Saarbruecker Zeitung

Heintz und der Ketchup-Flaschen-Effekt

Der Heidelberg­er ist über die 200 Meter Lagen die größte deutsche Titelhoffn­ung bei der Schwimm-WM in Budapest.

- VON JÖRG SOLDWISCH UND THOMAS LIPINSKI

(sid) Philip Heintz macht sich gerne einmal einen Scherz daraus, dass er (fast) wie eine bekannte Ketchup-Sorte heißt. Der Schwimmsta­r grinst zum Beispiel als Ketchup-Flasche verkleidet von seinem Profilbild beim Nachrichte­ndienst Whatsapp, und irgendwie ist das auch symbolisch gemeint. Bei Heintz läuft es, nachdem er lange auf seinen Durchbruch warten musste. Der berühmte Ketchup-Flaschen-Effekt.

„Dass ich jetzt so durchstart­e, kommt für mich nicht so überrasche­nd. Ich habe ja lange drauf gewartet“, sagt der Heidelberg­er. Bei der Weltmeiste­rschaft in Budapest startet der Lagenschwi­mmer am morgigen Mittwoch über 200 Meter als deutscher Rekordhalt­er, als Weltjahres­bester, ja sogar als Goldkandid­at. „Er ist unser heißestes Eisen im Feuer“, meint der deutsche Bundestrai­ner Henning Lambertz.

Ob er will oder nicht: Heintz ist nach den zuletzt schwachen Leistungen von Weltmeiste­r Marco Koch und dem Rücktritt von Weltrekord­ler Paul Biedermann die neue Nummer eins im deutschen Mini-Team. Um mit dieser großen Erwartungs­haltung klar zu kommen, arbeitet der 26-Jährige mit einem Psychologe­n. „Es ist etwas Neues, wenn man als Medaillenk­andidat gilt“, sagt Heintz. Die Arbeit trage Früchte: „Wenn ich rausgehe, bin ich hundertpro­zentig der Meinung, dass ich es schaffe.“

Um nicht zu sehr abzuheben, redet sich der Kurzbahn-Vizeweltme­ister zugleich ein, „dass ich nicht fit bin und dass es kein Selbstläuf­er wird“. Auf seine Konkurrent­en wirkt er deswegen wenig angsteinfl­ößend. „Ich sehe vor den Rennen eher wie ein Schluck Wasser in der Kurve aus“, sagt Heintz: „Sollen sie mich ruhig unterschät­zen.“

Mit dieser seltsamen Mischung aus Selbstzwei­feln und Selbstvert­rauen hat der gebürtige Mannheimer im vergangene­n Jahr eine wahre Leistungse­xplosion erlebt. Seinen deutschen Rekord beim sechsten Platz im Olympia-Finale hat Heintz bei den deutschen Meistersch­aften vor fünf Wochen in Berlin um rund 1,5 Sekunden nach unten gedrückt – im Schwimmspo­rt ist das eine Welt.

Anfangs hatte er starke Bedenken, ob er diese Form halten kann. Die Trainingse­rgebnisse geben aber Anlass zur Hoffnung. Schwimmt Heintz in Budapest auch nur annähernd an die Zeit heran, ist sogar der WM-Sieg möglich. Und das würde dem deutschen Schwimmspo­rt nach den vielen Enttäuschu­ngen einen riesigen Auftrieb geben. Aber Heintz warnt: „Es wird ein ganz enges Rennen.“

Es gibt mehrere Gründe, warum Heintz’ Formkurve gegen den allgemeine­n Trend im deutschen Schwimmen so steil nach oben geht. Zum einen fand der BWL-Fernstuden­t einen Arbeitgebe­r im Finanzwese­n, der ihm alle Freiheiten für das intensive Training lässt und ihn nach dem Ende der Leistungss­port-Karriere übernehmen will. Das macht den Kopf frei, genau wie sein Auftritt in Rio de Janeiro – auch wenn er nach der verpassten Medaille im ersten Moment bittere Tränen geweint hatte. „Ich weiß jetzt, dass ich meine Bestzeit erreichen kann, auch wenn ich unter Druck bin und ein Michael Phelps neben mir schwimmt.“

Der Rekord-Olympiasie­ger aus den USA ist in Budapest nicht mehr dabei, auch nicht der für fast ein Jahr gesperrte Skandalsch­wimmer Ryan Lochte (ebenfalls USA). Sie hatten die Szene beherrscht. Heintz weiß, dass über 200 Meter Lagen jetzt alle auf ihn schauen, den Heidelberg­er. Aber er hat sich darauf vorbereite­t. Er will dem Druck standhalte­n.

„Ich sehe vor den Rennen eher wie ein Schluck Wasser in der

Kurve aus.“

Philip Heintz Medaillenk­andidat bei der Schwimm-WM

in Budapest über 200 Meter Lagen

 ?? FOTO: BÜTTNER/DPA ?? Lagenspezi­alist Philip Heintz hat sich mit seinem deutschen Rekord bei der DM in Berlin vor fünf Wochen in die Favoritenr­olle bei der WM geschwomme­n.
FOTO: BÜTTNER/DPA Lagenspezi­alist Philip Heintz hat sich mit seinem deutschen Rekord bei der DM in Berlin vor fünf Wochen in die Favoritenr­olle bei der WM geschwomme­n.

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