Das Geld kommt aus dem Internet
Mittlerweile spenden zahlreiche Nutzer für private Projekte anderer Menschen. Das Prinzip nennt sich Crowdfunding.
„Man erreicht die Leute einfach viel besser über
soziale Netzwerke.“
Michel Harms
Internetportal crowdfunding.de
SAARBRÜCKEN Die Möglichkeiten des Crowdfundings (von englisch crowd für „Menschenmenge“und funding für „Finanzierung“) sind nahezu unbegrenzt: Wer ein Buch schreiben, eine Firma gründen oder eine Erfindung auf den Markt bringen will, kann durch diese digitale „Schwarmfinanzierung“realisieren, wofür sonst das Geld fehlt.
Doch Internet-Nutzer unterstützen derartige Projekte nicht nur, wenn sie an eine erfolgreiche Geschäftsidee glauben, sie tun dies auch, um zu helfen. Das zeigen Portale wie Gofundme: Viele US-Amerikaner, die nicht krankenversichert sind, nutzen die SpendenPlattform, um ihre Krankengeschichte zu schildern und mithilfe der Spender die Behandlungskosten zahlen zu können.
Auch in Deutschland hoffen immer mehr Menschen, nicht nur für gemeinnützige Zwecke, sondern auch für ihr ganz privates Anliegen Hilfe von der Netz-Gemeinschaft zu erhalten. „Unserer Familie ist zwei Wochen vor Weihnachten ein großes Unglück widerfahren“, schreibt Kerstin Wiegand und schildert das Schicksal ihres Neffen Michael (28), der in Thailand lebte, Opfer einer Gewalttat wurde und dort im Krankenhaus im Koma lag. Sowohl die Kosten für das Krankenhaus als auch für die Rückholung nach Deutschland seien für die Familie unbezahlbar gewesen, so die Tante des Opfers. „Mein Vater wird im kommenden Jahr 85. Er möchte seinen Enkel noch einmal sehen“, schrieb sie und appellierte: „Bitte helft uns mit einer Spende, damit Micha nach Deutschland zurückgeholt werden kann und wir die Arztkosten begleichen können!“Ihr Appell auf der Internetseite leetchi.com hatte Erfolg: Knapp 1700 Internet-Nutzer spendeten, rund 42 600 Euro kamen zusammen, und im Februar schrieb Michaels Mutter: „Mein Mann Frank und ich möchten uns von ganzem Herzen bei Euch bedanken. Was Ihr für unseren Sohn getan habt, hat uns zutiefst berührt. Wir waren so verzweifelt. Keine Deutsche Botschaft konnte das leisten, was Ihr über Crowdfunding für uns getan habt. Ihr habt uns zu Tränen gerührt. All das hat uns ermöglicht, Michael nach Deutschland zu holen.“Auch die Aktion „Helft Steffen“für den 35-jährigen Steffen Rhode aus Berlin, der einen sehr aggressiven Gehirntumor hat und Geld für eine besondere LaserOperation in den USA benötigte, hatte Erfolg: Mehr als 85 000 Euro kamen für ihn zusammen. „Ich bin nach wie vor völlig überwältigt von der Anzahl und Höhe eurer Beteiligungen!“, schrieb er im Dezember, „Ihr seid großartig!“
Es sind bislang wenig Menschen, die sich trauen, um Unterstützung für ihre privaten Anliegen zu bitten, aber es gibt sie: Etwa den 26-jährigen Matthias Schuster aus Bayern, dem wegen Knochenkrebs ein Bein amputiert werden musste und der sich Geld für eine Sportprothese wünschte. Oder Sarah Spilles aus Essen, die ebenfalls einen Gehirntumor hat – und nicht mehr viel Zeit für ihre Wünsche: zum Beispiel ihren Freund in einem Schloss zu heiraten, einen Städtetrip nach Berlin oder Hamburg zu machen oder mit einem Heißluftballon zu fahren. „Wenn auch ihr Sarah helfen wollt, einige ihrer Träume zu erfüllen, könnt ihr das hier tun“, appellierte eine Freundin an die Internet-Gemeinde. Dort haben sich mittlerweile mehrere Plattformen auf private und soziale Projekte spezialisiert. Leetchi.com, die „Sammelkasse für jedermann und jeden Anlass“etwa, wird nach eigenen Angaben mittlerweile von rund acht Millionen Menschen für Crowdfunding-Aktionen genutzt. Auf der Webseite betterplace.com können ausschließlich gemeinnützige Initiativen Spendenaktionen starten, und verleihefluegel.org möchte ein „soziales Netz“knüpfen. Das Portal basiert auf privaten Projekten, die Obdachlosen, Frauen in Not und Flüchtlingen helfen wollen. „Wir haben bemerkt, dass unsere Mitmenschen generell sehr großzügig sind – vorausgesetzt, sie verstehen, mit wem und für was genau sie ihre Ressourcen teilen“, schreiben die Gründer. So sei 2015 Deutschlands erste Direktspendenplattform als gemeinnützige Unternehmergesellschaft gegründet worden.
Andere Plattformen wie etwa Startnext schließen private Anfragen ganz bewusst aus. „Studium, Ausbildung, private Veranstaltungen oder Reisen, Charity-Projekte, Spendensammlungen, Werbemaßnahmen, Privateigentum“könnten nicht finanziert werden, heißt es auf der Seite. „Die Finanzierung von privaten Vorhaben war auf Startnext nie möglich“, so eine Sprecherin, „im Vordergrund stehen immer Projekte, die für die Unterstützer einen Mehrwert bieten.“
Der Herausgeber des Portals crowdfunding.de, Michel Harms, ist zwar überzeugt, dass die Spendenbereitschaft in den USA grundsätzlich höher beziehungsweise im sozialen und kulturellen Bereich „gelernter“sei, doch privates Spendensammeln finde auch in Deutschland statt. Auch die Entwicklung bei Facebook sei in diesem Zusammenhang interessant. „Es sind einfach viele tolle Sachen möglich, auch auf der sozialen Ebene“, sagt Harms. Der Vorteil, den das digitale Zeitalter seiner Ansicht nach bietet: „Man erreicht die Leute einfach viel besser über soziale Netzwerke.“Und anders als bei Spendenaufrufen in der Zeitung könne man mit nur wenigen Klicks gleich die Zahlung mit abwickeln.
Crowdfunding-Experte Stefan Stengel glaubt, dass die rein privaten Projekte „nur mäßig erfolgreich“seien, nicht zuletzt auch deshalb, weil Deutschland, anders als die Vereinigten Staaten, „nicht solch eine Geber-Kultur“besäße. Gute Ansätze sieht er jedoch bei sozialen Projekten. „Das ist im Augenblick der Trend.“
Ob ein Spendenaufruf letztendlich Erfolg hat, hängt seiner Ansicht nach davon ab, wie gut er vermarktet wird. Sein Tipp: „Am besten versuchen, genau jene Kreise zu adressieren, wo Sie vermuten können, die richtigen Leute zu treffen!“Wer etwa Geld benötige, um seinen kranken Hund operieren zu lassen, sollte sich direkt an ein HaustierForum wenden.