersche­inentzug gar nicht erst kommt, könnten die Betroffene­n ihr Verhalten ja ändern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany