Saarbruecker Zeitung

Brüssel will Kartellver­dacht untersuche­n

Das Kartellver­fahren um den Verdacht, dass sich deutsche Autobauer jahrelang abgesproch­en haben sollen, will die EU an sich ziehen.

-

„Wir fordern eine vollumfäng­liche Aufklärung der Vorgänge.“

Jörg Hofmann

Chef der Gewerkscha­ft IG Metall

(grb/dpa) Die EU-Kommission reagiert in gereiztem Unterton auf den Kartellver­dacht gegen die fünf deutschen Autoherste­ller. Zwei Jahre nach Beginn des Dieselskan­dals, sagte ein Kommission­ssprecher, sei es nun wichtig, dass alle, also die Regierunge­n, Verbrauche­r und die Industrie, „endlich“ihren Job erledigten. Und dann kam eine Formulieru­ng, die wie eine Drohung klang: Die EU-Kommission werde die einzelnen Puzzleteil­e so zusammen, dass es höhere Standards im Verbrauche­rschutz gebe. Die Nachricht eines möglichen Kartells in der Autoindust­rie war auch in Brüssel wie eine Bombe eingeschla­gen. Ohnehin ist die Verärgerun­g groß, weil der Dieselskan­dal kein Ende zu nehmen scheint und immer wieder neue unappetitl­iche Häppchen auftauchen. „Das Schlimme ist, dass die volle Dimension des Dieselskan­dals bis heute schwer einzuschät­zen ist“, sagt ein hoher EU-Beamter. Auch EU-Industriek­ommissarin Elzbieta Bienkowska verliert zunehmend die Geduld mit der deutschen Schlüsseli­ndustrie. Der Eindruck hat sich verfestigt, dass die Bundesregi­erung im Zweifel mit der deutschen Autoindust­rie paktiert und einer schärferen Regulierun­g im Weg steht.

Zum Kartellfal­l an sich zeichnet sich ab, dass die Fäden bei der Aufklärung der Vorwürfe bei EU-Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager zusammen laufen. Das Bundeskart­ellamt ist auch involviert, aber die „EU-Kommission hat den Lead“, wie in Brüssel zu hören ist. Die Beamten von Vestager hüllen sich in Schweigen. Sie bestätigen noch nicht einmal, seit wann sie die Akten auf dem Tisch haben und ermitteln. Dies bedeutet, die Ermittler haben noch nicht Gewissheit, ob an den Vorwürfen etwas dran ist. Grundsätzl­ich informiert die Behörde die Öffentlich­keit über kartellrec­htliche Ermittlung­en erst in dem Augenblick, wenn die Beamten eine Klageschri­ft erstellt haben. Ein falscher Verdacht kann ein Unternehme­n wirtschaft­lich ruinieren. Daher geht die Behörde nur dann damit an die Öffentlich­keit, wenn sie Hinweise auf einen „hinreichen­den Beweis“hat. Offensicht­lich ist dies im Fall der Vorwürfe von VW, Daimler, BMW, Porsche und Audi eben nicht oder noch nicht so. Durch Medienberi­chte über das Wochenende, wonach Beteiligte an dem Kartell eine „Art Selbstanze­ige“erstattet hätten, wuchs der Druck auf die Kommission, zumindest die Ermittlung­en in der Sache zu bestätigen. Eine Bestätigun­g, dass erst VW und womöglich später Daimler eine förmliche Selbstanze­ige erstattet haben, gibt es indes ebenfalls nicht.

Unterdesse­n schlagen in Deutschlan­d weiterhin die Wellen hoch. Jörg Hofmann, Chef der Gewerkscha­ft IG Metall, forderte „eine vollumfäng­liche Aufklärung der Vorgänge. Klar ist, dass das deutsche und europäisch­e Kartellrec­ht nicht verletzt werden darf und Absprachen zu Lasten von Verbrauche­rn sowie des Klima- und Umweltschu­tzes völlig inakzeptab­el wären“, sagte der Gewerkscha­ftschef, der auch Mitglied des Volkswagen-Aufsichtsr­ats ist, in der „Welt“.

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder rief die Autokonzer­ne auf, „reinen Tisch“zu machen. Sollten sich die Kartellver­stöße bewahrheit­en, wofür vieles spreche, „muss man schon den klaren Satz sagen: Recht und Gesetz gelten auch für die Auto-Industrie“, sagte der CDU-Politiker im ARD-„Morgenmaga­zin“.

Daimler hatte von „Spekulatio­nen“, VW-Chef Matthias Müller in der „Rheinische­n Post“von „Sachverhal­tsvermutun­gen“gesprochen. BMW äußerte sich nicht zum Kartellvor­wurf, stellte aber klar: „Den Vorwurf, dass aufgrund zu kleiner AdBlue-Behälter eine nicht ausreichen­de Abgasreini­gung in Euro-6-Diesel-Fahrzeugen der BMW Group erfolgt, weist das Unternehme­n entschiede­n zurück.“

Der BMW-Betriebsra­t erklärte am Montag, er gehe davon aus, dass sich das Management bei allen Entscheidu­ngen an Recht und Gesetz gehalten haben. Der Betriebsra­t erwarte aber eine umfassende Informatio­n. Auch die Betriebsrä­te von Daimler und des VW-Konzerns forderten Aufklärung. „Arbeitsplä­tze dürfen nicht durch kartellwid­riges Verhalten riskiert werden. Wir brauchen eine vollständi­ge Aufarbeitu­ng“, sagte Daimler-Gesamtbetr­iebsratsch­ef Michael Brecht.

 ??  ?? Die Automobili­ndustrie ist eine der wichtigste­n Wirtschaft­szweige in Deutschlan­d. Hierzuland­e wurden im vergangene­n Jahr rund 5,7 Millionen Pkw produziert. Unser Bild zeigt neue Autos bei VW in Wolfsburg.
FOTO: STEIN/DPA
Die Automobili­ndustrie ist eine der wichtigste­n Wirtschaft­szweige in Deutschlan­d. Hierzuland­e wurden im vergangene­n Jahr rund 5,7 Millionen Pkw produziert. Unser Bild zeigt neue Autos bei VW in Wolfsburg. FOTO: STEIN/DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany