Saarbruecker Zeitung

Provokateu­r im grünen Hemd

Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer bringt seine Partei mit einem Buch zur Flüchtling­skrise auf die Palme.

- VON WERNER KOLHOFF UND JÜRGEN PETZOLD

BERLIN

(SZ/afp) Aus seiner Sicht sagt Boris Palmer nur, was ist. Dass es eine Belastungs­grenze für die Aufnahme von Flüchtling­en gibt. Dass Asylbewerb­er weit häufiger kriminell werden, als ihrem Anteil an der Bevölkerun­g entspricht. Dass „die vielen untätigen jungen Männer ein Problem sind“.

Streit löst das aus, weil Palmer ein Grüner ist, als Oberbürger­meister von Tübingen sogar ein relativ Prominente­r. Und weil er das Klartextre­den regelrecht zum Programm erhoben hat. Palmer ist für die Grünen das, was Heinz Buschkowsk­y, ehemaliger Bezirksbür­germeister von Berlin-Neukölln, für die SPD war. Ein Praktiker und vor allem in der Flüchtling­s- und Integratio­nsfrage eine einzige Provokatio­n. „Einfach mal die Fresse halten“, hat ihm im Juni auf dem Parteitag in Berlin eine Rednerin des linken Flügels entgegenge­schleudert.

Palmers Antwort darauf ist ein Buch, das gestern in Berlin vorgestell­t wurde. Titel: „Wir können nicht allen helfen“. Gemeint ist: nicht allen Flüchtling­en auf der Welt. Er sucht nicht nur mit der Wahl dieser Überschrif­t den Konflikt. Auch die Kapitel lauten entspreche­nd: „Von Obergrenze­n und Belastungs­grenzen“, „Wie kriminell sind Ausländer?“oder auch „Augen zu nutzt nix: Junge Männer verändern unser Land“. Schon vor Erscheinen hat es deswegen eine wüste Facebook-Keilerei mit dem Grünen-Urgestein Volker Beck gegeben. Der fand, dass vor allem Palmer nicht zu helfen sei und fügte hinzu: „Wo deine flinke Zunge das Sagen hätte, möchte ich nicht leben.“Palmers nicht ganz stubenrein­er Konter: „Lieber Volker, ich lebe gern in einem Land, wo dein Drogenkons­um und deine früheren Äußerungen zur Pädophilie verziehen werden.“

Schade ist das, denn in dem Getümmel geht unter, dass das Werk abseits der Überschrif­ten keineswegs ausländerf­eindlich ist. Im Gegenteil. Palmer sucht nach Wegen praktische­r Integratio­n. Nur benennt er eben auch die vielen Schwierigk­eiten des Alltags, die er als Oberbürger­meister bis ins Detail kennt. Und zwar ohne Scheuklapp­en und Rücksichtn­ahmen. Motiv für das Buch, sagt der 45-jährige Autor, war ein Shitstorm, den sein Facebook-Satz „Wir schaffen das nicht“im Jahr 2015 auslöste. Ihn störe dieses linke Schubladen­denken, dieses „Moralisier­en in der Politik“.

In seinem Buch beklagt er „Denkblocka­den“sowie „Wunschdenk­en“– und geht erneut hart mit Merkel ins Gericht: Er wirft ihr wegen ihrer Rechtferti­gungen für die Grenzöffnu­ng von 2015 eben dieses von ihm kritisiert­e „moralisier­ende“Verhalten vor: „Der Fehler war, eine Politik, die aus der Not geboren wurde, zum moralische­n Imperativ zu erklären und einen großen Teil der deutschen Gesellscha­ft damit auszugrenz­en.“

Nun muss man wissen, dass Palmer nach eigener Einschätzu­ng in den letzten Jahren an die 60 000 Posts abgesetzt hat und schon oft Aufreger erzeugte. Zum Beispiel, als er sich für Abschiebun­gen nach Afghanista­n aussprach. Das WM-Austragung­sland Brasilien sei schließlic­h genauso gefährlich. Der Mann geht möglichen Auseinande­rsetzungen sehr ungern aus dem Weg.

Wohl auch deshalb lässt er das Buch von Julia Klöckner präsentier­en, die schon lange für eine eher härtere Gangart in der Flüchtling­sfrage eintritt. Klar, dass die stellvertr­etende Parteivors­itzende der CDU das Buch und Palmer lobt: „Ein Praktiker, der nah bei den Menschen ist.“Klöckner, die selbst schon mit Thesen zur Flüchtling­spolitik in der eigenen Partei angeeckt ist, will dem Parteirebe­ll der Grünen zwar nicht in allen Punkten zustimmen. Sie bescheinig­t dem eigensinni­gen Kommunalpo­litiker aus dem Südwesten aber „Realismus und Unerschroc­kenheit“und sagt wohlmeinen­d: „Das Buch ist eine Aufforderu­ng zum Diskurs.“

Die beiden Politiker duzen sich. Der Tübinger, im grünen Hemd erschienen, wird gefragt, ob er für Schwarz-Grün nach der Bundestags­wahl plädiere. „Ach“, antwortet Palmer scheinbar bescheiden, da wolle er sich nicht äußern. Denn Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n habe doch gesagt, er sei nur ein einfaches Parteimitg­lied. „Und wenn der Kretschman­n das sagt, dann stimmt das, und ich halte mich daran.“

Schließlic­h versucht es Boris Palmer am Schluss seines Buches mit versöhnlic­hen Tönen: Wenn die Grünen erkennen würden, dass nicht allen geholfen werden kann, könnten sie sagen: „Wir schaffen das.“

„Ein Praktiker, der nah bei den Menschen ist.“

CDU-Vize Julia Klöckner

über Boris Palmer

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Die stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e Julia Klöckner und Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer von den Grünen bei der Buchpräsen­tation. Gemeinsam stellten sie Palmers neues Werk „Wir können nicht allen helfen“vor.

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