Abenteuerliche Sounds
Rustikale Rock- und Poptöne gibt es auf den neuen Alben von The New Pornographers, All We Are und LeVent
Marika Hackman „I’m Not Your Man“(Caroline International) Das zweite Album dieser vor zwei Jahren als Folk-Hoffnung gestarteten Songschmiedin beginnt mit einem spontanen Lachen der Befreiung. Was folgt sind Stücke, die all jenen vor den Kopf zu stoßen vermögen, die in Hackman eine potentielle Nachfolgerin von Joni Mitchell sehen wollten. Der Bass pulsiert prall, die Gitarren-Saiten wissen, wie man scharfe Riffs in einen Song schießt, das Schlagwerk wie man rumpelnde Rhythmik erzeugt. Häufig befeuert Wut diese Lieder, die sich suchend gebärden, nach Identität Ausschau halten und dabei über Feminismus, Sex und die modernen Medien sinnieren. Die sanften FolkFacetten des Debüts werden gleichwohl raffiniert integriert. Dennoch: unterm Strich ist das näher an Nirvana als an Mitchell. alh Weil bei dieser wunderbaren Combo ein männliches (A.C. Newman) und ein weibliches Großtalent (Neko Case) stimulierend aufeinandertrafen, sorgte sie über Jahre verlässlich für akustische Großtaten. Niemand wusste sogenannten Power-Pop raffinierter, überschwänglicher, sprich: euphorisierender zu zelebrieren. Dieses neue, erstaunlicherweise erst siebte Werk kommt als selbsternannter Befreiungsschlag daher: weniger Ambition und Perfektion, mehr Intuition und Geradlinigkeit. Das Resultat? Man muss es leider sagen: Rock mit zu viel Kraftmeierei. Die psychedelischen Finessen vergangener Meisterwerke wurden offenkundig bewusst vermieden. Stattdessen dringen Krautrock und
Internationaler Mix: All We Are aus Liverpool. Disco in die neuen Songs.
Ja, die aktuellen The New Pornographers rumpeln, poltern, peitschen und riffen. Immerhin hört man den Akteuren die immense Lust an ihrem ungewohnt rustikalen Auftritt an. Bezeichnend wiederum ist, dass ausgerechnet der unverfängliche, sich vom Rest deutlich unterscheidende ABBA-Pop von „We’ve Been Here Before“zum Höhepunkt von „Whiteout Conditions“(Caroline International
) gedeihen konnte….
Mit weniger Vergangenheit belastet sind All We Are, schließlich handelt es sich bei „Sunny Hills“(Domino
) um ein Zweitwerk. Ihr Sendungsbewusstsein ist ebenfalls groß und es gebärdet sich ähnlich rustikal: rumpeln, poltern, riffen und nach vorne peitschen ist als Devise auch dieser drei Wahl- Liverpooler (ein Brasilianer, ein Norweger, ein Ire) unschwer auszumachen. Interessanterweise tönt’s bei ihnen entfesselter und rauer als bei den Pornographers, mehr aus dem Bauch heraus, von weniger Konzepthaftigkeit gelähmt. Bester Track im infizierenden Reigen ist „Dreamer“, ein Stück, das von einem coolen Rhythmusgeflecht aus Schlagzeug und Bass in die KrautrockEcke getrieben wird. „Youth“tönt tatsächlich wie ein Jungbrunnen, „Dance“pulsiert Tanzboden-tauglich und „Punch“ist ein ebensolcher – wenn auch zunächst auf ausnahmsweise leisen Sohlen daher kommend und sich erst am Ende enorm verdichtend. Ja, die Songtitel sind Programm. Andere lauten: „Burn It All Out“, „Human“und „Animal“... Wer sich auf dieses Album einlässt, hat definitiv ein Abenteuer gebucht.
Mit noch mehr Sendungsbewusstsein und auch Härte gesegnet sind LeVent. Kein Wunder, hämmern doch gleich zwölf Bass-Saiten auf den Hörer ein. Ein Schlagzeug macht das Trio komplett. Wäre da nicht Heike Rädekers wundersam süße, geradezu schwebende Stimme, das Ganze wäre wohl zu harter Tobak. So aber treibt’s herrliche Blüten. Ohne dass das auf Kosten der zu Grunde liegenden, schier beeindruckenden Radikalität geht. „Hit Me“heißt der letzte Track von „LeVent“(a recordings/Cargo ). Ja, das war zu spüren – findet jedenfalls ein regelrecht benommener Rezensent…
Peter Perrett beweist auf „How The West Was Won", dass er auch mit 65 Jahren noch lange nicht ausgedient hat Die Silhouette seines patentierten Wuschelkopfes auf dem Cover von „How The West Was Won“(Domino) assoziiert ewige Jugend. Doch ist die legendäre Stimme der Spätsiebziger-Legende The Only Ones nun auch schon 65 Jahre… Ein aufregendes Leben hat Peter Perrett gelebt, von dem er stolze 48 Jahre mit seiner geliebten Frau Zena verbracht hat – einige aber auch im Drogensumpf... Nun reflektiert der Mann über „gute Entscheidungen, schlechte Entscheidungen und die einzigen Entscheidungen, die ein Überleben garantieren“. Erfrischend unaufgeregt ist ist die musikalische Umsetzung dieser Gedanken – in Songs, die durchweg großartig geraten sind. Die Saiten jubilieren in unterschiedlichsten Facetten, die Rhythmus-Sektion macht Druck und Perretts Stimmbänder schwingen und vibrieren köstlich herb wie eh und je – und im übrigen mit weiterhin ganz ähnlichem Timbre wie jene vom ebenso quicklebendigen Ur-Gesteins Robyn Hitchcock und des leider viel zu jung verstorbenen Nikki Sudden.
„How The West Was Won“ist also ein klassisches Schrabbel-Rock-Album geworden, welches Leidenschaft und Attitüde, Handwerk und Vision vortrefflich vereint und – das ist das denkbar größte Kompliment! – klingt, als sei es mal eben aus dem Ärmel geschüttelt worden. Soll heißen: Aus der Ferne grüßen The Strokes! alh