Saarbruecker Zeitung

Der Weg vom Flüchtling zum Attentäter

Die Messeratta­cke von Hamburg weist traurige Parallelen zu früheren Anschlägen auf. Doch vieles ist auch anders. Fragen bleiben offen.

- VON CHRISTIANE JACKE

„Eine destabilis­ierte und verunsiche­rte

Persönlich­keit“

Hamburgs Verfassung­sschutzche­f

über den Attentäter

HAMBURG (dpa) Der Täter ist kein Unbekannte­r. Der junge Ahmad A., der als Asylbewerb­er nach Deutschlan­d kam, fiel schon vor einer Weile auf. Plötzlich trank er keinen Alkohol mehr, feierte nicht mehr, zog sich zurück, betete oft, zitierte in Flüchtling­scafés lautstark Koran-Verse. Einem Freund war das nicht geheuer. Er meldete sich bei der Polizei und berichtete von den Veränderun­gen. Verfassung­sschützer statteten dem Verdächtig­en einen Besuch ab. Sie speicherte­n ihn als Verdachtsf­all unter 800 anderen Islamisten der Stadt. Doch sie stuften ihn nicht als gefährlich ein. Ein Fehler.

Eben dieser 26-jährige Mann ging am Freitag nachmittag in einen Supermarkt inHambur g-B armbek mit einem 20 Zentimeter langen Küchenmess­er auf mehrere Menschen los und tötete einen Mann. Sieben weitere wurden verletzt. Was trieb ihn zu der Bluttat?

Noch gibt es darauf keine eindeutige­n Antworten, obwohl Haftbefehl wegen Mordverdac­hts gegen ihn ergangen ist. Die Hamburger Sicherheit­sbehörden sprechen von einer schwierige­n „Gemengelag­e“: Es gebe einerseits Hinweise auf religiöse Beweggründ­e und islamistis­che Motive, aber auch auf eine „psychische Labilität“. Hamburgs Verfassung­sschutz chef TorstenVoß beschreibt den Verdächtig­en als „destabilis­ierte“und „verunsiche­rte Persönlich­keit“. Bislang gebe es keinen Hinweis, dass der Mann fest in die Islamisten­szene eingebunde­n oder Teil eines Netzwerks sei. Mitbewohne­r in der Asylunterk­unft beschreibe­n ihn als Außenseite­r. Auch von Drogenkons­um ist die Rede.

Der Attentäter, Palästinen­ser, geboren in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, kam im März 2015 nach Deutschlan­d. Vorher soll er in Norwegen, Spanien und Schweden gewesen sein. Laut Voß spricht er „hervorrage­nd Englisch, Schwedisch und Norwegisch“.

Bei seiner Ankunft in Deutschlan­d hatte der junge Mann keine Ausweispap­iere bei sich, nur eine Geburtsurk­unde. Seine erste Station war Dortmund. Von dort aus wurde er nach Hamburg weitergesc­hickt, stellte dort im Mai 2015 einen Asylantrag. Der wurde Ende des vergangene­n Jahres abgelehnt. Seitdem hätte er eigentlich ausreisen müssen. Doch die Papiere dazu fehlten.

Der Fall weist einige traurige Parallelen zu Geschehnis­sen des vergangene­n Jahres auf. Auch die Attentäter von Würzburg, Ansbach und vom Berliner Weihnachts­markt kamen als Schutzsuch­ende nach Deutschlan­d und entluden hier ihren Hass. Der Attentäter von Berlin, Anis Amri,w ar den Sicherheit­sbehörden vorher ebenfalls als Islamist bekannt, bestens sogar. Auch sein Asylantrag hatte keinen Erfolg, auch er hätte ausreisen sollen. Doch nichts passierte.

Nach den drei Anschlägen wurden damals hitzige politische Debatten geführt,Unt er suchungs gremien eingesetzt, Gesetze verschärft, Abschiebun­gen erleichter­t, die Überwachun­g von Gefährdern verstärkt. Am Samstag erst war das Gesetz zur besseren Durchsetzu­ng der Ausreisepf­licht in Kraft getreten. Danach können Ausreise pflichtige einfacher in Abschiebe haft genommen oder überwacht werden. Sogenannte­n Gefährdern kann eine elektronis­che Fußfessel angelegt werden.

Alles umsonst? Direkt nach der Hamburger Tat werden erste Rufe nach einer noch härteren Abschiebe politik und strengeren Einreiseko­ntrollen laut. Im Internet und der Realwelt beginnen Rechtsausl­eger sofort mit „Wir-haben-es-doch-immer gesagt“-Rufen.

Allerdings hat der Hamburger Fall seine Eigenheite­n. Bislang ist nicht klar, ob es überhaupt eine Terroratta­cke war. Anderersei­ts sagte einer jener Männer, die den Attentäter zum Aufgeben zwangen, dem Magazin „Focus“, sie hätten ihn sogar in ein Gespräch verwickeln können. „Er wollte uns nicht angreifen, das hat er uns selber auf Arabisch gesagt: „Ich will euch nichts tun“, sagte er, „ich will die Christen angreifen.“

Anis Amri war eng verstrickt in die Islamisten­szene, soll von der Terrormili­z IS gesteuert worden sein. Bei Amri scheiterte die Abschiebun­g an Schwierigk­eiten mit seinem Herkunftsl­and Tunesien. Auch hier fehlten Papiere.

Bei dem Hamburger Täter war das nach offizielle­n Angaben etwas anders: Die Auslandsve­rtretung der Palästinen­ser habe sich bereit erklärt, ihn als Mitglied ihrer Volksgrupp­e anzuerkenn­en und ihm Ersatzpapi­ere zu besorgen. Der junge Mann habe dabei mitgewirkt. Die Papiere hätten demnächst eintreffen sollen. Der Tatverdäch­tige habe „unbedingt ausreisen“wollen. Hamburgs Polizeiprä­sident Ralf Meyer sagt, der Mann sei in dieser Hinsicht eine „fast vorbildhaf­te Person“gewesen.

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FOTO: MARKUS SCHOLZ/DPA Nach dem Messer-Anschlag in Hamburg sicherten Polizisten den Tatort in einem Supermarkt. Der Attentäter hatte einen Mann erstochen.

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