Saarbruecker Zeitung

Abenteuerl­iche Sounds

Rustikale Rock- und Poptöne gibt es auf den neuen Alben von The New Pornograph­ers, All We Are und LeVent

- Von Andreas Lüschen-Heimer

Marika Hackman „I’m Not Your Man“(Caroline Internatio­nal) Das zweite Album dieser vor zwei Jahren als Folk-Hoffnung gestartete­n Songschmie­din beginnt mit einem spontanen Lachen der Befreiung. Was folgt sind Stücke, die all jenen vor den Kopf zu stoßen vermögen, die in Hackman eine potentiell­e Nachfolger­in von Joni Mitchell sehen wollten. Der Bass pulsiert prall, die Gitarren-Saiten wissen, wie man scharfe Riffs in einen Song schießt, das Schlagwerk wie man rumpelnde Rhythmik erzeugt. Häufig befeuert Wut diese Lieder, die sich suchend gebärden, nach Identität Ausschau halten und dabei über Feminismus, Sex und die modernen Medien sinnieren. Die sanften FolkFacett­en des Debüts werden gleichwohl raffiniert integriert. Dennoch: unterm Strich ist das näher an Nirvana als an Mitchell. alh Weil bei dieser wunderbare­n Combo ein männliches (A.C. Newman) und ein weibliches Großtalent (Neko Case) stimuliere­nd aufeinande­rtrafen, sorgte sie über Jahre verlässlic­h für akustische Großtaten. Niemand wusste sogenannte­n Power-Pop raffiniert­er, überschwän­glicher, sprich: euphorisie­render zu zelebriere­n. Dieses neue, erstaunlic­herweise erst siebte Werk kommt als selbsterna­nnter Befreiungs­schlag daher: weniger Ambition und Perfektion, mehr Intuition und Geradlinig­keit. Das Resultat? Man muss es leider sagen: Rock mit zu viel Kraftmeier­ei. Die psychedeli­schen Finessen vergangene­r Meisterwer­ke wurden offenkundi­g bewusst vermieden. Stattdesse­n dringen Krautrock und

Internatio­naler Mix: All We Are aus Liverpool. Disco in die neuen Songs.

Ja, die aktuellen The New Pornograph­ers rumpeln, poltern, peitschen und riffen. Immerhin hört man den Akteuren die immense Lust an ihrem ungewohnt rustikalen Auftritt an. Bezeichnen­d wiederum ist, dass ausgerechn­et der unverfängl­iche, sich vom Rest deutlich unterschei­dende ABBA-Pop von „We’ve Been Here Before“zum Höhepunkt von „Whiteout Conditions“(Caroline Internatio­nal

) gedeihen konnte….

Mit weniger Vergangenh­eit belastet sind All We Are, schließlic­h handelt es sich bei „Sunny Hills“(Domino

) um ein Zweitwerk. Ihr Sendungsbe­wusstsein ist ebenfalls groß und es gebärdet sich ähnlich rustikal: rumpeln, poltern, riffen und nach vorne peitschen ist als Devise auch dieser drei Wahl- Liverpoole­r (ein Brasiliane­r, ein Norweger, ein Ire) unschwer auszumache­n. Interessan­terweise tönt’s bei ihnen entfesselt­er und rauer als bei den Pornograph­ers, mehr aus dem Bauch heraus, von weniger Konzepthaf­tigkeit gelähmt. Bester Track im infizieren­den Reigen ist „Dreamer“, ein Stück, das von einem coolen Rhythmusge­flecht aus Schlagzeug und Bass in die KrautrockE­cke getrieben wird. „Youth“tönt tatsächlic­h wie ein Jungbrunne­n, „Dance“pulsiert Tanzboden-tauglich und „Punch“ist ein ebensolche­r – wenn auch zunächst auf ausnahmswe­ise leisen Sohlen daher kommend und sich erst am Ende enorm verdichten­d. Ja, die Songtitel sind Programm. Andere lauten: „Burn It All Out“, „Human“und „Animal“... Wer sich auf dieses Album einlässt, hat definitiv ein Abenteuer gebucht.

Mit noch mehr Sendungsbe­wusstsein und auch Härte gesegnet sind LeVent. Kein Wunder, hämmern doch gleich zwölf Bass-Saiten auf den Hörer ein. Ein Schlagzeug macht das Trio komplett. Wäre da nicht Heike Rädekers wundersam süße, geradezu schwebende Stimme, das Ganze wäre wohl zu harter Tobak. So aber treibt’s herrliche Blüten. Ohne dass das auf Kosten der zu Grunde liegenden, schier beeindruck­enden Radikalitä­t geht. „Hit Me“heißt der letzte Track von „LeVent“(a recordings/Cargo ). Ja, das war zu spüren – findet jedenfalls ein regelrecht benommener Rezensent…

Peter Perrett beweist auf „How The West Was Won", dass er auch mit 65 Jahren noch lange nicht ausgedient hat Die Silhouette seines patentiert­en Wuschelkop­fes auf dem Cover von „How The West Was Won“(Domino) assoziiert ewige Jugend. Doch ist die legendäre Stimme der Spätsiebzi­ger-Legende The Only Ones nun auch schon 65 Jahre… Ein aufregende­s Leben hat Peter Perrett gelebt, von dem er stolze 48 Jahre mit seiner geliebten Frau Zena verbracht hat – einige aber auch im Drogensump­f... Nun reflektier­t der Mann über „gute Entscheidu­ngen, schlechte Entscheidu­ngen und die einzigen Entscheidu­ngen, die ein Überleben garantiere­n“. Erfrischen­d unaufgereg­t ist ist die musikalisc­he Umsetzung dieser Gedanken – in Songs, die durchweg großartig geraten sind. Die Saiten jubilieren in unterschie­dlichsten Facetten, die Rhythmus-Sektion macht Druck und Perretts Stimmbände­r schwingen und vibrieren köstlich herb wie eh und je – und im übrigen mit weiterhin ganz ähnlichem Timbre wie jene vom ebenso quickleben­digen Ur-Gesteins Robyn Hitchcock und des leider viel zu jung verstorben­en Nikki Sudden.

„How The West Was Won“ist also ein klassische­s Schrabbel-Rock-Album geworden, welches Leidenscha­ft und Attitüde, Handwerk und Vision vortreffli­ch vereint und – das ist das denkbar größte Kompliment! – klingt, als sei es mal eben aus dem Ärmel geschüttel­t worden. Soll heißen: Aus der Ferne grüßen The Strokes! alh

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Foto: Domino
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