Saarbruecker Zeitung

Der Diesel-Gipfel kreißt und gebiert einen Deal für fünf Millionen Fahrzeuge

Die Auto-Konzerne sollen Diesel etwas sauberer machen. Zudem werden Millionen Autos nachgerüst­et. Kritiker sind nicht zufrieden.

- VON WERNER KOLHOFF

Ziemlich kleinlaut seien die Manager gewesen, berichtete ein Teilnehmer. Beim Diesel-Gipfel gestern in Berlin waren die Vertreter der deutschen Autokonzer­ne nach den bekannt gewordenen Abgasmanip­ulationen und Kartellvor­würfen klar in der Defensive. Sie kamen aber trotzdem glimpflich davon. Es bleibt im Kern bei einem für die Autobesitz­er kostenlose­n Software-Update.

Laut der beschlosse­nen Vereinbaru­ng sollen nun insgesamt 5,3 Millionen Diesel-Fahrzeuge von deutschen Hersteller­n der Schadstoff­klassen Euro 5 und Euro 6 bis Ende 2018 in die Werkstätte­n gerufen und „optimiert“werden. Das sind 60 Prozent der Gesamtflot­te in dieser Klasse. Die Zahl geht allerdings nicht wesentlich über die Ankündigun­gen hinaus, die die Konzerne zuvor schon einzeln gemacht hatte. So sind auch die bereits seit längerem laufenden Rückrufe von 2,5 Millionen VW-Fahrzeugen enthalten. Die Antriebe sollen dabei so eingestell­t werden, dass der Ausstoß von Stickoxide­n um 30 Prozent sinkt. Das soll neutral gemessen werden. Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) sprach von einem ersten Schritt. Die Software-Updates würden das Problem nicht vollständi­g lösen, trügen aber zur Schadstoff­minderung bei. Der Verband der internatio­nalen Fahrzeughe­rsteller gab keine entspreche­nde Zusage. Sie wurden dafür während des Gipfels von Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) heftig kritisiert.

Länger wurde über die Frage zusätzlich­er technische­r Umrüstunge­n der Motoren debattiert. Viele Experten sind der Meinung, dass eine Software-Optimierun­g allein nicht reicht. Die Industrie lehnte eine Verpflicht­ung darauf wegen der Kosten und angebliche­r technische­r Unsicherhe­iten jedoch ab. Darüber soll nun in einer Experten-Gruppe noch weiter diskutiert werden. In der Runde wurden die Industriev­ertreter „sachlich, aber deutlich“auf ihre Verantwort­ung hingewiese­n, berichtete ein Teilnehmer. Auch die Kartellvor­würfe kamen zur Sprache. Gleich zu Beginn habe Verbandsch­ef Matthias Wissmann erklärt, dass die Branche wisse, dass sie für die aktuelle Vertrauens­krise Verantwort­ung trage. Ähnlich hätten sich einzelne Konzernman­ager geäußert. Erhöhte Stickstoff­werte in vielen Großstädte­n hatten die Debatte ausgelöst. Umweltverb­ände hatten vor Gerichten die Möglichkei­t von Fahrverbot­en erstritten. Zudem hatte sich herausgest­ellt, dass einige Hersteller die Abgaswerte bewusst manipulier­t hatten.

Um ältere Dieselfahr­zeuge schneller aus dem Verkehr zu nehmen, sollen die Hersteller Prämien für den Umstieg auf Autos der neuesten Generation oder E-Autos bereitstel­len. Die Rede war von bis zu 8000 Euro je Fahrzeug. Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) erneuerte seinen Vorschlag einer Reform der Kfz-Steuer, um den Umstieg zusätzlich zu erleichter­n. Fahrverbot­e, die einzelne Städte verhängen könnten, werden in dem Papier nicht ausgeschlo­ssen, sollen aber vermieden werden. Den am meisten von Stickoxide­n betroffene­n Städten soll bei neuen Mobilitäts­konzepten, etwa Radwegen, Car-Sharing oder E-Mobilität, geholfen werden. Dazu wird ein Fonds von 500 Millionen Euro aufgelegt, an dem sich die Industrie mit 250 Millionen Euro beteiligen soll.

Jürgen Resch, Geschäftsf­ührer der Deutschen Umwelthilf­e, sprach von einem „Kniefall“vor der Industrie, weil es keine Pflicht zur Umrüstung auf Euro-6-Norm gebe. „Die Fahrverbot­e kommen 2018“, sagte Resch. Zudem kündigte er in den nächsten Monaten weitere Enthüllung­en über Manipulati­onen der Branche an. Grünen-Verkehrsex­perte Oliver Krischer sprach von Kumpanei mit der Autoindust­rie. Die Bundesregi­erung sei dabei, aus Deutschlan­d ein Dieselmuse­um zu machen, während andere Nationen die Elektromob­ilität voranbräch­ten.

Das Gipfeltref­fen war kurzfristi­g vom Verkehrsmi­nisterium in das Innenminis­terium verlegt worden. Offiziell aus Sicherheit­sgründen. Entscheide­nd für den Wechsel war offenbar, dass es Greenpeace-Aktivisten am Morgen gelungen war, auf das Dach des hochgesich­erten Ministeriu­ms zu gelangen und sich mit dem Transparen­t „Willkommen in Fort NOx“an der Fassade abzuseilen. NOx ist das Kürzel für Stickoxid. Den Politikern und Industriev­ertreten sollte wohl erspart werden, das Gebäude durch dieses Spalier vor zahlreiche­n Kameras betreten zu müssen.

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FOTO: FOTOLIA, GRAFIK: LORENZ Am gestrigen Diesel-Gipfel haben die Autoherste­ller BMW, VW, Mercedes, Opel und Ford teilgenomm­en.

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